Wohlfühlen mit Merkel

Die Kanzlerin a.D. stellte sich der Öffentlichkeit erstmals nach einem halben Jahr auf einer Theaterbühne

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wie geht es Ihnen eigentlich?« Am Mittwochabend konnte Alexander Osang endlich die Frage an Angela Merkel richten, die er ihr hatte »schon immer stellen« wollen. Ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden der Bundeskanzlerin, die das Land 16 Jahre lang an der Spitze von vier Bundesregierungen regiert hatte und in denen der Journalist ihr mehrfach begegnet war, war sie bereit zu einer Antwort.

»Heute geht es mir persönlich sehr gut«, bekannte Angela Merkel freimütig. Und das Publikum im Berliner Ensemble gönnte es ihr von Herzen, wie man am immer wieder aufbrandenden Beifall ablesen konnte. Es vernahm mit Wohlgefallen, dass Merkel ein halbes Jahr Müßiggang hinter sich hat, mit Spaziergängen an der Ostsee, der persönlichen Entdeckung des Hörbuchs und einem Urlaub in Italien, zu dem sie sich nach Abwägung aller absehbaren öffentlichen Einwände entschlossen habe. Schließlich interessiere sie sich für Renaissance, die einer der Pfeiler der Aufklärung und damit der Grundlagen der westlichen Demokratie sei. Eine bessere Urlaubsbegründung ist schlicht undenkbar.

Auch zu sehen, dass die Bürgerin Merkel sich von der Kanzlerin Merkel eigentlich kaum unterscheidet, war wohl eine beruhigende Erfahrung bei dieser Veranstaltung des Aufbau-Verlags und des BE mit dem Titel »Was also ist mein Land?«. Denn die Kanzlerin a.D. war es, von der man hier Antworten erhoffte, nicht die Bürgerin Merkel: Hätte der Krieg Russlands gegen die Ukraine verhindert werden können? Was wird ihm folgen? Was bedeutet es, wenn die neue Bundesregierung nun von einer Zeitenwende spricht? Zum Beispiel solche Fragen.

Sie kommen auch Angela Merkel zu Ohren. Immerhin steht ihr noch immer ein gut ausgestattetes Büro samt Arbeitsstab zur Verfügung, und sie ist ja »immer noch ein politischer Mensch«. Die öffentlichen Erwartungen an sie waren es wohl auch, denen ihr Auftritt an diesem Abend zu verdanken waren. Sie widersprach Alexander Osang nicht, dass dieser Druck sie beide hier zusammengeführt habe. Doch hier lag auch das Dilemma des Abends. Immer, wenn Bürgerin Merkel zur Kanzlerin a.D. wurde, setzte die Ernüchterung ein: Sie sei »in diesen Tagen so wie viele, viele andere auch manchmal bedrückt.« Und »volles Vertrauen« habe sie in die Bundesregierung von Olaf Scholz, der ja kein Newcomer sei. Ihre Aufgabe sei es zudem nicht, Kommentare von der Seitenlinie zu geben, wiederholte sie einen Satz aus den letzten Tagen, als sie sich auf einer DGB-Veranstaltung bereits öffentlich geäußert hatte.

Nein, mit einer Kanzlerin Merkel an der Regierungsspitze würde es nicht anders laufen, als es derzeit läuft. Und aus dem Nähkästchen plaudert Merkel noch immer nicht, da konnte Osang nach Telefonaten mit Scholz fragen, so oft er wollte. Aber immerhin so viel: Wenn etwas nach Merkels Meinung schieflaufen würde, so dass »ich sage, das geht in die vollkommen falsche Richtung, dann kann ich sehr viele anrufen. Das musste ich aber noch nicht.«

Wladimir Putin anzurufen jedenfalls, wegen des einst beinahe persönlichen Verhältnisses zu ihm, das hält sie heute für sinnlos. Und ein persönliches Verhältnis gibt es nicht. Sogar der Hund kam hier zur Sprache, mit dem Putin die Kanzlerin 2007 bei einem Treffen in Sotschi einzuschüchtern suchte. Ob dies vielleicht nur eine Legende sei, die Putin mit ihr abgesprochen habe? Nein, vorher habe Putin ihr schon einmal einen Plüschhund mit der Bemerkung geschenkt, sie habe doch ein Problem mit Hunden. Auf dem Treffen in Sotschi hatte Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion als das größte Drama des vergangenen Jahrhunderts bezeichnet. Etwas, woran Merkel sein Bekenntnis als Despot abzulesen scheint.

Die Kanzlerin a.D. sieht im Konflikt mit Russland einen »Wettbewerb gesellschaftspolitischer Vorstellungen«. Putins Hass ziele auf den Westen und die Nato. Doch räumte Merkel zugleich ein: »Die Ukraine ist eine geopolitische Geisel des Westens.« Auch wenn sie Putin meinte, der mit dem Krieg in der Ukraine den Westen zu treffen trachte, lautet die Kehrseite des Satzes doch: Dieses Land ist Spielball der Interessen auch des Westens.

Die Vorwürfe allerdings, die gegen Merkel derzeit von ukrainischer Seite erhoben werden, wies sie zurück. Etwa jenen von Botschafter Andrij Melnyk, zu dessen Übermittler sich Osang machte: dass Merkel mit der Appeasementpolitik ihrer Regierungszeit den russischen Angriff erst ermöglicht habe. Merkel verteidigte die Russlandpolitik ihrer Regierungsjahre. »Diplomatie ist, wenn sie nicht gelingt, ja nicht automatisch falsch.« Russland müsse allein wegen seiner gewaltigen Größe und nicht zuletzt atomaren Macht immer ernstgenommen werden. Es gelte »bei allen Differenzen irgendwie zu koexistieren«. Einen Grund, sich für ihre Russlandpolitik zu entschuldigen, sieht Merkel nicht. Im Interesse Deutschlands sei es, »einen Modus Vivendi zu finden, in dem wir nicht im Kriegszustand sind«.

Bei aller Zeitenwende, von der die Bundesregierung jetzt spricht, und die Merkel eine »Zäsur« nennt, spricht die Kanzlerin a.D. sich für ein Festhalten am rationalen Umgang mit Russland aus. Ihr Nachfolger an der Spitze der CDU, Friedrich Merz, hat hingegen bereits angekündigt, den »Scherbenhaufen« der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre einer Generalinventur unterziehen zu wollen.

Über das Thema des Abends, das einem Band mit drei Reden der Kanzlerin entnommen ist, istnicht gesprochen worden. »Was also ist mein Land«, kann Merkel weiter gefragt werden. In jedem Fall wird sie nur antworten, wenn sie selbst es für geraten hält. Gegenüber Osang bekannte sie, dass sie keine Termine mehr abarbeiten werde. Und wenn dann geschrieben werde, Merkel mache nur noch »Wohlfühltermine – da sage ich: Ja«.

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