Endlich wichtig

Olga Hohmann hat das Gallery Weekend in Berlin besucht – und darf sich nun selbst zu den sehr wichtigen Menschen zählen

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Neulich verbrachte ich mehrere Tage in Gesellschaft von sehr wichtigen Menschen. Es fand, wie jedes Jahr Ende April, das sogenannte Gallery Weekend statt. Der Zirkus begann für mich bereits am Mittwochabend, als mir auf der Reservierungsliste des Restaurants, in dem ich arbeite, die Namen einschlägiger Vertreter*innen der Berliner Kunstszene begegneten. Ich bediente diese sehr wichtigen Menschen mit besonderer Hingabe, indem ich versuchte durchblicken zu lassen, dass ich eine von ihnen war. Während ich die Vorspeisenteller abräumte, lachte ich laut über einen Art-World-Insiderwitz, der am Tisch erzählt wurde, um zu demonstrieren, dass ich ebenfalls eine Eingeweihte war. Der Lacher war mir dann doch etwas zu schrill geraten, jedenfalls reagierte der Tisch mit irritiert-betretenem Schweigen.

Nach meiner Schicht raffte ich mich, todmüde von der Arbeit, zur Afterparty einer Eröffnung auf der Leipziger Straße auf. Ich kannte die meisten Leute, die vor der Tür standen und rauchten, drinnen war es eher leer, aber atmosphärisch beleuchtet. Ich sah meine Freundin M., die einladende Künstlerin, von außen vorbeitanzen und wollte gerade auf sie zustürmen, um sie zu begrüßen und ihr zu gratulieren, als der Türsteher, den ich vorher gar nicht bemerkt hatte, mich zurückhielt und nach meinem »pinken Bändchen« fragte. Alle, die auf dem Opening gewesen waren, schienen so ein Armband bekommen zu haben. Da ich bis halb eins Besteck poliert hatte, habe ich das leider versäumt. Der Türsteher war trotzdem süß und zwinkerte mir aufmunternd zu.

Ich war erleichtert, denn ich wollte eigentlich nur ins Bett. Ich rief meinen Freund S. an, der bei einer anderen Eröffnung in Charlottenburg war – wissend, dass ich es dort auf keinen Fall hinschaffen würde. Ich brauchte das Gefühl, irgendwo anders ausdrücklich erwünscht zu sein. S. schien mäßig begeistert von meinem Anruf, im Hintergrund hörte ich lautes Lachen und schrille Freudenschreie. Dann klang es, als ob etwas zu Bruch ging. S. meinte, er sei gerade »busy« und legte auf. In diesem Moment kam mein Freund P. vorbei, der ebenfalls mäßig beeindruckt davon war, mich zu sehen. Er schlenderte, Arm in Arm mit zwei seiner Freund*innen, mit glasigen Augen an mir vorbei in Richtung Party. Ich sagte: »Hey, do you have a pink thing to get in?« Er sagte, ohne sich umzudrehen, in einer Art Singsang: »We get in without a thing.« Eine halbe Minute später war die eingehakte Gruppe am Türsteher vorbei durch den Eingang zur Party gegangen. Mich überkam eine große Traurigkeit, also schaute ich pseudo-beschäftigt auf mein Smartphone, während ich zu meinem Rennrad lief, um so schnell wie möglich nach Hause zu fahren.

Irgendwie hatte ich es trotz des enttäuschenden Abends geschafft, beim Besteckpolieren ordentlich vorzuglühen, ich hatte ja nicht ahnen können, dass es kein Nachglühen geben würde. Am nächsten Nachmittag schleppte ich mich ziemlich verkatert, aber mit leuchtendem Lippenstift zu meinem anderen Job als Kunstvermittlerin. Da es sich dieses Mal um ein (von einem italienischen Fashion Brand gesponsertes) Event handelte, trat ich eher in der Funktion einer Hostess auf – die Zusammenstellung meines Outfits war mindestens so wichtig wie meine fachliche Kompetenz. Leider hatte ich mir auf dem Fahrrad eine Laufmasche geholt und musste schnell noch eine neue Feinstrumpfhose kaufen, die ich in einem Hinterhof anzog. Anscheinend hatte ich es allerdings geschafft, das richtige Outfit zu wählen, denn mehrere teuer angezogene Leute kamen auf mich zu, um mir zu sagen: »I love your shoes.« Das Personal ging stetig auf und ab und bot allen alkoholfreien Champagner an, es waren sich alle dessen bewusst, dass das fünftägige Wochenende gerade erst begonnen hatte – und man sich etwas zusammenreißen musste. Die Lustfeindlichkeit erstreckte sich auch auf die Afterparty, die extrem fancy, aber wenig ausschweifend war.

Es waren so viele wichtige Menschen da, dass ich gar nicht wusste, wen ich strategischerweise hätte kennenlernen sollen. Auch die Menschen, an deren Tisch im Restaurant ich zu laut gelacht hatte, waren wieder around und schauten mich verwirrt an: Irgendwie kam ihnen mein Gesicht wohl vertraut vor, ohne dass sie es zuordnen konnten. Wer würde auch annehmen, dass die Kellnerin vom Vorabend sich bei so einem hochkarätigen Event aufhält? Als Hostess war ich in diesem Fall auch erst auf den dritten Blick als Servicepersonal zu erkennen. Am Ende des Abends war ich, so schien es mir, die einzige Betrunkene auf der Party und wünschte mir zunehmend, irgendwen um mich herum attraktiv zu finden. Es fiel mir leider schwer, jemanden zu finden, der mir gefiel, der einzige, mit dem ich wirklich netten Blickkontakt gehabt hatte, war (wieder) der Türsteher. Ich kratzte die Kurve, bevor ich in Versuchung kam, etwas Peinliches zu tun – immerhin wollte ich meinen Job unbedingt behalten.

Spätestens als ich am nächsten Abend bei einer Party landete, die ebenfalls von einem italienischen Modelabel gesponsert war, kam ich mir vor wie in einer Art-World-Persiflage á la »The Square«. Auch hier sah ich dieselben Gesichter wie an den zwei Abenden vorher. Der Strange, I’ve seen this face before-Moment, den sie vorher mit mir gehabt hatten, war verflogen. Stattdessen waren sie sich nun ganz sicher, dass es sich bei mir ebenfalls um einen sehr wichtigen Menschen handeln musste – sonst wäre ich ja nicht andauernd in ihrer Nähe. Wir plauderten freundlich und professionell, während wir warteten, auf den Balkon gelassen zu werden – zum Rauchen musste man nämlich, aus Gründen der Statik der massiv stuckverzierten Fassade, anstehen: Auch hier war wieder ein sehr freundlicher Türsteher für das Management der Zigarettenschlange verantwortlich.

Als ich einen der sehr wichtigen Menschen zwei Wochen später zufällig in der Victoria Bar wiedertraf, küsste er mir zur Begrüßung die Hand. Ich glaube, ich bin jetzt auch ein sehr wichtiger Mensch, ohne dass ich etwas dafür getan habe. Dabei sein ist scheinbar alles.

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