Lasst uns in Frieden (29): Böse Petrol Bombs, gute Bandera Smoothies

Die merkwürdige Heroisierung von Bombenbauern

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Der britische Fotograf Clive Limpkin fotografierte im August 1969 während der dreitägigen Schlacht um das katholische Viertel Bogside (»Battle of the Bogside«) im nordirischen Derry den 13-jährigen Paddy Coyle mit einem Molotowcocktail und einer Gasmaske. Das Foto ging um die Welt.

Inspiriert von der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung forderte die katholische Bevölkerungsminderheit in Nordirland, dem »Protestant State for a Protestant People«, Ende der 1960er Jahre eine Gleichstellung in diesem künstlichen Zweiklassenstaat unter englischer Herrschaft. Nordirlands protestantische Polizei, die Royal Ulster Constabulary, knüppelte die friedlichen Bürgerrechtsdemonstranten nieder, ein kronentreuer Mob brannte ganze von Katholiken bewohnte Straßenzüge nieder. Die katholische Minorität war dieser Gewalt schutzlos ausgeliefert, bis Jugendliche in Derry und Belfast begannen, sich mit »petrol bombs« zu wehren. IRA, das Kürzel für die zahlenmäßig schwache und nahezu waffenlose Irisch-Republikanische Armee, wurde in Graffiti da noch ausgeschrieben: »I Ran Away«.

Mit dem Eintreffen britischer Militäreinheiten wurde schnell deutlich, für welche Seite diese aktiv Partei ergreifen würden. Wer sich gegen deren brutales Vorgehen wandte und sich auf die Seite der jugendlichen Brandsatzwerfer stellte, galt in Westdeutschland, auf dessen Territorium sich die britische Armee in detailgetreuen Nachbauten nordirischer Straßenzüge auf ihre Einsätze in Belfast oder Derry vorbereitete, bald als Unterstützer von »Terroristen«.

Seit das ukrainische Verteidigungsministerium angesichts des russischen Angriffs die Bevölkerung dazu aufrief, Molotowcocktails herzustellen und auf Facebook eine detaillierte Anleitung mit Bildern veröffentlichte, an welchen Stellen russische Militärfahrzeuge besonders verwundbar für sie sind, werden diese Wurfgeschosse hierzulande medial rehabilitiert und gelten nicht länger als Waffen von Terroristen. Journalisten zeigen sich beeindruckt von den Ukrainern, ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit. Auch von Helden ist die Rede.

An anderer Stelle wird davon geschwärmt, dass die Prawda-Brauerei in Lwiw ihre komplette Produktion auf Brandbomben für jedermann umgestellt habe. Wer möchte, kann ukrainische Kriegsopfer durch den Erwerb eines Miniatur-Selenskyjs in olivgrün und von Mini-Molotowcocktails aus der Produktion des unabhängigen Lego-Herstellers Citizen Brick unterstützen. Die ukrainische Fotojournalistin Julia Kochetova wird uns mit einem Eintrag aus ihrem Tagebuch vom 3. März vorgestellt: »Die Menschen, die ich liebe, sind ununterbrochen mit humanitärer Hilfe unterwegs, frieren an der polnischen Grenze, machen Molotowcocktails und riechen nach Benzin.«

Das ukrainische Internetmagazin »Zaborona« veröffentlichte eine detaillierte Bauanleitung für Brandsätze und versah diese mit dem Hinweis, für diese habe sich die Bezeichnung »Bandera Smoothies« eingebürgert. So wird Stepan Bandera, Nazikollaborateur und Anführer der radikal antisemitischen Organisation Ukrainischer Nationalisten-Banderisten (OUN-B), gehuldigt. Zur Effektivitätssteigerung empfiehlt »Zaborona«, der Benzin-Öl-Mischung reichlich Styropor hinzuzufügen. Damit ähnelt sie Napalm, jener zähflüssigen, klebrigen Masse, die am Ziel haftet und eine starke Brandwirkung entwickelt.

Im Vietnam-Krieg setzten die US-Streitkräfte nahezu 400 000 Tonnen von Dow Chemical produziertes Napalm ein. Ein Foto des jungen AP-Fotoreporters Nick Ut vom 8. Juni 1972 zeigt die neunjährige Vietnamesin Kim Phúc nackt auf der Flucht nach einem Napalm-Angriff der südvietnamesischen Luftwaffe auf Kims Dorf Trang Bang im Rahmen der »Vietnamisierung« des Krieges. Durch diese unvergessliche Schwarz-Weiß-Aufnahme wurde Kim Phúc zu einem lebenden Mahnmal gegen den Krieg. Der englische Graffiti-Künstler Banksy rückte das Foto 2005 auf einem Siebdruck mit dem Titel »Napalm (Can’t Beat that Feeling)« in den Fokus.

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