Nieder mit den Blechmaschinen!

Die US-republikanischen Kollegen wären stolz auf die deutsche FDP, meint Clara Thompson

  • Clara Thompson
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach den Protesten gegen die A49 im Jahr 2020 im Dannenröder Wald haben wir immer gesagt: »Diesen Wald konntet ihr uns vielleicht nehmen. Aber es gibt noch weitere 850 Kilometer Autobahn, die gebaut werden sollen. Keinen Meter Autobahn mehr, nirgendwo!« Seitdem ist viel passiert. Und tatsächlich sind über ein Dutzend neue Waldbesetzungen auf geplanten Autotrassen alleine in Deutschland aufgeploppt. Freund*innen aus Österreich haben wirklich Großes geschafft und eine Autobahn, die Lobau-Autobahn bei Wien, tatsächlich verhindert. Auch hiesig war die Motivation groß – doch dann kamen Dämpfer: Erst Corona, dann der Krieg und jetzt, ja man kann es nicht anders sagen, die FDP.

Das ist also diese Partei der Autofahrer*innen, der Freiheit, wie auch immer sie sich gerne nennen. Es ist aber auch die Partei der Minderheit, auch wenn sie es nicht gerne hört. Denn das ist die Konsequenz, wenn immerhin 75 Prozent der Deutschen für ein Tempolimit sind, sich die FDP aber weiterhin quer stellt. Es erinnert ein bisschen an die republikanische Partei in den USA: Egal, wie viele US-Amerikaner*innen für strengere Waffengesetze, für das Recht auf Abtreibung oder für universale Krankenversicherungen sind, individuelle »Freiheit« ist immer ein bisschen wichtiger als der Wunsch der Mehrheit. Liebe FDP, die republikanischen Kollegen wären stolz! Aber sollte man darauf stolz sein?

Gerade ist das Thema ÖPNV und Mobilität natürlich in aller Munde, denn bereits nächste Woche gibt es drei Monate lang das 9-Euro-Ticket. Zum ersten Mal werden wir erleben dürfen, wie es ist, wenn Menschen sich einfach frei bewegen dürfen – ohne viel Geld zu zahlen, ohne von einer Blechmachine abhängig zu sein und dazu noch mit einer deutlich verringerten Unfallgefahr im alltäglichen Verkehr. Denn es stimmt: Allein in Deutschland kommen pro Tag sieben bis acht Menschen allein im Autoverkehr um. Im Jahr 2021 waren es über 2500 Menschen, die im Straßenverkehr gestorben sind. Das sind unbegreifliche Zahlen. Ich würde behaupten: Würde es sich um ein anderes Verkehrsmittel handeln, eines, hinter dem nicht zufällig eine der stärksten deutschen Wirtschaftsindustrien steckt, hätten wir das Auto schon längst abgeschafft.

Aber nun leben wir damit. Und bauen fleißig Infrastruktur dafür. Denn die Rechnung, die seit über 80 Jahren gemacht wird, und auch seitdem nicht aktualisiert wurde, bleibt gleich: Anbindung heißt Wohlstand. Und es stimmt ja auch! Menschen und Orte miteinander zu verbinden und Mobilität zu ermöglichen, ist wichtig. Aber warum diese Anbindung alleine durch Autostraßen, und nicht vielleicht mal durch die Reaktivierung von alten Bahnlinien ermöglicht werden darf, bleibt weiterhin von den politischen konservativen Reihen unbeantwortet. Wunderbar hat eine Richterin vom Bundesverwaltungsgericht vergangenen Monat in Leipzig bei der Verhandlung gegen die Autobahn A14 dieses Phänomen erklärt: Der Grund, warum die Autobahn weiter gebaut werden dürfe, sei nicht unbedingt die erwartete Verkehrsbelastung. Dass diese eher gering sei, sei egal, denn es ginge um die Anbindung einer nicht erschlossenen Region. Auch Bundesstraßen zählen nicht als Anbindung. Autobahnbau, let’s go!

Das Potenzial des Zugverkehrs kann man dabei einfach mal übersehen. Egal, dass bereits über eine Million Menschen ein 9-Euro Ticket gekauft haben und sie offensichtlich bisher Gründe davon abgehalten haben, auf die Bahn umzusteigen – das Auto bleibt King. Diese Auto-Fokussierung der Politik spiegelt sich auch in den Subventionen wieder: Während pro Jahr ca. 2,2 Milliarden in das Schienennetz gesteckt werden, verabschiedet unser Auto-, äh, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mal lockere 70 Milliarden Euro für die Investition in den Autoverkehr. Und wundert sich, warum sich die Klimabilanz des Verkehrssektors seit Jahren nicht ändert.

Die nächste Chance zu zeigen, dass es Deutschland mit der Mobilitätswende doch zumindest etwas ernst meint kommt nächste Woche Dienstag. Dann entscheidet das Bundesverwaltungsgericht wieder über eine Autobahn – dieses Mal über die A20, die große Küstenautobahn, die durch zahlreiche CO2 speichernde Moore führen soll. Ich habe neulich eine Person kennen gelernt, die sich schon damals vor 20 Jahren gegen die Autobahn eingesetzt hat. Sie fand schon damals: die Autobahn werde nicht gebraucht, unnötigerweise müssten Naturflächen zerstört werden.

Seitdem sind 20 Jahre vergangen und der Widerstand lebt immer noch. Es zeigt ganz klar: Die Leute sind am Ende ihrer Geduld angekommen. Etwas ändern wird sich nur, wenn wir zusammen kommen und laut werden. Und dafür haben wir jetzt die beste Chance. Lasst uns in den Nahverkehrszügen mit unseren 9-Euro-Tickets miteinander ins Gespräch kommen und aushecken, wie wir das Autosystem kippen können – all das, weil viele Menschen drei Monate lang dankenswerterweise nicht alleine in ihren Blechmaschinen hocken müssen.

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