Die Friedhöfe der Imperien

Über den Aufstieg und Fall der Supermächte

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.
Großmächte: Die Friedhöfe der Imperien

Die Flucht der US-Amerikaner aus Kabul, im Spätsommer vergangenen Jahres, stellte das Scheitern eines großangelegten strategischen Entwurfs des Westens dar.Der sogenannte »War against Terror«, welcher von der Bush-Administration nach 9/11 ins Leben gerufen wurde, hat 20 Jahre später, also ein Zeitraum dreimal so lange wie die Dauer des Zweiten Weltkriegs, weder den Terror besiegt, die Welt sicherer gemacht oder das Phänomen des Dschihadismus beseitigt. Es wurden auch keine »Leuchttürme der Demokratie« errichtet, wie damals großspurig verkündet, schon gar nicht im Irak, wo Isis zeitweilig ein riesiges Territorium beherrschte.Auch nicht in Afghanistan, wo man den Taliban wich.

Die westlichen Strategen hätten es besser wissen müssen

Am 15. Februar 1989, vollzog sich der sowjetische Rückzug aus Afghanistan. 10 Jahre zuvor, als die UdSSR noch eine Supermacht war, begann die Invasion der »ruhmreichen Sowjet-Armee« im südlichen Nachbarland. Nach zehnjähriger Okkupation ‑durch 130.000 Sowjetsoldaten-mitsamt einem Aufgebot von Hunderten, vielleicht Tausenden von Panzern, waren sie dem Zermürbungskrieg der Mudschaheddin erlegen.In Moskau hoffte man damals, einem Übergreifen des islamistischen Flächenbrandes auf das eigene Territorium, bzw. auf die eigenen muslimischen Ethnien, durch diesen Rückzug, entgegenwirken zu können.Einige Monate später sollten die kommunistischen Staaten in Mitteleuropa, von Warschau bis Sofia, stürzen,beziehungsweise die Mauer in Berlin fallen. 1991 kam es dann zur Auflösung der Sowjetunion selbst. 1996, nach der Einnahme Kabuls durch die Steinzeit-Islamisten der Taliban, fiel Nadschibulla, der sowjetische Stadthalter in Kabul, einer blutigen Abrechnungzum Opfer.

Feindbild China

30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, nach der Überwindung des Ost-West-Konfliktes, hat sich die Nato darauf geeinigt, die Volksrepublik China und ihre politische und wirtschaftliche Potenz als »Herausforderung« einzustufen. Skeptiker könnten vermuten, dass das westliche Militärbündnis nach dem Verlust seiner einstigen Gegner gar nicht anders kann, als regelmäßig neue Feindbilder zu konstruieren, schon allein deshalb, um seine eigene Existenz zu rechtfertigen. Am Umgang mit der Volksrepublik Chinas offenbart sich jedoch mit betrüblicher Deutlichkeit, in welchem Ausmaß den Europäern und Amerikanern das geschichtliche Bewusstsein verloren gegangen ist.Die Fehldiagnose des amerikanischen Politologen Francis Fukuyama vom »Ende der Geschichte« war auf allzu fruchtbaren Boden gefallen. Die westliche Welt begegnet dem phänomenalen Aufstieg Chinas in den Rang der zweiten Weltmacht mit einem Gemisch aus Arroganz und Missgunst. Die kaum zu bändigende Dynamik der Volksrepublik erzeugt wachsende Furcht, ja die Ahnung des eigenen Rückfalls in unerträgliche Mittelmäßigkeit.

Die mittlerweile schon fast krankhafte Abneigung gegenüber China, die immer wieder in der westlichen Berichterstattung sichtbar wird, hängt wohl auch damit zusammen. Viele westliche Wortführer fordern heute mit der »Menschenrechtskeule« äußerst selektiv »Reformen« im Reich der Mitte ein. Doch gleichzeitig schränken sie im Westen demokratische Grundrechte ein. Das westliche Modell ist zum »Ladenhüter« geworden. Der Historiker Niall Ferguson analysiert in seinem Buch»Der Niedergang des Westens« den Verfall jener vier Säulen, auf denen einst die Weltherrschaft des Westens ruhte:repräsentative Demokratie, freie Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft. Sie degenerieren, so Ferguson, zunehmend zu den Gefahrenquellen von nachlassenden Wachstum, explodierende Staatsschulden, zunehmende Ungleichheit, alternder Bevölkerungen sowie auseinanderbrechenden Sozialgefügen. Unabhängig davon, welche innenpolitischen Folgen sich daraus in naher Zukunft ergeben:außenpolitisch ist unser politisches Modell-vor dem Hintergrund einer völlig anders gearteten Staatenwelt-zum Ladenhüter geworden.

Das späte 20. und 21. Jahrhundert sind für die USA und Europa in vielerlei Hinsicht katastrophal gewesen. Der Kampf um Einfluss gerade in jenen Regionen, die Ost und West miteinander verbinden, ging verloren. Russland und der Westen verloren dabei die Fähigkeiten, welthistorische Vorgänge wahrzunehmen und darauf angemessen zu reagieren. Sowohl beim so genannten »Krieg gegen den Terror«wie auch beim Versuch der Nato in die Weiten des eurasischen Raumes an die Ufer des Kaspischen Meeres vorzudringen-wie auch bei der Invasion der Ukraine , wurden historische Betrachtungen ignoriert. Mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in der Ukraine ist eine geopolitische Bombe explodiert. Der Westen muss sich entscheiden. Erst wenn man in Brüssel, London und Washington einen neuen realistischen Blick auf die Welt wagt, ja wenn man die globale Veränderung in Richtung einer multipolaren Welt als Chance betrachtet, kann eine große Konfrontation mit den nicht westlichen Mächten vermieden werden.

Diese Einsicht muss von den Menschen im Westen selbst geleistet werden. Ob das Zeitalter des Westens an einen Scheidewegangekommen ist oder gar seinem Ende, wird die Geschichte offenbaren. Das Prinzip des unerbeittlichen Aufstiegs und Falls der Imperien, welcher eine Konstante der Weltgeschichte darstellt, ist auch heute noch gültig. Schon zu Zeiten des Imperium Romanums galt folgende Redensart:»Rom fällt nicht von Feindeshand, es ist der Zahn der Zeit, der an ihm nagt.« Die gesamte europäische Gesellschaft ist in eine tödliche Spirale eingetreten, in welcher aus kurzsichtigem Wettbewerbsdenken, Casinokapitalismus und naiv-optimistischer »political correctness« notwendigerweise Frustration, Wirtschaftskrise, Fundamentalismus, Terrorismus, Populismus und schließlich unweigerlich der Sicherheitsstaat entstehen. Es liegt an uns Bürgern, dieses zu verhindern.

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