Ein Minenfeld

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Deutschland verboten, Eingriffe bei Jungen sind legal

  • Johanna Montanari
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 7. Mai ist der weltweite Tag der genitalen Selbstbestimmung. Aktivistinnen fordern zu diesem Anlass alljährlich ein Ende jeglicher nichttherapeutischer Genitaloperationen an Kindern. Sie argumentieren mit der UN-Kinderrechtskonvention und fordern die Einhaltung und Umsetzung von deren Artikel 2 (Schutz vor Diskriminierung), 3 (Vorrang des Kindeswohls) und 24, Absatz 3 (Abschaffung schädlicher Bräuche).

Unterschiedliche Debatten werden unter der Überschrift der genitalen Selbstbestimmung geführt. Hier trifft die Diskussion um Beschneidung von Jungen auf den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung und die Rechte Intersexueller. Rund um diese Themen kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, denn es wimmelt dabei von rassistischen, islamophoben, antisemitischen und cis-normativen Ressentiments.

Das Datum des Aktionstages ist an das sogenannte Kölner Urteil angelehnt: Vor genau zehn Jahren hatte das Landgericht Köln die Beschneidung eines muslimischen Jungen, also eine medizinisch nichtindizierte Vorhautentfernung, als eine strafbare Körperverletzung bewertet. Die jüdische und die muslimische Gemeinschaft wehrten sich und verteidigten ihre Tradition als religiöse Freiheit – mit Erfolg. Ende 2012 kippte der Bundestag den Richterspruch mit breiter Mehrheit und entschied, dass eine Beschneidung der Vorhaut aus jeglichem Grund zulässig ist, solange sie von Ärztinnen ausgeführt wird.

Die Parlamentsentscheidung wurde damals auch von den beiden großen christlichen Kirchen begrüßt, die auf das Grundrecht der Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern pochten. Es sind also insbesondere säkulare Stimmen, die sich für genitale Selbstbestimmung und damit gegen die Beschneidung von Jungen einsetzen.

Weniger kontrovers wird in Deutschland über weibliche Genitalverstümmelung diskutiert, die in vielen Ländern illegal ist und zu dauerhaften Schmerzen und großen gesundheitlichen Problemen führt. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Frauen davon betroffen. Vor allem in westlichen, östlichen und nordöstlichen Regionen Afrikas, in einigen Ländern Asiens sowie im Nahen Osten ist diese Praxis verbreitet.

In Deutschland leben geschätzt 68 000 Frauen, denen im Kindesalter die Klitoris und/oder Teile der Schamlippen amputiert wurden. Damit es nicht noch mehr werden, fordern Frauenorganisationen seit vielen Jahren ein entschiedenes Vorgehen dagegen. Nach Schätzungen des Familienministeriums sind hierzulande bis zu 14 000 Mädchen akut bedroht.

Die neue Bundesregierung hat deswegen am 5. Februar einen sogenannten Schutzbrief vorgestellt. Er soll Familien mit Informationen und Argumenten davon abhalten, auf Reisen ins Herkunftsland eine Genitalverstümmelung an ihren Töchtern durchführen zu lassen.

In dem Schreiben wird darauf hingewiesen, dass die weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland auch dann strafbar ist, wenn sie im Ausland vorgenommen wird und dass dafür bis zu 15 Jahre Haft und der Verlust des Aufenthaltstitels drohen. Der Flyer liegt seither bei NGOs, Beratungsstellen und Arztpraxen aus.

Bei den Rechten intersexueller Kinder hat sich in den letzten Jahren viel getan. Ungefähr jedes tausendste Kind kommt mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Intersexuelle Aktivist*innen wehren sich dagegen, von der Gesellschaft deswegen als krank oder unvollständig angesehen zu werden.

Noch bis 2007 galt die ärztliche Empfehlung, uneindeutige Genitalien chirurgisch an die »normale« weibliche oder männliche Form anzupassen. Der Eingriff sollte innerhalb der ersten sechs Lebensmonate vorgenommen werden. 2012 empfahl der Deutsche Ethikrat, intersexuelle Personen selbst über ihr Geschlecht entscheiden zu lassen, wenn sie alt genug dafür sind. Seit 2013 ist es nicht mehr vorgeschrieben, das Geschlecht von Säuglingen ins Geburtenregister einzutragen, sodass auch kein rechtlicher Grund für Zwangsoperationen mehr besteht.

2018 urteilte das Bundesverfassungsgericht, das Grundgesetz schreibe keine binäre Geschlechterordnung vor. In der Folge wurde im Personenstand die Geschlechtsoption »divers« eingeführt. Im vergangenen Jahr verabschiedete der Bundestag das »Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung«, das Operationen und Behandlungen sogar verbietet, wenn sie ausschließlich der Angleichung an ein Geschlecht dienen sollen. Eingriffe dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person erfolgen oder müssen gerichtlich genehmigt werden. Für intersexuelle Menschen ist also nicht nur genitale Selbstbestimmung, sondern auch der Abschied vom rein biologischen Geschlechterverständnis wichtig.

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