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Ausgrenzung und Aneignung: Kolonialgeschichte im aktuellen Sport

Ein Überblick zum Internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen

  • Ronny Blaschke, Santiago de Chile
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Estadio Monumental, beim erfolgreichsten chilenischen Fußballklub Colo-Colo, gehört kulturelle Aneignung zum Alltag.
Im Estadio Monumental, beim erfolgreichsten chilenischen Fußballklub Colo-Colo, gehört kulturelle Aneignung zum Alltag.

Einer der wichtigsten Fußballklubs in Lateinamerika bestreitet seine Heimspiele im Estadio Monumental in Santiago de Chile. Auf dem Weg zur Haupttribüne passiert man eine schwarze Büste. Sie soll den Oberkörper jenes Mannes darstellen, nach dem der Verein benannt ist. An den Außenwänden und im Klubmuseum begegnet man dieser Figur ebenfalls, zum Beispiel auf dem vierzackigen Wappen. Darauf ist ein Mann mit langen schwarzen Haaren und einem weißen Stirnband abgebildet: Colo Colo.

Die Fans des chilenischen Rekordmeisters blicken mit Stolz auf den Namenspaten, einen indigenen Anführer aus dem 16. Jahrhundert, der die spanische Kolonialmacht lange zurückgedrängt hatte. Colo Colo galt als mutig, standhaft, umsichtig. Und so wählte eine Gruppe chilenischer Lehrer 1925 jene Persönlichkeit aus, um ihren neuen Verein mit Bedeutung aufzuladen. »Seit Generationen nutzen Sportvereine Karikaturen von indigenen Menschen für ihre Logos und Maskottchen«, erzählt die chilenische Forscherin Daniela Bustamante, die sich mit der Kolonialgeschichte ihres Landes befasst. »Bei Colo Colo aber handelte es sich um eine konkrete Person der Zeitgeschichte. Das ist ein Paradebeispiel für kulturelle Aneignung

Geleugnete Identität

Colo-Colo stieg im 20. Jahrhundert zum erfolgreichsten Verein in Chile auf, inzwischen mit 34 Meisterschaften und 14 Pokalsiegen. Gleichzeitig vertieften unterschiedliche Regierungen die Ausgrenzung der Mapuche, die größte indigene Minderheit im Land. Immer wieder wurden ihre Grundstücke im Süden zugunsten der Industrie enteignet oder an Siedler aus Europa übertragen. »Viele Mapuche leugneten ihre Identität und legten sich einen spanisch klingenden Nachnamen zu«, sagt der chilenische Autor und Podcaster Alvaro Campos. Bei Colo-Colo galt Alfonso Neculñir in den 80er Jahren als erster Spieler mit Mapuche-Wurzeln. Heute sind Mapuche überproportional häufig von Arbeitslosigkeit, Armut und Alkoholsucht betroffen.

Am 9. August begehen die Vereinten Nationen jährlich den Internationalen Tag der indigenen Bevölkerungen. Es ist eine Gelegenheit, um auf die Errungenschaften von indigenen Minderheiten hinzuweisen, aber auch, um deren Probleme zu benennen. Die UN verweisen dabei auf ihre Erklärung über die Rechte indigener Völker. Darin wird unter anderem die Zustimmung der Betroffenen für die Nutzung ihrer Bilder als elementar hervorgehoben.

Keine Zustimmung

Diese Zustimmung liegt in Lateinamerika jedoch nur selten vor. Einige Fußballklubs haben sich dort nach den Guaraní benannt. Angehörige dieser Minderheit leben in Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Bolivien. Im frühen 20. Jahrhundert wurde den Guaraní ein großer Teil ihrer Ländereien geraubt. »Sie sind eine der am meisten gefährdeten indigenen Gruppen der Welt«, schreibt die brasilianische Nichtregierungsorganisation Cimi. Beim Guarani FC aus dem Bundesstaat São Paulo erfährt man darüber nichts. Und auch in Paraguay gibt es beim elfmaligen Landesmeister Club Guarani keine Diskussion über kulturelle Aneignung.

Man könnte den Eindruck gewinnen, das Thema spiele nur in früheren Kolonien wie Chile oder Brasilien eine Rolle, aber das wäre verkürzt. In Großbritannien hatte das Rugbyteam der Exeter Chiefs lange die Zeichnung eines indigenen Anführers mit Haarschmuck im Logo. Heimische Fans unterzeichneten eine Petition dagegen. Nach langem Zögern stimmte der Klub einer Änderung zu und spielt in seinem Logo nun auf den keltischen Stamm Dumnonier an, der vor mehr als 2000 Jahren im Südwesten des heutigen Britanniens gesiedelt hatte.

Auch in der früheren Kolonialmacht Belgien lassen sich Abbilder indigener Anführer bis heute im Sport finden, etwa beim KAA Gent. Auf seiner Internetseite widmet der Fußballklub der Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner einen eigenen Abschnitt. Darin wird auch das Logo erklärt, dessen »kultureller Kontext« positiv sei. Der KAA Gent stehe für »Respekt, Mut und Ehre«, für Werte, die man eher den amerikanischen Ureinwohnern als ihren »weißen Unterdrückern« zuschreibe.

Stigmatisierung

Am lautesten ist die Debatte in den USA. Mehrere Hundert Sportteams hatten sich dort in Profiligen, Universitäten und Schulen als »Indianer«, »Rote Männer« oder »Krieger« bezeichnet. Ihre Wappen zeigten indigene Männer mit übergroßen Lippen, roter Haut und Federschmuck. »Junge Menschen indigener Herkunft fühlen sich dadurch stigmatisiert und entmenschlicht«, sagt Rebecca Nagle, Aktivistin der indigenen Cherokee. »Und leider gibt es dazu selten eine Gegenerzählung. Der aktuelle Alltag indigener Menschen wird in Medien oder Filmen kaum dargestellt.«

Seit der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren formierten sich in den USA immer wieder Proteste dagegen. Laut National Congress of American Indians wurden im Laufe der Zeit von den rund 2000 rassistischen Sportsymbolen fast drei Viertel abgelegt. Auch exotische Tänze von Cheerleadern und die Gesichtsbemalung von Stadionmusikern verschwanden allmählich. Aufklärungskampagnen kamen meist von indigenen Gruppen, fast nie von den Klubs.

Black Lives Matter

Nach dem Mord an George Floyd im Jahr 2020 und der Black-Lives-Matter-Bewegung gerieten auch immer mehr prominente Vereine unter Druck. In Cleveland bezeichnet sich das Baseballteam »Indians« seit 2021 als Guardians. In Washington tragen die früheren »Redskins« seit 2022 den Namen »Commanders«. Doch viele Fans fühlten sich um ihre Tradition betrogen. Vor Kurzem forderte US-Präsident Donald Trump, dass der Klub zum Namen »Redskins« zurückkehren solle. Andernfalls werde er den Bau eines Stadions blockieren. Viele seiner Anhänger jubelten.

In Chile gibt es eine solche Debatte nicht. Und so gehört die Vereinnahmung des bekanntesten Fußballvereins seit Generationen zum Alltag. Der rechtsnationale Unternehmer Sebastián Piñera etwa war zwischen 2006 und 2010 Eigentümer von Colo-Colo. Auf der Ehrentribüne traf er Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Piñera wurde später zweimal zum Präsidenten Chiles gewählt. In dieser Zeit, berichten Menschenrechtsorganisationen, sollen Festnahmen und Kontrollen der Mapuche massiv zugenommen haben.

Keine Mehrheit

Doch das Pendel schwingt auch in die andere Richtung. 2019 protestierten Hunderttausende in Santiago gegen die Regierung Piñeras und gegen hohe Lebenshaltungskosten. »Auch die Rechte der Mapuche wurden damals intensiv diskutiert«, sagt der indigene Autor Claudio Alvarado Lincopi: »Und viele Fans von Colo-Colo haben sich an den Demos beteiligt.« Nach den Protesten sollte eine Volksversammlung in Chile eine neue Verfassung erarbeiten. Es entstand ein fortschrittlicher Entwurf: Indigene Gruppen wie die Mapuche, die in der alten Verfassung aus der Militärdiktatur gar nicht vorkamen, sollten Sonderrechte erhalten, beispielsweise das Recht auf Autonomie und die Förderung ihrer Traditionen.

Viele Anhänger von Colo-Colo machten sich für diesen fortschrittlichen Entwurf stark. Der Klub zeigt in seinem Stadion die Flagge der Mapuche und verwendet zum Teil ihre traditionelle Sprache. Eine Botschaft: »Verteidigt unser Trikot so, wie die Mapuche ihr Land verteidigen.« Handelt es sich dabei um eine politische Fankultur? Oder werden Jahrhunderte der Unterdrückung verharmlost? Noch werden diese Fragen verhalten diskutiert. Der neue Verfassungsentwurf wurde übrigens von einer Mehrheit der Bevölkerung klar abgelehnt.

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