Die Schlacht um New York

In N. K. Jemisins Fantasy-Roman »Die Wächterinnen von New York« kämpfen queere und antirassistische Helden gegen die Bedrohung aus einer anderen Dimension

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

H hierzulande ist die in Brooklyn lebende N. K. Jemisin noch nicht einem breiteren Publikum bekannt, dabei ist sie in Fantastik-Genrekreisen ein regelrechter Superstar. Für ihre Trilogie »Die große Stille«, eine Mischung aus Science-Fiction und Fantasy-Endzeitepos erhielt sie 2016 bis 2018 drei Jahre in Folge mit dem Hugo-Award den renommiertesten Preis des Science-Fiction-Genres.

Ihr neuer Roman »Die Wächterinnen von New York«, wiederum als Auftakt einer Trilogie angelegt, dürfte ihr explizit am stärksten politisches Buch sein. Darin zeigt sie, wie gut Fantasy, queerer Antirassismus und Gentrifizierungskritik zusammenpassen. In dem 500-seitigen Opus wird New York aus einer anderen Dimension angegriffen. Die Stadt R’lyeh, von der ursprünglich schon die Fantastik-Ikone H. P. Lovecraft erzählte, der ein überzeugter Rassist und Antisemit war, versucht New York zu zerstören - mithilfe verschiedener Materialisierungen der Aggression.

Die Auseinandersetzung mit dem Erbe H. P. Lovecrafts spielte in der Fantastik zuletzt immer wieder eine wichtige Rolle. Lovecrafts Konterfei ziert nach langer Debatte nicht mehr die Statuette des »World Fantasy Award«. Und der Schriftsteller Matt Ruff setzte sich mit seinem mittlerweile von HBO sehr erfolgreich verfilmten Roman »Lovecraft Country« kritisch mit dem Autor auseinander, dessen Monster als Verkörperung rassistischer Gewalt seinen Roman bevölkern.

Ganz Ähnliches passiert auch in »Die Wächterinnen von New York«. Der Big Apple, wie wir erfahren, wird gerade geboren und nimmt durch diesen Prozess Einfluss auf andere Dimensionen. Verkörpert wird die Stadt am Hudson durch ihren Avatar, einen Schwarzen obdachlosen Künstler, der aber bei der ersten Angriffswelle, bei der auch die Williamsburg-Bridge einstürzt, verletzt wird und in einem U-Bahn-Schacht im Koma liegt. Zu Hilfe kommen ihm jetzt nur noch die anderen Avatare der fünf großen Stadtteile Manhattan, Brooklyn, Bronx, Queens und Staten Island, die ebenfalls gerade geboren wurden. Bis eben waren diese Menschen noch Bewohner New Yorks, und nun wissen sie plötzlich, dass sie bestimmte Stadtteile verkörpern.

Der schwule Manny ist gerade nach New York gezogen, um in Jura zu promovieren. Auf einmal ist er Manhattan, obwohl er doch gleichzeitig an einer Amnesie leidet. Bald begegnet ihm Brooklyn »MC Free« Thomason, eine Brooklyner Lokalgröße und in die Jahre gekommene Rapperin, die mittlerweile im Stadtrat sitzt und der Avatar Brooklyns ist. Die beiden werden zusammen mit Mannys Transgender-Mitbewohnerin in einem Park von einer weißen homophoben und rassistischen Spaziergängerin attackiert, die plötzlich über unglaubliche Kräfte verfügt.

Diese Verkörperung der White Supremacy begegnet den Avataren immer wieder. Mal ist sie Geschäftsfrau und gentrifiziert Brooklyn, dann versucht sie, für eine Stiftung die feministische und rassismuskritische Stoßrichtung des Bronx Art Center zu untergraben. Denn dort arbeitet die queere, aus Mexiko stammende Bronca Siwanoy (die Verkörperung der Bronx), die sich mit rechten Trollen, Antisemiten und Frauenhassern herumschlagen muss, die versuchen, ihre Kunst in dem von ihr geleiteten Stadtteil-Kulturzentrum auszustellen.

Die weiße Frau interveniert auch dort, unterstützt sogar einen nächtlichen Angriff der rechten Rassisten und Antifeministen, der aber kollektiv und solidarisch - auch unter Zuhilfenahme magischer Fähigkeiten - zurückgeschlagen wird. Derweil wachsen zahlreichen Bewohnern in ganz New York weiße Tentakel aus den Körpern, die für sie aber nicht sichtbar sind. Die Stadtteil-Avatare nehmen Kontakt zu Padmini Prakash, dem Avatar des proletarischen und migrantischen Queens auf, wo die Macht aus dem anderen Universum bereits in Form von Monstern weitere Angriffe startet.

N. K. Jemisin verwebt genial die fantastische und die reale Welt miteinander. Die Avatare werden immer wieder in eine apokalyptische Gegenwelt hineingezogen, während gleichzeitig immer mehr Lovecraft’sche Monster durch das reale New York ziehen, sich U-Bahn-Züge in gigantische Schlangen verwandeln, Hauseingänge zu klaffenden Mäulern werden und riesige Monster die Avatare durch die Stadt jagen.

Gleichzeitig setzt sich langsam eine ganze Armee von Neofaschisten, männlichen Möchtegernkünstlern, die sich zu Opfern stilisieren, und die geballte Kraft der Immobilienlobby in Bewegung, um gegen jede emanzipatorische Regung im Big Apple vorzugehen. Die Avatare versuchen inzwischen mit Staten Island Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam den im Koma liegenden New Yorker Avatar zu suchen und endlich den Gegenangriff zu starten. Aber Ayslin Houlihan, die Tochter eines irischstämmigen und rassistischen Polizisten und Avatar von Staten Island, lässt sich von der weißen Frau, die erfolgreich an ihre tiefsitzenden Ängste gegen jede Art von Emanzipation appelliert, auf ihre Seite ziehen. Die Lage wird immer prekärer, als es plötzlich zu einer riesigen Demonstration der Neuen Rechten durch Manhattan kommt.

N. K. Jemisins New York ist ein Ort der Kämpfe, wo die queere emanzipatorische linke Stadt von Autoritäten, Kapitalverwertung und der Neuen Rechten immer stärker unter Druck gesetzt wird und sich schließlich solidarisch zusammenschließt, um sich mit aller Macht inklusive magischer Fähigkeiten zur Wehr zu setzen. Auf diesen ungemein flott geschriebenen 500 Seiten geht es um die Unabhängigkeit der Kunst, um Hip-Hop, um den Druck vonseiten der Immobilienverwerter, den kleine Hauseigentümer und Mieter aushalten müssen. Und um die Geschichte der Verdrängung Schwarzer Communitys, um Homophobie, widerlichen Sexismus, kulinarische Köstlichkeiten aus aller Welt, jede Menge queeres Begehren und den Stress, den es bedeutet, sich zusammenzuschließen, um gegen die Bedrohungen zu kämpfen.

H. P. Lovecrafts Stadt R’lyeh, die hier auch für autoritäre Ordnung und sonst für Albträume und Wahnsinn steht, wird zum Inbegriff einer das Leben zerstörenden Kraft, die in diesem Fantasy-Spektakel zwar aus einer anderen Dimension stammt, aber letztlich mit Kapitalismus, Homophobie, Rassismus und Sexismus Entsprechungen und Monster in dieser Welt und auch im angeblich so kosmopolitischen New York hat. Dagegen wird im großen Finale mit viel Solidarität, Magie und urbaner Inspiration gekämpft. Es bleibt abzuwarten, wie dieser Kampf im zweiten Teil der Trilogie in die nächste Runde geht.

N. K. Jemisin: Die Wächterinnen von New York. A. d. amerik. Engl. v. Benjamin Mildner. Tropen, 544 S., geb., 25 €.

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