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Angst, aber nur ein bisschen

Als Schwimmleiter hat Mohammad Shaban ein Ziel: »Den Kindern die Angst vorm Wasser nehmen!«

  • Johann Caspar Nilius
  • Lesedauer: 6 Min.
So geht es richtig! Mohammad Shaban bringt Kindern das Schwimmen bei.
So geht es richtig! Mohammad Shaban bringt Kindern das Schwimmen bei.

Mohammad Shaban blickt vom Beckenrand auf das Wasser. Im Stadtbad Tempelhof planschen, schwimmen und lachen etwa 50 Kinder. In der Mitte des Beckens ragen zwei Lehrer über den kleinen Köpfen heraus. Sie beaufsichtigen die Nichtschwimmer, die gerade ihre ersten Erfahrungen im Wasser machen. An den Rändern des Beckens schwimmen einige schon selbstständig vor und zurück, die Bahnen entlang. Andere halten ein Schwimmbrett in den Händen, sie treten mit den Beinen nach hinten, um vorwärtszukommen. Viele werden von gelben Badenudeln getragen. »Die Kinder müssen noch lernen, den Körper aufrecht zu halten«, erklärt Shaban.

In Intensivkursen wie diesen lernen Berliner Kinder schwimmen, die sonst nicht die Möglichkeit dazu gehabt hätten. Die kostenlosen Ferienkurse werden vom Berliner Schwimmverband angeboten – mit Unterstützung des Berliner Senats und des Landessportbunds Berlin (LSB). »Da freuen wir Trainer uns auch, dass wir den Kindern diese Möglichkeit bieten können. Manchmal kommen Kinder, deren Eltern selbst nicht schwimmen können. Für uns ist es eine Chance, dass sie mit uns erst mal das Wasser kennenlernen«, sagt der 36-Jährige.

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Mohammad Shaban leitet die Kurse. Jeden Tag finden vier Schwimmstunden für Kinder ab der dritten Klasse statt. Anschließend gibt es noch eine Stunde für die älteren Kinder bis zur zehnten Klasse. Jedes Kind hat eine Woche lang eine Schwimmstunde am Tag. Dabei sollen die Kinder »nicht einfach irgendwie schwimmen lernen, sondern sich sicher im Wasser fühlen«, sagt Shaban. Etwa 700 Kinder nehmen an den Schwimmkursen in den Stadtteilen Tempelhof, Tiergarten und Marzahn teil; 500 von ihnen, schätzt er, schaffen es, mit einem Schwimmabzeichen aus dem Kurs zu gehen.

Schwimmleiter Shaban ist 2015 aus Syrien geflohen. Zunächst half ihm ein Schlepper beim Überqueren der Grenze zur Türkei: »Türkische Soldaten haben auf mich geschossen. Aber zum Glück haben sie nicht getroffen«, scherzt er. Seine Miene bleibt freundlich, während er seine traurige Geschichte erzählt, er klingt fast gut gelaunt dabei. Auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland, sagt er, seien sie zu elft oder zwölft gewesen – in einem Boot, das nur für vier Leute Platz hatte. »Die meisten konnten nicht schwimmen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie ich allen helfen kann, wenn etwas passiert. Mein bester Freund war dabei, der nicht schwimmen konnte, aber auch Kinder und alte Menschen.« Nach vier Stunden seien sie auf der griechischen Insel Kos gelandet. »Aus Griechenland sind wir zwei Tage nach Serbien gelaufen«, sagt er. Mithilfe eines weiteren Schleppers kam er schließlich in Passau an.

Nach drei Jahren in Bayern hörte er 2018 erst mals vom Landessportbund in Berlin. »Da bilden sie Menschen mit Fluchterfahrung aus, damit sie Trainer werden«, erzählte ihm ein Bekannter. Shaban bewarb sich, zog nach Berlin und machte beim Sportbund seine C-Lizenz als Übungsleiter. »Dann habe ich ein bisschen ehrenamtlich bei Sportvereinen gearbeitet, das war für mich ein Geben und Nehmen«, erzählt er. Als die Corona-Pandemie begann, durfte selbst in den Vereinen kein Sport mehr getrieben werden. Shaban schuftete in einem Logistik-Unternehmen, bis der Landessportbund Berlin sich 2021 wieder bei ihm meldete. »Sie wussten, dass ich Interesse am Schwimmen habe, sie kannten ja meine Geschichte: Schon in Syrien hatte ich Bekannten beigebracht zu schwimmen.« Der LSB bot ihm eine Ausbildung zum Schwimmtrainer an. »Dafür habe ich alle meine Urlaubstage genommen – und dann habe ich es geschafft«, strahlt Shaban.

2021 absolvierte er die Schwimmlehrer-Ausbildung als einer von 20 Schülern. Mittlerweile hat er die Leitung der Kurse in Berlin übernommen. »Wir waren einfach so zufrieden mit Mohammad«, erzählt Manuel Kopitz, Geschäftsführer des Berliner Schwimmverbandes, der an diesem Tag in Tempelhof am Beckenrand zu Gast ist. »Er hat sich so positiv entwickelt. Wir wussten schnell, dass er das kann.« Shaban ist dankbar für die Unterstützung: »Deswegen habe ich auch immer wieder ehrenamtlich gearbeitet. Der Sportbund hat mir die Lizenz finanziert; da ist es mir wichtig, etwas zurückzugeben.«

Mittlerweile wagen sich einige Kinder ins tiefere Wasser. Selbst die Nichtschwimmer trauen sich ein Stück tiefer. Zwei Trainer begleiten sie dabei. »Sie bringen die Kinder jetzt vom flachen ins tiefe Wasser – aber nur, wenn die Kinder sich das zutrauen«, erklärt Shaban. »Alle sollen wenigstens einmal erlebt haben, wie es sich im Wasser anfühlt.«

Viele dieser Grundschüler werden am Ende der Woche ihr Seepferdchen machen. Die meisten haben zuvor nur schlechte Erfahrungen im Wasser gemacht. Shaban geht es auch darum, dass die Kinder lernen, ihre Ängste zuzugeben. »Manche wollen das nicht zeigen«, sagt er. Deswegen hat er gelernt, mit ihnen darüber zu reden: »Ohne dass sie sich schämen!« Auch er habe schon Angst in seinem Leben gehabt. »Ich sage den Kindern immer: Man muss Angst haben. Sonst springe ich vielleicht in die Tiefe und ertrinke«, erklärt der Schwimmlehrer, »deswegen müssen wir Angst haben, aber eben keine so große.«

Dann endet die Stunde. Shaban führt die Kinder heraus. Der Weg verläuft über nasse Fliesen am Boden, an gelben Wänden vorbei, bis zum Schuhregal und dann zum Ausgang. Vor den gläsernen Türen toben schon die nächsten Kinder. Mit großen Augen blicken sie auf Shaban, voller Vorfreude auf ihre Schwimmstunde. Er lächelt. Dann öffnet er die Tür.

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