Spazierengehen in Büchern

Birgit Schmitz über ihr Erfolgsgeheimnis als Verlegerin, »Hacking Gutenberg« und Onlinehandel

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Frau Schmitz, was verbirgt sich hinter Ihrer Idee »The Other Collection«, TOC?

Als wir den Verlag gründeten, mussten wir eigentlich nur drei Dinge neu zusammendenken: dass gute Literatur auch die bestmöglichen Bücher verdient; dass digital und analog kein Widerspruch sind - auch im 21. Jahrhundert kann man mit einem neuen, von uns angepassten Prozess Bücher im Letterpress, im Buchdruckverfahren herstellen. Das Stichwort hier ist »Hacking Gutenberg«. Und zuletzt, dass die Gegenwart viel zu spannend ist, als dass man nur in schon unendlich vielen Ausgaben vorliegende Klassiker neu auflegt.

Birgit Schmitz
Die Verlegerin Birgit Schmitz lebt den Traum von schönen Büchern. Sie ist die Frau hinter »The Other Collection« (TOC), mit der sie 2021 den Preis »Schönste Deutsche Bücher« der Stiftung Buchkunst und den German Design Award des Rates für Formgebung gewann. Nach dem Studium der Geschichte, Germanistik und Soziologie absolvierte sie ein Volontariat bei Kiepenheuer & Witsch, arbeitete dort als Lektorin, wechselte dann zum Berlin-Verlag und übernahm später die Programmleitung bei Hoffmann und Campe. Mit der Editorin sprach Frank Willmann.

Wer gehört zur Mannschaft?

TOC sind im Kern drei Leute: der Typograf Erik Spiekermann, die Designerin Susanna Dulkinys und ich. Wir bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen und Fähigkeiten mit, was dem Verlag auf einer praktischen Ebene zugute kommt. An allen Entscheidungen ist aber auch unserer Drucker Daniel Klotz von »Die Lettertypen« in Adlershof beteiligt. Sein enormes Wissen ist für uns ein Segen.

Bisher gibt es drei TOC-Bücher - was ist das Besondere an ihnen, und gibt es ein Publikum für schöne Bücher?

Die ersten drei Bücher spiegeln ganz gut den Geist von TOC wider, sowohl inhaltlich als auch, was die Ausstattung angeht. Inhaltlich verbindet Deborah Levys »The Cost of Living«, Chimamanda Ngozi Adichies »Half of a Yellow Sun« und John Banvilles »The Sea«, dass es herausragende Werke der letzten zwei Jahrzehnte sind. Sie verhandeln große Themen, die Leser*innen heute beschäftigten. Sodann ist jedes Buch in Leinen gebunden, fadengeheftet, versehen mit einem Schutzumschlag aufwendig gedruckt auf Gmund Cotton. Umschlag und Innenteil werden auf einer Heidelberger Zylinder- Presse von 1954 hier in Berlin gedruckt, das Layout entsteht aber am Computer. Erik Spiekermann trifft für jeden Text eine wohlüberlegte Auswahl und baut viele gestalterische Besonderheiten ein, die vielleicht erst auf den zweiten Blick auffallen. Es gibt die Bücher nur in limitierter Auflage, aber alle signiert.

Welche großen Themen behandeln die Bücher von Deborah Levy, Chimamanda Ngozi Adichie und John Banville?

In Deborah Levys »The Cost of Living« findet man auf fast jeder Seite einen Satz, den man sofort anstreichen möchte. Sie beschreibt ein sehr verbreitetes Gefühl, nämlich was geschieht, wenn die Zukunft nicht mehr klar vor einem liegt. Für sie bricht diese nach ihrer Scheidung und in dem Jahr an, in dem ihre Mutter stirbt. Sehr oft musste ich an dieses Buch während der Pandemie denken; Ungewissheit ist zu einem Dauerzustand geworden. Levy spürt dem nach, schaut in die Literatur und Kunst, um sich neu auszurichten.

Adichie wiederum ist wohl die bekannteste nigerianische Autorin und ihr Essay »We all should be Feminists« war ein Meilenstein. »Half of a Yellow Sun« erzählt von den 60er Jahren in Nigeria; die Unabhängigkeit beflügelt eine ganze Generation, alles scheint möglich, und die Hauptfiguren erleben einen unglaublichen Aufbruch. Doch es mündet in wohl einem der schrecklichsten Kriege des 20. Jahrhunderts: dem Biafra-Krieg. In Adichies Roman findet man viele Parallelen zu den aktuellen Freiheitsbewegungen, die in Terror umschlagen können oder von Autokraten brutal niedergeschlagen werden.

John Banville ist der große irische Meister der Verdichtung. »The Sea« gewann den Booker Prize und erzählt vom Verlust eines geliebten Menschen, von einem Sommer am Meer und von den Täuschungen, denen wir immer wieder erliegen. Diesen Roman kann man zigmal lesen und wird immer einen neuen Aspekt entdecken.

Nach welchen Kriterien wählen Sie aus?

Zugegeben, da spielen meinen Vorlieben eine Rolle, ich versuche aber immer zu beachten, dass etwas sehr Grundsätzliches verhandelt wird. Das nächste Buch von William Boyd, »Any Human Heart«, erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts in allen Schattierungen: die großen Tragödien, die unglaublichen Fortschritte und das Schicksal eines einzelnen Menschen. Danach folgt unsere Bibel: »Handwerk« von Richard Sennett, wo es um die Organisation von guter Arbeit geht. Elizabeth Kolberts Buch »The Sixth Extinction« beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur. In Zeiten einer Pandemie Pflichtlektüre.

Warum erscheinen die Bücher in englischer Sprache?

Das hat vor allem damit zu tun, dass das Sammeln von schönen Büchern ein internationales Phänomen ist. Mit Deutsch wären wir doch recht eingeschränkt.

Wo kann man die Bücher kaufen?

Wir vertreiben sie über unseren Onlineshop www.toc.berlin, das geht einfach und schnell, und man findet dort alle Informationen zu jedem Buch. Es gibt aber auch ausgewählte Buchhandlungen, die uns unterstützen. Jedes Buch kostet 138 Euro - klingt viel, ist aber angesichts der Qualität eher »a good bargain«, ein Schnäppchen für ein signiertes Buch, wie einer unserer Kunden aus den USA schrieb.

Wie wirkte sich Corona auf TOC aus?

Erst war es herrlich, diese Stille. Wir konnten uns auf jedes Detail konzentrieren und nachdenken. Das hat sicher dazu beigetragen, dass vom ersten Buch an (fast) alles stimmte. Auch führte das Abgeschottetsein dazu, dass es weniger »Störgeräusche« gab, was hilft, wenn man etwas ganz Neues machen will, keine Kompromisse eingehen möchte.

Konkret hat sich alles verschoben: Bücher konnten nicht aufgebunden werden, weil beim Buchbinder Quarantäne herrschte und Papier knapp war. Bücher wurden mit drei Monaten Verspätung geliefert. Doch am meisten fehlt der Austausch auf den internationalen Messen.

Ist Verlagsarbeit nicht einem Hamsterrad vergleichbar?

Ich mache eigentlich immer gern, was ich mache: Talente entdecken, an Texten arbeiten. Und ich bin froh, dass ich gerade wieder Zeit habe, als freie Lektorin zu arbeiten.

Haben Sie Ihre Erfüllung gefunden?

Unser Typograf Erik Spiekermann sagt immer, dass es um »Be-greifen« geht. Also indem wir uns mit dem physischen Tun beschäftigen, wir auch anderes besser verstehen. Er sagt auch, dass man die Freude, die man in dieses Tun steckt, am Ende dem Produkt anmerkt. Das trifft es ziemlich gut. Ich könnte noch einen Schritt weitergehen. Bei TOC geht es darum, keine Kompromisse einzugehen und stets die bestmögliche Lösung zu suchen, das heißt manchmal, modular zu denken. Und wenn ich alles noch eine Ebene höherschraube, so kommt bei TOC etwas zusammen, das dem Menschen guttut.

Das bedeutet?

Es tut nie gut, Dinge gegen besseres Wissen zu machen. In Verlagen gilt es häufig, Marketing-Erwartungen und Controlling-Vorgaben zu erfüllen, auch wenn es vielleicht am Ende den Büchern nicht guttut und auch nicht dem Team. Kompromisse müssen gelegentlich sein, aber sie als Standard zu setzen, führt dazu, dass die Menschen ihre Arbeit und sich selbst nicht mehr wertschätzen. Das klingt ziemlich altmodisch, aber mir ist dies lieber, als ans Weisheiten aus Coaching-Büchern zu glauben. Davon ist TOC, auch weil es ein kleiner Verlag ist, sehr weit entfernt.

Ich verstehe jeden Tag besser, was zu einem gut gemachten Buch gehört, welch faszinierendes Wissen sich über 500 Jahre herausgebildet hat und wie viele tolle Menschen dieses Wissen pflegen: Drucker, Hersteller, Grafiker, Setzer, Papierhersteller. Wir versuchen so zu agieren, dass es in sich gut ist. Also wie Spazierengehen eine Tätigkeit ist, die vielleicht keinen Zweck hat, etwa von A nach B zu kommen, aber für jeden gut und gesund ist. Es ist schön, wenn die Menschen, die unsere Bücher kaufen, das auch so sehen.

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