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Das Leid nimmt kein Ende

Aus der Ukraine mehren sich Berichte von Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind mehr als fünf Millionen Menschen von dort geflohen, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Dabei machen Frauen und Kinder rund 90 Prozent der ins Ausland Geflüchteten aus. Denn während Männer bleiben müssen, um zu kämpfen, können Frauen Schutz suchen, fliehen und in anderen Ländern Zuflucht finden. Doch sicher sind sie deswegen nicht.

»Grundsätzlich ist in Kriegen die öffentliche Sicherheit eingeschränkt und es gibt viel sexualisierte Gewalt«, erklärt Sara Fremberg von der Frauenrechtsorganisation medica mondiale gegenüber »nd«. Dabei werde sexualisierte Gewalt auch als strategische Kriegswaffe eingesetzt, etwa indem die militärische Führung anordnet oder toleriert, dass Frauen vergewaltigt werden.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Mittlerweile kommen erste Berichte sexualisierter Gewalt in der Ukraine an die Öffentlichkeit. Der ukrainische Präsident sprach von Hunderten registrierten Fällen. »Darunter minderjährige Mädchen, Kinder und sogar ein Baby«, so Selenskyj in einer Rede vor dem litauischen Parlament. Auch Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen haben bereits Fälle dokumentiert: »Es war so ekelhaft. Ich will nicht mehr leben«, sagt etwa Jelena. Die Ukrainerin, die eigentlich anders heißt, erzählt der Journalistin Rebecca Barth, dass sie von zwei russischen Soldaten vergewaltigt worden sei. Eine 31-Jährige Frau aus Malaya Rohan, einem Ort in der Region Kharkiv, berichtet gegenüber Human Rights Watch, wie sie ein russischer Soldat am 13. März mehrfach vergewaltigte. Das Ausmaß dieser Form von Gewalt gegen Frauen dürfte erst nach und nach zum Vorschein kommen - vollständig aber wohl nie.

»Schon in Friedenszeiten ist es schwierig, sexualisierte Gewalt zu dokumentieren«, erklärt Fremberg. Die meisten Betroffenen sprechen nicht darüber. Die Gründe dafür sind Stigmatisierung und Ausgrenzung sowie - neben den körperlichen Schäden - psychische Belastungen. Diese können als Trauma bis in die nächsten Generationen getragen werden, betont medica mondiale. Und dann sind da noch ungewollte Schwangerschaften.

Ein Großteil der Geflüchteten aus der Ukraine landet derzeit in Polen. Das Land hat eines der striktesten Abtreibungsgesetze Europas. Die Frauen »sind geschockt, weil die Rechtslage in der Ukraine anders ist als in Polen«, kommentiert Urszula Bertin vom feministischen Kollektiv »Ciocia Basia« gegenüber »rbb24«. Die Organisation, deren Name auf deutsch so viel wie »Tante Barbara« heißt, ist Teil der Initiative »Abtreibung ohne Grenzen«, die Personen beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu Hause in Polen oder im Ausland in Kliniken hilft.

Denn Schwangerschaften abzubrechen ist in Polen seit einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2020 nur noch dann möglich, wenn das Leben der Schwangeren unmittelbar in Gefahr ist oder die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist. Doch selbst in solchen Fällen ist der Zugang zu einer Abtreibung nicht gesichert: Im November 2021 starb eine 30-Jährige aus Pszczyna an einer Sepsis, nachdem die Ärzt*innen darauf warteten, dass der Fötus im Mutterleib von selbst stirbt. Im Januar dieses Jahres starb eine 37-Jährige aus dem südpolnischen Czestochowa, nachdem zunächst der eine Zwilling im Mutterleib starb, wenig später der zweite und die Mutter schließlich an einer Sepsis erkrankte. Die Familie der Verstorbenen wirft den behandelnden Ärzt*innen vor, wegen des strengen Abtreibungsgesetzes in Polen nicht gewagt zu haben, das Leben der Frau durch einen Schwangerschaftsabbruch zu retten. Denn wer Betroffenen hilft, macht sich strafbar, wohingegen die Betroffenen nicht bestraft werden, erklärt Gosia W. von »Ciocia Basia« gegenüber »nd«. »Wobei niemandem klar ist, was ›helfen‹ genau bedeutet.«

Mittlerweile ist sogar eine Person wegen »Hilfe bei der Durchführung einer Abtreibung« angeklagt worden. Der Menschenrechtsverteidigerin Justyna Wydrzyńska drohen wegen ihres Einsatzes für den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen bis zu drei Jahre Haft.

Auch für Betroffene sexualisierter Gewalt aus der Ukraine dürfte es kaum eine realistische Möglichkeit zum Abbruch geben. Denn die Tat muss zuvor bei der Polizei gemeldet werden - oft ein retraumatisierender Moment. Zudem ist unklar, wie die polnische Staatsanwaltschaft mit Straftaten umgehen wird, die in anderen Ländern begangen wurden. Die ukrainische Juristin und Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matviichuk erklärte auf Twitter, dass ukrainische Frauen, die vergewaltigt wurden, in Polen keine Abtreibungen vornehmen lassen können und verwies dabei auf fehlende Strafverfahren.

Doch den Bedarf scheint es zu geben: Laut Organisationen wie »Abtreibung ohne Grenzen« gebe es zunehmende Hilferufe ukrainischer Geflüchteter, die sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung benötigen. Die Gruppe »Aborcyjny Dream Team« spricht gegenüber dem Magazin »Vice« von täglich etwa fünf Anrufen ungewollt schwangerer Ukrainerinnen. »Als der Krieg in der Ukraine begann, übersetzte Aborcyjny Dream Team sofort alle Protokolle und Informationen darüber, wie man Medikamente bekommt und bestellt, ins Russische und Ukrainische«, so Gruppenmitglied Ryś Olimpia. »Sofort meldeten sich Frauen.«

Die polnische Gesetzgebung führt dazu, dass der Kontakt zu helfenden Ärzt*innen kaum vorhanden ist, weiß Gosia W. von »Ciocia Basia«. »Aber es gibt - besonders seit der Verschärfung 2020 - eine ganz große aktivistische Bewegung, so dass Betroffene wissen, wie sie in dieser Situation Hilfe bekommen.« Dabei frage die Gruppe nicht nach, wie die Betroffene schwanger geworden ist oder nach anderen Hintergründen. »Wir sind für radikale Empathie. Wir informieren, aber die Wahl liegt bei der betroffenen Person. Sie kann selbst entscheiden, was sie mit ihrem Körper macht«, so Gosia W.

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Damit verfolgen die Aktivist*innen einen Umgang, der auch gegenüber Betroffenen sexualisierter Kriegsgewalt von Bedeutung ist: nicht zu stigmatisieren und auszugrenzen. »Es ist wahnsinnig wichtig, dass die Gesellschaft anerkennt, dass es Unrecht war und ein Verbrechen ist«, betont Fremberg von medica mondiale. Man müsse vielmehr deren Kraft und Würde anerkennen und den Betroffenen zeigen: Ihr seid damit nicht allein, ihr kriegt jede Unterstützung, die ihr braucht.

Aber auch die medizinische Versorgung und eine langfristige psychosoziale Unterstützung sind laut Fremberg unverzichtbar. »Sie müssen schnell zugänglich sein und kostenlos, sowohl vor Ort, als auch in den aufnehmenden Ländern.« Doch für wirklich nachhaltige Hilfe braucht es mehr. Denn »Vergewaltigung als Mittel der Kriegsführung ist nur eine Konsequenz aus ungleichen Machtverhältnissen«, so Fremberg. »Wenn wir in unseren Gesellschaften die tief verankerte Benachteiligung und sexistische Abwertung von Frauen angehen, dann ist das echte Prävention von sexualisierter Kriegsgewalt.«

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