Übung für den Ernstfall

Unfallchirurgen fordern bessere Vorbereitung auf Notfälle mit vielen Verletzten

Die Unfallchirurgen konnten in den beiden Pandemiejahren nur kurz aufatmen: Zwar gab es weniger schwer verletzte Verkehrsunfallopfer, sogenannte Polytraumata, dafür aber mehr Unfälle im Haushalt. Dieser Teil der Bilanz war aber bei der 4. Notfallkonferenz der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) in Hamburg nur das geringste der Probleme. Die Ärzte tauschten sich hier Ende der vergangenen Woche unter anderem darüber aus, wie unter Pandemiebedingungen die Versorgung zu sichern ist: Dabei ging es darum, wie im Schockraum gearbeitet werden kann, wenn damit gerechnet werden muss, dass der Patient mit Sars-CoV‑2 infiziert ist. Oder wie bei Eingriffen die Raumlufttechnik in den OP-Sälen anzupassen ist, damit sich Operateure und Assistenzkräfte nicht infizieren.

Die Konferenz fand in Kooperation mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie statt, und zwar nicht vordergründig aus Anlass des Krieges in der Ukraine. Seitdem in Europa in den vergangenen Jahren immer wieder terroristische Attentate mit vielen Opfern zu beklagen waren, versuchen auch Notfallmediziner hierzulande, sich auf derartige Einsätze möglichst gut vorzubereiten. Laut Michael J. Raschke, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Münster, ist man jetzt aber unter anderem damit konfrontiert, dass die Kapazitäten der Intensivstationen wegen Personalmangel noch einmal 30 Prozent geringer sind als vor der Pandemie. Hinzu kommen aktuelle Einschränkungen auf Grund der Pflege-Streiks an den Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen. Raschke berichtete davon, dass unter anderem an der Universitätsklinik Köln aus diesem Grund die Notaufnahme geschlossen werden musste.

Hauptproblem angesichts vergangener und möglicher zukünftiger Notlagen im Gesundheitssystem ist auch für die Unfallchirurgen, wie die nötigen Ressourcen und Strukturen vorgehalten und finanziert werden können. Zwar gibt es etwa 50 sogenannte Trauma-Netzwerke in Deutschland, jeweils Kooperationen von Kliniken, die bei lokalen Überlastungen sowohl Patienten verlegen können, aber auch bereit wären, Material oder sogar Personal an andere Häuser abzugeben. Eine Arbeitsgemeinschaft der DGU erstellte nun einen 5‑Punkte-Plan, in dem die Aufgaben formuliert sind, die in den nächsten Jahren sichern sollen, dass die medizinische Versorgung immer gut gelingt, egal, ob es sich um Opfer von Terroranschlägen oder Naturkatastrophen handelt.

Gefordert werden in dem Plan unter anderem Informationsveranstaltungen für Verantwortliche außerhalb der Medizin, eine Verbesserung der Erstversorgung an den Kliniken, wenn es zu einem »Massenanfall von Verletzten« kommt, oder auch die verbindliche Aus- und Weiterbildung von Ärzten zum Thema »umfängliche Traumachirurgie«. Bei letzterem müsse sichergestellt werden, dass im Einsatzfall klar ist, wo diese Mediziner zu finden sind. Bei allen Notfallplanungen sei es wichtig, die Anwendung auch zu üben. Zu oft finden diese Übungen aber nur in kleinerem Rahmen statt. Notwendig sei, alle entsprechenden Teile von Kliniken einzubeziehen. Das koste allerdings, sei im alltäglichen Betrieb kaum zu organisieren und erfolge zu selten. Die Unfallchirurgen kritisierten, dass die Bundesländer hier in der Regel zu nachlässig sind. Nur Berlin und Hamburg seien konsequent bei größeren Übungen. Auch im Saarland habe sich schon etwas in diese Richtung geändert, vor allem wegen der direkten Nachbarschaft und Kooperationen mit Frankreich, so Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfall‑, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes.

Mittlerweile treffen in deutschen Krankenhäusern erste Kriegsverletzte aus der Ukraine ein. In zentralen Strukturen sind 300 Personen erfasst, erklärt Benedikt Friemert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Durch Transportschwierigkeiten in der Ukraine seien diese aber noch nicht alle in Deutschland eingetroffen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Kriegstraumatisierten, die Krankenhäuser hierzulande privat erreichten. Auch für die Gruppe der psychisch Traumatisierten könne man keine Angaben machen. Bei einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine rechnen die Unfallchirurgen jedoch mit einem starken Anstieg von Verletzten, die auch in Deutschland versorgt werden. Der Krieg dort verdeutliche, dass auch hierzulande Vorkehrungen für den Verteidigungs- oder Bündnisfall getroffen werden müssten, im medizinischen Bereich auch unter Einbeziehung ziviler Strukturen.

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