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Gipfel der verpassten Chancen

Beim Treffen zwischen der EU und China versuchte Brüssel sich als Weltmacht darzustellen- allerdings vergeblich

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich wollten die EU und China auf ihrem Gipfeltreffen am Freitag ihr angespanntes Verhältnis besprechen – schließlich hat die EU China als »systemischen Rivalen« gekennzeichnet. Überschattet wurde das virtuelle Treffen jedoch vom Ukraine-Krieg und Pekings Positionierung gegenüber Moskau. Die Spitzen der EU wollten diese Konsultationen daher nutzen, auf Staats- und Parteichef Xi Jinping einzuwirken, damit dieser seinen Einfluss auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin geltend macht, um den Krieg bald zu beenden. Doch wenn Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell per Videoschalte mit Xi Jinping wissen möchten, auf welcher Seite er steht – wie es in den offiziellen Verlautbarungen erwähnt wurde – klingt das in Peking mehr als anmaßend.

Im Ukraine-Konflikt gibt China der Regierung in Moskau derzeit politisch Rückendeckung und benennt die Nato als Verursacher der Krise. Die EU hält dies für inakzeptabel und will China unter Verweis auf mögliche negative Folgen für die Wirtschaftsbeziehungen zu einem Kurswechsel motivieren. Dieses Vorhaben Brüssels stand dabei im Widerspruch zu der außenpolitischen Linie der Volksrepublik, die nicht die Absicht hatte, den Schwerpunkt der Konferenz auf ihr Verhältnis zu Moskau sowie den Krieg in der Ukraine zu legen.
Dafür gibt es aus der Sicht Pekings zwingende Gründe. Zum einen haben die Chinesen nicht vor, ihre engen Beziehungen zu Russland gegenüber der Union zu rechtfertigen oder gar zu erklären. In Peking ist man sich natürlich der Tatsache bewusst, dass die EU bei diesem Gipfel nur sehr bedingt als eigenständiger geopolitischer Akteur auftritt, als der sie gerne wahrgenommen wird, sondern dass Brüssel sein Verhältnis zur Volksrepublik entlang der Vorgaben aus Washington zu gestalten pflegt.
Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass die EU den USA bei der Umsetzung der sogenannten Indopazik-Strategie folgt, mit der Washington den globalen Aufstieg Chinas in ihrer eigenen Hemisphäre zu hemmen versucht. Mit dem Glauben, die Volksrepublik könne in der bestehenden Weltordnung unter Führung der USA eingezäunt werden, war Washington spätestens in der Amtszeit von Donald Trump auf eine Eindämmungspolitik umgeschwenkt, die von einem tiefen Misstrauen gegenüber Peking geprägt ist und die auch von Trumps Nachfolger im Amt des Präsidenten, Joe Biden, verfolgt wird.
Diesbezüglich kann die Tatsache, dass Russlands Außenminister Sergej Lawrow nur 48 Stunden vor dem virtuellen Treffen in die Volksrepublik gereist ist und dort von seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi herzlich empfangen wurde, als Antwort auf diesen Anspruch interpretiert werden.

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Die EU wäre gut beraten, ihren Fokus auf das eigene geopolitische Umfeld zu richten, statt den Weltpolizisten zu mimen. Europa ist von einem Ring schwelender geopolitischer Konflikte umgeben, von Nordafrika, über den Nahen und Mittleren Osten, dem West-Balkan, dem Südkaukasus, flankiert von zerrütteten Beziehungen zu Russland, sowie sich zuspitzenden Beziehungen zu China. Nun ist noch der Krieg in der Ukraine hinzugekommen.
Diese für die EU notwendige Analyse wurde aber nicht geleistet, obwohl die Welt in den vergangenen 20 Jahren weder vom Phänomen des Terrorismus befreit wurde – das Gegenteil ist der Fall – noch Leuchttürme der Demokratie entstanden sind. Um dieser Infragestellung der eigenen globalen Hegemonie begegnen zu können, verlangen die USA von Europa, an ihrer Seite in den neuen Kalten Krieg gegen Peking zu gehen. Dieses für Europa hochriskante Unterfangen wird von der EU größtenteils umgesetzt.

Jenseits des Rheins scheinen die Franzosen die weitsichtigeren Denker zu sein, wenn es um die Bereiche Geopolitik und historische Perspektiven geht. Präsident Emmanuel Macron äußerte vor drei Jahren in einem Interview mit dem britischen »Economist«: »Was wir derzeit erleben, ist der Hirntod der Nato.« Es gebe »keinerlei Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren Nato-Verbündeten«. Als Alternative geht es für Macron sicherlich nichtum einen Unterwerfung unter Peking – im Gegenteil – sondern darum, dass die EU eigene Außen-, Verteidigungs- und sicherheitspolitische Strategien entwirft, die den Verhältnissen des Kontinents entsprechen.
Das späte 20. und frühe 21. Jahrhundert sind für die USA und Europa in vielerlei Hinsicht katastrophal verlaufen. Der Kampf um Einfluss gerade in jenen Regionen, die Ost und West miteinander verbinden, ging verloren. Erstaunlich war hierbei, dass der Westen offenbar seine Fähigkeit verloren hat, auf welthistorische Vorgänge angemessen zu reagieren. Sowohl beim sogenannten »Krieg gegen den Terror« wie auch beim Versuch der Nato, in die Weiten des eurasischen Raumes an die Ufer des Kaspischen Meeres vorzudringen – ein Prozess, den die Medien als »Nato-Osterweiterung« beschreiben – wurden historische Betrachtungen ignoriert.

Dabei wäre es wünschenswert gewesen, wenn die EU-Spitzen das Thema Westbalkan auf dem Gipfel mit Peking vertieft hätten. Denn hierbei handelt es sich um eine Region, die von Brüssel jahrzehntelang vernachlässigt worden ist. Darauf basierend hat China in den vergangenen Jahren auf dem Westbalkan einen gewaltigen Einfluss gewonnen.
Auf dem Westbalkan-Gipfel vor zwei Jahren in der kroatischen Hauptstadt Zagreb hatte Brüssel dieses Thema noch auf der Agenda. Das wäre auch jetzt notwendig gewesen. Denn auf dem Westbalkan brodelt es wieder, auch als Folge des Ukraine-Krieges, was Chinas Einfluss dort notwendig macht und ihm die Möglichkeit einer Vermittlerrolle eröffnet. Die Republika Srpska, eine der zwei Entitäten von Bosnien-Herzegowina, strebt nach Unabhängigkeit. Der führende Politker der Republika Srpska, Milorad Dodik, sieht die Anerkennung von den Volksrepubliken Donezk und Luhansk durch Russland als Vorbild für eine internationale Anerkennung der eigenen Entität. Das wäre das Ende des fragilen Staates Bosnien-Herzegowina in seinen jetzigen Grenzen. Viele fürchten mit Blick auf die Kriege in der Region in den 1990er Jahren, dass die Gespenster des Balkans bald wieder zurückkehren könnten.

Peking hat den Westbalkan schon seit einigen Jahren im Blick, auch im Rahmen des global angelegten Infrastrukturprojekts »Neue Seidenstraße«. Peking betreibt eine aktive Investitionspolitik, vor allem im Bereich der Infrastruktur. In Brüssel sollte man sich die Frage stellen, weshalb es einem chinesischen Konsortium gelungen ist, eine neue ultramoderne Bahnverbindung zwischen Bukarest und Belgrad zu errichten – und keinem französischen oder deutschen Unternehmen. Aber diese Themengebiete wurden auf dem EU-China-Gipfel kaum erwähnt, sie wurden vom Ukrainekrieg verdrängt, weshalb man getrost von einem Gipfel der verpassten Chancen sprechen darf.

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