Den Menschen zugewandt

Hanni Hambach ist eine der bekanntesten Seniorenvertreterinnen in Berlin. Die Wurzeln für ihr soziales Engagement liegen in der DDR

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 8 Min.
»Vor Ort sein, zuhören, eben im direkten Austausch sein und dann handeln – das ist der praktische Teil der Dialektik«, sagt die promovierte Philosophin Hanni Hambach.
»Vor Ort sein, zuhören, eben im direkten Austausch sein und dann handeln – das ist der praktische Teil der Dialektik«, sagt die promovierte Philosophin Hanni Hambach.

Die Dielen im Inneren des ehemaligen Rathauses im Berliner Ortsteil Johannisthal knarzen unter den vielen Füßen. Etwa 30 Seniorinnen und Senioren stehen im Treppenhaus in einer langen Reihe, die sich vom Erdgeschoss bis in den ersten Stock hinauf schlängelt und warten darauf, ihre Stimme zur Seniorenvertretungswahl abzugeben. Die Leute unterhalten sich, was durch die allgegenwärtigen Corona-Masken bedächtig und gedämpft wirkt. Sie warten geduldig und schonen ihre Kräfte.

Hanni Hambach schont sich nicht. Mit ihrem immer ein bisschen verschmitzt wirkenden Blick läuft sie die Treppen hoch und runter, begrüßt einzelne Bekannte, schaut nach dem Rechten. Die 74-jährige Köpenickerin ist zu diesem Zeitpunkt noch Vorsitzende der Landesseniorenvertretung Berlin, zwei Wahlperioden hat sie in diesem Amt nun hinter sich. Eine dritte werde es nicht geben, sagt sie bestimmt. »Es ist schon eine enorme Belastung als Vorsitzende, und man wird ja auch nicht jünger«, fügt sie hinzu.

Hambach heißt eigentlich Johanna, doch sie lässt sich auch Hanni gefallen. In diesem Frühjahr hat sie nur als einfaches Mitglied für die Vertretungen kandidiert, höchstens den Posten der Schatzmeisterin kann sie sich noch vorstellen zu übernehmen. Nachdem sie am Wahltag in Johannisthal den ganzen Morgen unentwegt organisiert und Gespräche geführt hat, lässt sie sich nun – froh über eine Pause – auf einem Stuhl im Büro von Lutz Sonntag nieder. Sonntag ist als Angestellter des Bezirksamts Leiter des Kiezklubs, der seit nunmehr zehn Jahren im ehemaligen Rathaus von Johannisthal seine Räumlichkeiten hat. »Die Kiezklubs und die Seniorenvertretungen gehören untrennbar zusammen«, sagt er. Dann kommt das Gespräch auf die Anfänge dieser Seniorentreffs, die mit der Eröffnung des »Hauses der Begegnung« im Köpenicker Ortsteil Wendenschloss im Jahr 1989 liegen. Das Wichtigste bei den Kiezklubs sei, dass sie in kommunaler Hand bleiben, betonen beide. »Wenn die verantwortlichen Politiker sie abstoßen und in freie Trägerschaft überführen wollen, wissen sie, was passiert«, lacht die 74-Jährige angriffslustig. Dann erzählt sie, wie sie 2016 Hunderte Senioren organisiert hat und sie gemeinsam in Bussen zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gefahren sind, um dort gegen die freie Trägerschaft der Kiezklubs zu protestieren. Die Aktion im Parlament hat gewirkt, die Kiezklubs blieben in kommunaler Hand. Lutz Sonntag blickt voller Respekt zu Hanni Hambach hinüber – er weiß, wie viel sie im Ringen um die Begegnungsstätten wert ist.

Zwei Wochen nach der Wahl sitzt sie im himmelblauen T-Shirt und geöffneter Jacke im Garten des »Hauses der Begegnung« in Wendenschloss und schaut durch eine getönte Sonnenbrille auf die in der Sonne glitzernde Oberfläche der Dahme. Im ersten Stock des Hauses herrscht trotz der morgendlichen Uhrzeit schon viel Betrieb. Angelika Auler-Löser kommt mit dem Fahrstuhl heruntergefahren und bringt frischen Kaffee auf dem Tablett. Sie sei die gute Seele des Hauses, sagt die 59-Jährige und ist offenbar in Schwatzlaune. »Ich brauche nicht ins Theater zu gehen, das hier ist meine Bühne«, meint sie lachend. Hier könne sie sich verwirklichen, und die Wertschätzung der älteren Damen und Herren, die in die Begegnungsstätte kommen, sei ihre Belohnung. Im Umgang mit den Seniorinnen und Senioren, ihren Gebrechlichkeiten und Krankheiten sei Mitgefühl gut, aber niemals Mitleid. »Das will keiner«, sagt Auler-Löser und geht ab.

Hambach schaut ihr hinterher und scheint noch kurz über ihre Worte nachzudenken. »Die Mentalität vieler älterer Menschen hier ist ja nicht gerade überschwänglich«, sagt sie dann. Und: »Für mich ist ein ›Hallo‹ schon Wertschätzung genug. Das heißt für mich: ›Ich sehe dich und weiß, was du tust.‹« Durch Corona fehlte der direkte Kontakt in den vergangenen beiden Jahren jedoch oft, was nach ihrer Einschätzung auch zu der geringen Beteiligung bei der Wahl zur Landesseniorenvertretung geführt hat. In allen Berliner Bezirken ist die Prozentzahl der Wählerinnen und Wähler zurückgegangen, von 7,5 Prozent im Jahr 2017 auf 5,6 Prozent in diesem. Das heißt zum Beispiel für den Bezirk Treptow-Köpenick, in dem Hambach kandidierte, von den etwa 77 000 Über-60-Jährigen haben in diesem Jahr nur etwa 4000 gewählt. »Es gab eben keine Präsenzveranstaltungen, auf denen man sich direkt vorstellen und in die Köpfe der Menschen hätte kommen können«, ist sie enttäuscht.

Überhaupt scheint hinter ihrem oft hervorgebrachten, fast noch ein wenig kindlichen Lachen eine gewisse Melancholie zu liegen, die ihr Blick und ihre zuweilen bissig ausfallenden Antworten verraten. Zum Beispiel, wenn sie über ihr Leben in der DDR erst nach mehrmaligem Nachfragen sagt: »Ich war nämlich ein böser Mensch«.

Zweifellos war sie überzeugt von der DDR und kritisiert mit diesem bitter-ironischen Satz, dass der Staat heute oft aufs Autoritäre reduziert wird und sämtliche Errungenschaften des Realsozialistischen delegitimiert werden. Hambach hat in der DDR nach dem dort renommierten Forschungsstudium im Fach Philosophie an der Parteihochschule »Karl Marx« in Berlin promoviert. Titel ihrer Doktorarbeit: »Die Entwicklung der Produktivkraft des Menschen«. Bis zum Ende der DDR lehrte sie Philosophie an der Parteihochschule. Dieses akademische Leben hat sie geprägt.

Dennoch ist es wie eine verborgene Schicht, die man bei ihr erst freilegen muss. Denn sie geht mit ihrem Lebenslauf nicht hausieren, so wie viele Ostdeutsche das nicht machen, die für die DDR gearbeitet haben, weil sie an den Sozialismus glaubten. Wenn man ihre Biografie nicht kennt, versteht man auch nicht, was sie zu der sozial engagierten Vertreterin der Interessen von Seniorinnen und Senioren gemacht hat, die sie heute ist.

Geboren ist Hanni Hambach 1947 in Görlitz. Später ging sie ins Internat in Zwickau, weil es in Görlitz keine Abiturklasse mit erweitertem Russischunterricht gab. Als Teenager habe sie dort vom großen Jürgen Croy persönlich das Abseits erklärt bekommen, erzählt sie. Mit Freundinnen habe sie oft die Fußballspiele der BSG Motor/Sachsenring Zwickau besucht und schnell einen guten Draht zum späteren Rekordtorhüter des DDR-Fußballs gehabt. Croy stand von 1965 bis 1981 im Kasten der Zwickauer.

Hanni Hambach war zu dieser Zeit auch in der FDJ aktiv und nahm 1967 ihr erstes Studium auf – Ingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule Merseburg. »Ich habe dann aber nie als Ingenieurin gearbeitet«, erzählt sie. Denn nachdem sie das Studium mit Diplom abgeschlossen hatte, habe sie ein Parteifunktionär, der ihre intellektuellen Fähigkeiten erkannte, an die Parteihochschule holen wollen. Sie ließ sich nicht lange bitten und schlug einen geisteswissenschaftlichen Weg ein.

Nach der Wende saß sie als Verordnete zuerst für die PDS und dann für die Linkspartei insgesamt 15 Jahre in der BVV und kämpfte dann zehn Jahre lang als Landesseniorenvorsitzende in Berlin vor allem um Mitsprache und Teilhabe von Über-60-Jährigen in der Stadt. Durch das Seniorenmitwirkungsgesetz von 2006, dem ersten dieser Art in der Bundesrepublik, haben die Vertretungen in der BVV sowie in den Ausschüssen Rederecht, eine wichtige Errungenschaft für die Alten in Berlin. Doch Hambachs gesellschaftliches Engagement geht über die Interessen der Seniorinnen und Senioren hinaus. »Was für den Rollator gut ist, ist auch für den Kinderwagen gut«, ist ihr Motto, wenn es um den wichtigen Aspekt der Barrierefreiheit in der Stadt geht.

Die neu gewählten 17 Vertreterinnen und Vertreter müssen ihre Forderungen vom Bezirk bis in die Landesebene tragen. Es sei immer ein langer und steiniger Weg, der viel Geduld und Durchhaltevermögen erfordere, sagt Hambach. Und: »Man darf die Politiker einfach nicht allein lassen, man muss ihnen auf die Nerven gehen.« Sie kennt den Laden aufgrund ihrer langen Tätigkeit in der BVV gut. Um die behäbigen Abgeordneten zu bewegen, bedürfe es vor allem kommunikativer Fähigkeiten, weiß sie. Überhaupt sei Kommunikation ein Muss, fügt sie hinzu – »wer nicht kommuniziert, verklemmt sich selber.«

Diese Einsicht ist wesentlich für Hanni Hambach. »Vor Ort sein, zuhören, eben im direkten Austausch sein und dann handeln – das ist der praktische Teil der Dialektik«, sagt die promovierte Philosophin. Im Gegensatz dazu stehe ihrer Meinung nach die bürgerliche Philosophie – diese sei abgehoben, ohne Bezug zum Leben der Menschen. Dass sie sich auf dem Gebiet des Denkens dennoch vorerst durchgesetzt zu haben scheint, bringt Hambach nicht von ihrem Weg ab. Was sie in ihrem Engagement Kraft gebe? »Heiterkeit ist die Mutter der Weisheit«, antwortet sie etwas versonnen. Und dann ist da wieder dieser schelmische Blick.

Für ihre ehrenamtliche Zukunft nach den Wahlen liegen ihr drei Dinge am Herzen: »Neben der aktiven Arbeit als Seniorenvertreterin will ich mich als Ko-Vorsitzende im Förderverein weiter im Kiezklub «Haus der Begegnung» einbringen. Außerdem möchte ich etwas aktiver bei der Volkssolidarität werden, und dann ist da ja noch die aktive Mitgliedschaft in der Linken.« Hambach ist bei den Wahlen mit den meisten Stimmen in die Seniorenvertretung Treptow-Köpenick gewählt worden, die Menschen bauen weiter auf sie. Da sie nicht mehr als Vorsitzende kandidiert hat, wurde sie gebeten, ihre Erfahrungen wenigstens als Mitglied im Vorstand weiterzugeben. »Also habe ich mich als Verantwortliche für Finanzen in den neuen Vorstand wählen lassen«, sagt sie gelassen. Und fügt hinzu: »Vor allem aber will ich nun umso mehr Oma für meine drei Enkel sein.«

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