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Schaut nach Osten!

Frankfurt (Oder) möchte das Zentrum Deutsche Einheit haben

In Frankfurt posieren am Ufer der Oder der Oberbürgermeister René Wilke (Linke), Außenminister Annalena Baerbock (Grüne) und Julia von Blumenthal, scheidende Präsidentin der hiesigen Europa-Universität Viadrina, für Fotografen. Jenseits des Flusses ist das polnische Słubice zu sehen. Dessen Bürgermeister Mariusz Olejniczak gesellt sich zum Gruppenfoto dazu. Am Montag ist das gewesen. Wenn es nach den drei Politikern und der Wissenschaftlerin geht, soll auf einem Grundstück an der Stadtbrücke ein Zentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit entstehen. Frankfurt (Oder) bewirbt sich als Standort. 200 Millionen Euro für den Bau winken dem Sieger einer Ausschreibung, die voraussichtlich nach der Sommerpause gestartet werden soll, außerdem 180 Arbeitsplätze und 43 Millionen Euro jährlich für die laufenden Kosten. Der Bund bezahlt.

Oberbürgermeister Wilke stellt die Bewerbung am Mittwoch im Kulturausschuss des Landtags vor. Seine Kommune werde als Favorit gehandelt, kann er sagen. Es kommen ausschließlich ostdeutsche Städte in Frage. In anderen Bundesländern gebe es mehrere Interessenten, Frankfurt (Oder) dagegen habe bereits zwei Länder hinter sich: Neben Brandenburg unterstützt auch Berlin die Ansiedlung. Ein »Pfund«, mit dem sich nach Ansicht von Wilke wuchern lässt. Anders als in Leipzig, das sich ebenfalls als Standort anbietet, waren die Nachwendejahre in Frankfurt (Oder) sehr hart. Das wirkt bis heute nach. Einwohnerschwund, Arbeitslosigkeit und hohe Kinderarmut lauten die Stichworte. Doch der Oberbürgermeister betont: »Frankfurt bewirbt sich nicht auf dieses Zentrum, weil es das dringend nötig hat.« Seit seinem Amtsantritt 2018 konnte der Schuldenberg von 120 Millionen Euro auf 39 Millionen reduziert werden. Die Stadt habe es nicht leicht, befinde sich nun aber auf gutem Weg, findet Wilke. Hier könne gezeigt werden, welche Chancen nach der Wende ergriffen wurden und welche nicht. Aus den Erfahrungen, die gemacht wurden, lasse sich etwas für die Zukunft lernen. Eine Million Besucher im Jahr sind angepeilt, darunter Schulklassen.

Frankfurt (Oder) fasst eine Brache ins Auge, auf der früher Wohnungen und eine Kaufhalle standen. Das passt zum Thema Transformation. Die europäische Dimension ergibt sich aus der Nachbarschaft zu Polen. Die Universität Viadrina – eine Hochschule am Ort gehört zu den 13 Auswahlkriterien – ist verbandelt mit dem Collegium Polonicum in Słubice. Seine Heimatstadt erfülle alle 13 Kriterien, sagt Wilke. Sie sei »der europäischste Ort, den man in diesem Wettbewerb aufbieten kann«. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) springt Wilke zur Seite. Frankfurt (Oder) sei »liebens- und lebenswert«, schwärmt sie. Das ist nicht überraschend. Die Ministerin ist dort geboren und aufgewachsen. »Brachial« seien die ökonomischen Umbrüche der Wende gewesen, erzählt Schüle. Vor 30 Jahren habe es mangels Perspektive in der Heimat geheißen: »Go west« (Geh in die Westen). Heute müsste es heißen: »Look east« (Schau nach Osten).

Wilke holte bereits viele Unterstützer ins Boot. Im Kulturausschuss sagt er den Landtagsabgeordneten: »Da alle anderen im Land Brandenburg schon überzeugt sind, wäre es schön, wenn sie sich auch noch überzeugen lassen.« Bei dem Abgeordneten Julian Brüning (CDU) geht das ganz fix. Er studierte in Frankfurt (Oder) und sichert seine Hilfe zu.

Dagegen schimpft die AfD-Abgeordnete Daniela Oeynhausen, sehr teuer und ideologisch ausgerichtet sei der Plan. Sie stört sich an Aussagen des Ex-Ostbeauftragten Marco Wanderwitz (CDU), der eine Arbeitsgruppe zum geplanten Zentrum leitete. Er hoffe, dass die in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung vorhandene »kritisch-pessimistische Haltung zur parlamentarischen Demokratie und zur sozialen Marktwirtschaft« geändert werden könne, hatte Wanderwitz im Sommer 2021 erklärt. Oeynhausen sieht in dem Vorhaben eine Reaktion auf Wahlerfolge der AfD. Aber ihr AfD-Fraktionskollege Wilko Möller kommt aus Frankfurt (Oder) und würde die Investition von 200 Millionen Euro begrüßen. Im Stadtparlament gab es einen einstimmigen Beschluss, sich zu bewerben. Ende des Jahres soll die Standortentscheidung gefallen sein, damit das Zentrum bis 2027 fertig wird.

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