• Kultur
  • Geschlecht und Klasse

Die Souveränität der Armen

Jeja nervt: Der Scheinwiderspruch zwischen Geschlecht und Klasse

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor zwei Wochen schrieb ich an dieser Stelle, dass ich mir manchmal Sorgen mache, ob ich mir meinen Blumenkohl zum Monatsende noch leisten kann. Es sollte ein witziger Vergleich mit jenen Männern sein, die sich vom Veganismus aggressiv angegangen und mit Drohungen von Diktatur und Entmannung (die Sorge um den »Blumenkohl«) verfolgt wähnen. Doch gleich nach dem Abschicken des Textes kamen mir Zweifel: Bin ich wirklich so arm? War das nicht irgendwie erlogen? Bin ich als Journalist*in nicht viel zu privilegiert? Waren es bei mir nicht immer »die besonderen Umstände«, wenn es mal so knapp war? Und gab es da nicht Konsumentscheidungen, die ich auch einfach hätte bleiben lassen können? Hätte mir die Begleichung von Miete und Kreditrate dann nicht viel weniger Mühe bereitet? Ich dachte darüber nach, eine Mail hinterher zu schicken: »Liebe Kolleg*innen, nehmt den Part mit den Geldsorgen doch bitte wieder heraus.«

Keine zwei Wochen später rechne ich den aktuellen Kontostand, anstehende Sonderausgaben, die im Lauf des Monats erarbeiteten Honorare und Co. im Kopf, gegen Miete, Krankenkasse, Miet-, Krankenkassen- und andere Schulden. Und realisiere, wie verdammt eng es mal wieder wird. Zum Frühstück gibt es zwei Weizenbrötchen aus dem Penny-Backautomaten, Kostenpunkt: 32 Cent. Mir fehlt das Vertrauen, dass das Geld in den kommenden Tagen für mehr reicht. Und irgendwann brechen sich die Emotionen durch all die das Ego tätschelnden Alltagsfantasien von Souveränität Bahn – durch das »Ich bin sicher, ich habe meinen kleinen Aufstieg geschafft«.

JEJA NERVT
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

Doch habe ich überhaupt den Luxus, mich jetzt meinen Gefühlen hinzugeben – die, von denen ich weiß, wie wichtig es ist, sie nicht zu unterdrücken? Müsste ich nicht gerade jetzt Performance abliefern, den Tag über vorm Bildschirm sitzen, wenn ich etwas komfortabler in den Juli starten will?

In einem »Spiegel«-Interview sagte Sahra Wagenknecht vor einigen Wochen, dass diejenigen, für die die Partei Die Linke da sein müsse, gar keine Zeit hätten, sich über den Sexismus »dummer Männer« aufzuregen. Um deren Sorgen müsse sich die Partei kümmern. Die Rede von den »dummen Männern« hätte von meiner Mutter stammen können. Die pflegte auch ihr subjektives Darüberstehen mit abwertenden Attributen für zudringliche Herren zu rechtfertigen. Bei ihr waren die Männer allerdings zumeist »Asis«. Und man wurde selber zur »Asozialen«, wenn man es, wie ich, wagte, sich gegen Belästigungen oder die Nichtakzeptanz eines »Nein« zur Wehr zu setzen. Als es ihr eigener Chef war, der sie mit so manchem Mittel – inklusive mehr Lohn! – zu einer Beziehung zu bewegen versuchte, die sie nicht wollte, stand sie auch da »darüber«. Nur konnte sie ihn weder als »dumm« noch als »Asi« abwerten. Er war schließlich der Besitzer der Pommesbude.

Ich habe es mir herausgenommen, mir über Sexismus Gedanken zu machen, über mein Queersein oder über gute und schlechte Arten, über Klassenverhältnisse (»Klassismus«) zu sprechen. Auch dafür hagelte es Behauptungen, hier spreche das privilegierte Kind. Doch spätestens seit den verweigerten Unterhaltszahlungen an meine Mutter, dem Unterschied zwischen meinem und dem Pausenbrot der Mitschüler*innen und ausgefallenen Abendessen bin ich in einer Welt aufgewacht, in der Geschlecht und Klasse eben keine Widersprüche waren. Das gilt genauso für den Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt, meiner nichtbinären Transgeschlechtlichkeit und Phasen drohender und eingetretener Wohnungslosigkeit.

Alles das, was manchmal als »Diskriminierung« verharmlost wird, hat ökonomische Konsequenzen. Es ist klar, dass wir uns im Alltag in Souveränitätsfantasien flüchten, die helfen, an den anstehenden Aufgaben nicht zu scheitern. Doch nicht selten ist es gerade dieser Geisteszustand, der uns die Abgründe unterschätzen lässt, über die wir unsere Leben balancieren müssen – seien es manipulative oder übergriffige Partner*innen, Chefs oder Bekannte, sei es der Kontostand.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal