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  • Ausstellung "Female View"

Mit den Augen einer Frau

Die Fotoausstellung »Female View« zeigt internationale Modefotografie in Lübeck aus rein weiblicher Perspektive

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
Eher eine kokette als laszive Lana del Rey
Eher eine kokette als laszive Lana del Rey

Gibt es einen weiblichen Blick auf den weiblichen Körper? Diese Frage stellt die Schau »Female View – Modefotografinnen von der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter« in Lübeck in der St. Annen Kunsthalle, einem umgebauten Kloster. Und natürlich gibt es ihn. Und natürlich hat er sich auch innerhalb der Jahrzehnte von Beginn der Modefotografie und der Entwicklung zur selbstbestimmten Frau verändert.

»Female View« sei ein »Support für das Gleichgewicht zu den männerlastigen Ausstellungen der Vergangenheit in Lübeck wie anderswo« sagt die Kuratorin Antje-Britt Mählmann. Denn noch immer werde nicht paritätisch ausgestellt, fehle die Wahrnehmung von Künstlerinnen in der Kunstszene, würden bisher Modefotografie-Ausstellungen immer noch meist aus männlicher Perspektive gezeigt. 150 Fotografien von 21 internationalen Künstlerinnen von Amerika bis Wien werden gezeigt. »Frauen müssen auch in der Kunst noch immer härter arbeiten, um in Museen und Galerien gezeigt zu werden« sagt die Kuratorin. Nicht selten finden deshalb in der Arbeit auch Frauen zusammen. So arbeitet beispielsweise die in Brandenburg lebende Fotokünstlerin GABO auch am Set ausschließlich mit Frauen zusammen. Auch an der Ausstellung wirkten ausschließlich Frauen mit.

Fast alle Bilder sind Leihgaben aus anderen Museen, zum Beispiel aus den Hamburger Deichtorhallen oder der Camera Work Berlin. Die Ausstellung beginnt in den Dreißiger Jahren, als die Frau in der Moderne in den Fokus rückte. Ob Bauhaus-Künstlerinnen oder Femme Fatale der Mode, des Varietés oder des Theaters, die Frau tritt aus dem Schatten des Mannes hervor, auch wenn ihr ihr Verhalten nach wie vor von Männern diktiert wird. Dennoch beginnen die Frauen in dieser Zeit, sich zunehmend, auch öffentlich, selbst zu verwirklichen. Und das zusätzlich zu ihrer Rolle als Mutter, Köchin, Hauswirtschafterin.

So wandelt man vorbei an Künstlerinnen wie der US-Amerikanerin Lee Miller, die als Assistentin bei Man Ray in Paris begann. Die Durchhalte-Propaganda fängt ein Bild von ihr 1941 gut ein: Eine Frau steht im karierten Wollmantel auf einer Wiese. Am Himmel voller Wolken zwei Aufklärungsflugzeuge. Für die amerikanische »Vogue« dokumentierte Miller die Verheerungen des Krieges und den Holocaust.

Lillian Bassman fotografiert zunächst dokumentarisch die Folgen des Krieges. Als Kreativdirektorin für das Magazin »Harper`s Bazaar« prägte sie die Modefotografie der Nachkriegszeit. Das Titelbild der Ausstellung stammt von ihr und zeigt eine irische Einwanderin aus der Unterschicht, die sich als Femme Fatale vor der Kamera ausprobiert. »Ich sehe meinen Beitrag zu diesem Genre darin, dass ich Mode fotografiere mit einem weiblichen Blick, der die intimen Gefühle einer Frau kennt«, sagt Bassman über ihre Arbeit.

In den 60ern wird das Klischee von Weiblichkeit durch die sexuelle Revolution stärker denn je in Frage gestellt. Altmodische Tugenden wurden gering geschätzt und gleichzeitig traten mit der dünnen Twiggy nicht unbedingt Frauen mit normalen Körpern ins Scheinwerferlicht. Erst in den 70/80er Jahren wurde weibliche Sexualität offen zur Schau getragen. Dennoch gab es keine freie Offenheit: Einerseits die selbstbewusste, selbstbestimmte Frau und andererseits eine offen präsentierte Sexualität, die eher auf den Bedarf reagierte als Stimme der modernen Frau zu sein. Ellen von Unwerth, das erste deutsche Top-Model und Fotografin, zeigt den Widerspruch auf: »Ich verstehe den weiblichen Körper besser, und ich weiß, welcher Zwang und welche Befreiung gleichzeitig vor der Kamera stattfinden.«

Gleichzeitig traten Fotografinnen in der DDR in die Öffentlichkeit und zeigten ihre Models immer mit Kontext: an Bahnhöfen, in Hinterhöfen, vor Industriekulissen. Immer gab es auch den Diskurs mit dem Umfeld. Und die Arbeiten zeigen die Frau auch in den 60ern bereits als arbeitende Frau. Es gab nie nichtssagende Studioaufnahmen. Immer viel gekonnte Improvisation. Und so sind die Ergebnisse der hier gezeigten Ute Mahler und Sibylle Bergemann, Mitbegründerinnen der Ostkreuzschule für Fotografie, künstlerischer, dokumentarischer und ästhetischer Art. Bergemanns Bilder bilden auch oft die subversive DDR-Kultur der Maler, Schriftsteller und rebellischen Jugend ab. Sie schrieb als eine der bekanntesten deutschen Künstlerinnen der letzten Jahrzehnte Fotogeschichte. Als Chronistin Ost-Berlins entwickelte sie ihre ganz eigene und unverkennbare Bildsprache, ein Mix aus Mystik, Verspieltheit und Melancholie.

Und wie gestaltet sich nun der Blick der Frau auf die Frau? in der Ausstellung sprüht dieser sensitive Blick vor Facettenreichtum. Er ist entrückt, sexy, voller Esprit, Anmut, Eleganz, Attitüde, Frechheit. Wie sie eben ist, die moderne, starke, unabhängige Frau. Und dieser Blick ist hocherotisch, nie sexistisch. Die Kunst des Weglassens, hier öfter in Form des Verdeckens, des Versteckens, ist ganz selbstverständlich der Reiz. Es ist ein natürlicher, kein aufgesetzter Reiz. Selbst die Spaghetti in Eva Padbergs Mund, die in ihr Dekolleté zu fallen droht, ist eher kokett als lasziv. Das Bild spielt mit der Fantasie.
Die Ausstellung will viel. Sie will international sein. Sie will das Kriegsthema, das Thema Frauen und Arbeit, auch das Genderthema behandeln. Auch Avantgarde und Subkultur sind vor allem bei Ellen von Unwerth und Sybille Bergemann vertreten. Weil die Ausstellung diese Breite abbildet, bleibt sie eher eine Überblicksschau. Es bleibt die Hoffnung auf Vertiefung, einzelne Künstlerinnen auch mal allein zu zeigen oder ein Thema noch größer zu machen oder sich nur auf ein Sujet zu fokussieren.

Kunsthalle St. Annen, Lübeck; bis 3. Juli.

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