Sanktionen mit wenig Wirkung

Russland ist finanziell auf längere wirtschaftliche Auseinandersetzungen vorbereitet

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der deutsche Industrieverbandsboss Siegfried Russwurm will Russland wirtschaftlich »isolieren«. Das kündigte der BDI-Präsident am Montag auf der Hannover-Messe an. Anlass war ein »Drei-Verbände-Pressegespräch«, das sein Verband zusammen mit dem Maschinenbauverband VDMA und der Lobbyorganisation der Elektroindustrie, ZVEI, in der »Eventlocation« in Halle 18 veranstaltete.

Teile der Wirtschaft folgen damit den Vorgaben der Politik. So hatte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock kürzlich in der ARD gefordert, Russland dürfe wirtschaftlich »auf Jahre« nicht mehr auf die Beine kommen. Trotz weitreichender Sanktionen bezweifeln Ökonomen, dass dies wirklich gelingen kann. »Ausgehend von den verfügbaren Daten wird ein Energieembargo die Stabilität der russischen Wirtschaft nicht entscheidend beeinträchtigen«, meint Alfons Weichenrieder, Professor am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung in Frankfurt/Main. Drastische Einnahmeverluste bei Öl und Gas konnten bereits in der Vergangenheit großteils durch höhere öffentliche Defizite kompensiert werden, so zum Beispiel in den Jahren 2011 bis 2016. »Geringere Kapitalexporte und der Druck auf inländische Investoren zum Kauf russischer Staatspapiere dürften die Finanzlücke nun schließen«, so Weichenrieder.

Außerdem weist der Ökonom auf einen Vorteil von Rohstoffen im Vergleich zu Waren und Dienstleistungen hin: »Die Rohstoffeinnahmen sind nicht verloren.« Jede Einheit, die heute wegen westlicher Sanktionen nicht gehoben werde, könne in Zukunft abgebaut werden. Selbst ein vollständiges Embargo würde nur eine Vermögensumschichtung, aber keinen Vermögensverlust verursachen. Das ist anders bei etwaigen Produktionsausfällen im Westen. Wenn Kapazitäten brachliegen, könne das nur sehr beschränkt in Zukunft wieder aufgeholt werden. Vor diesem Hintergrund ist auch die Warnung von ZVEI-Präsident Gunther Kegel auf der Hannover-Messe zu verstehen, dass Sanktionen »Russland mehr treffen sollten als uns«.

Hoffnungen auf ein zeitnahes Einlenken Moskaus im Ukraine-Krieg dürften enttäuscht werden, zeigt sich Rolf Langhammer vom Kiel-Institut für Weltwirtschaft überzeugt. Russland habe in den vergangenen Jahren sichtbare Erfolge beim Aufbau einer stabilen Finanzlage erreicht. Dazu gehören eine im internationalen Vergleich sehr niedrige öffentliche Verschuldung (20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), hohe Ersparnisse, eine zurückhaltende Ausgabenpolitik und eine starke Reservebildung. Gleiches hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem im Januar veröffentlichten Länderbericht attestiert.

Hinzu kommt die paradoxe Wirkung der Sanktionen. Sie haben die Preise für Öl, Gas und Kohle, die schon seit 2021 steigen, weiter in die Höhe getrieben. So liegt der jetzige Ölpreis von rund 120 US-Dollar je Barrel weit über dem vom IWF geschätzten notwendigen Preis für einen ausgeglichenen Haushalt Moskaus von 10 bis 15 Dollar. Laut Medienberichten nehmen zudem die Exporte in Länder wie Indien oder China zu, die sich den Sanktionen verschließen. Ein Öl-Embargo der EU dürfte dies noch befördern.

»Strukturell helfen Russland die geringe Bedeutung des privaten Dienstleistungssektors und das hohe Ausmaß geschützter Beschäftigung im öffentlichen Sektor«, erläutert Handelsexperte Langhammer. Diese Beschäftigten sicherten Präsident Putin die politische Unterstützung eines Großteils der 145 Millionen Russen. Und sie werden von der Regierung bevorzugt alimentiert und durch Preiskontrollen oder Einkommenshilfen vor den Folgen des Inflationsanstiegs geschützt. Langfristig »sehr negative Folgen« erwartet Langhammer dagegen vom Ausfall wichtiger Kapitalgüter aus dem Ausland.

Russlands Volkswirtschaft ist mit einem BIP von 1704 Milliarden Dollar halb so groß wie die deutsche. Das Land hatte sich in den 1990er Jahren in der strukturellen Falle einer rohstoffbasierten Exportwirtschaft verrannt, die von Konsumgüterimporten abhängt, schreibt Vinzenz Hediger von der Frankfurter Goethe-Universität in der »FAZ«. Die Gewinner der Kuponprivatisierung gaben ihr Geld für teure Luxusgüter aus, statt in Technologie zu investieren.

Ein Problem ist auch die Geografie. Russland verfügt nur über wenige dauernd eisfreie Häfen. Überlandtransporte sind teuer, die Distanzen riesig und die Infrastruktur schlecht. In der Putin-Ära versuchte die Politik gegenzusteuern. Und seit den ersten westlichen Sanktionen nach der Krim-Annexion 2014 gibt es einen Trend zur Autarkie. Bei Getreide und anderen Agrarprodukten wuchs Russland sogar vom Importeur zum global wichtigen Exporteur heran.

Russlands Zentralbank, die am Freitag ihren Leitzins auf elf Prozent senkte, geht davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um acht bis zehn Prozent zurückgehen wird, 2023 dann noch um null bis drei Prozent. Dafür verantwortlich sei der Rückgang von Importen, Störungen von Lieferketten und in der Industrieproduktion. Im Jahr 2024, so die Moskauer Notenbanker, werde die Wirtschaft wieder wachsen.

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