Mélenchons letztes Gefecht

In Frankreich bäumt sich wie kürzlich in den USA und Großbritannien ein »Altlinker« auf

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Plakat von Jean-Luc Mélenchon in Marseille Foto: AP/dpa/Daniel Cole
Ein Plakat von Jean-Luc Mélenchon in Marseille Foto: AP/dpa/Daniel Cole

Der Erfolg von Parteien ist eng mit den Personen verbunden. Programme werden von kaum einem Bürger vollständig gelesen. Wichtig sind die Gesichter und was die Wähler mit ihnen verbinden. Im Globalen Norden gab es zuletzt wenig Lichtblicke für die Linke und es fällt auf, dass ihre Hoffnungsträger oft Männer waren, die sich im Rentenalter befinden. Sinnbildlich hierfür stehen der US-Amerikaner Bernie Sanders, der Brite Jeremy Corbyn und Jean-Luc Mélenchon, der nun in der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen ein linkes Bündnis anführt und Premierminister werden will. Bei der Präsidentschaftswahl, die an Amtsinhaber Emmanuel Macron ging, hatte Mélenchon einen Achtungserfolg erzielt und knapp den Einzug in die Stichwahl verpasst.

Die zwischenzeitliche oder anhaltende Beliebtheit der drei genannten Politiker lässt sich auch auf nostalgische Gefühle vieler linker Wähler zurückführen. Sie wollen die Rückkehr zu einer sozialdemokratischen Politik, die heute in der Regel nicht mehr von den sozialdemokratischen Parteien vertreten wird. Dazu gehören Umverteilung, Wohlfahrtsprogramme und Verstaatlichungen. Allerdings wäre es ein Fehlschluss zu glauben, dass mit solchen Forderungen nur ältere Menschen angesprochen werden. Auch viele Jüngere spüren die Krise. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl haben mehr als 30 Prozent der unter 35-Jährigen für Mélenchon gestimmt.

Ein ähnliches Phänomen ließ sich auch in anderen westlichen Ländern beobachten. Im September 2017 stellte die »Neue Zürcher Zeitung« fest, dass »der ergraute Labour-Chef Jeremy Corbyn junge Wähler äußerst erfolgreich mobilisiert«. Die »Zeit« bezeichnete Bernie Sanders Anfang 2016 als »Popstar der Millenials«. Gemeint waren damit die Jungwähler zwischen 18 und 34, die als einzige Wählergruppe damals konstant Sanders gegenüber seiner parteiinternen Konkurrentin bei den Demokraten, Hillary Clinton, favorisierten.

Es fällt auf, dass die drei linken Politiker neben ihrer progressiven Sozialpolitik auch konservative oder nationalistisch gefärbte Elemente aufnehmen. So ist Sanders kein Gegner des Waffenbesitzes. Der Senator stimmte häufig sogar gegen striktere Gesetze zum Waffenverkauf. Immerhin will er allerdings die behördliche Kontrolle der Verkäufer und Käufer von Waffen ausweiten.

Bei Mélenchon und Corbyn entzündeten sich häufig Debatten darüber, wie sie zur Europäischen Union stehen. Der Brite scheiterte an diesem Thema. Denn er war zwar als scharfer Kritiker der EU bekannt, vermied es aber lange Zeit, eine eindeutige Position zum Brexit zu beziehen. Wählerschaft und Partei waren in dieser Frage gespalten. Das war ein wichtiger Grund für die Niederlage von Labour bei den Unterhauswahlen 2019. Corbyn wurde danach als Vorsitzender abgesägt und der neue Parteichef Keir Starmer peilt die politische Mitte an.

Mélenchon sieht ähnlich wie die EU-Skeptiker bei Labour einen Vorrang der stärker auf den Sozialstaat fixierten nationalen Politik gegenüber den Verträgen der Europäischen Union. Zu Beginn dieses Jahres teilte er mit, die EU-Regeln, die seinem Programm entgegenstehen, im Notfall einfach ignorieren zu wollen. Dies würde dann greifen, wenn er die anderen Staaten der EU nicht davon überzeugen kann, dass die EU-Verträge reformiert und an die »sozialen und klimatischen Notlagen« angepasst werden. Das klingt nach Erpressung und hätte schwerwiegende Konflikte innerhalb des Staatenverbunds zur Folge. Diese müssten aus Sicht des linken Kandidaten vor allem mit Deutschland ausgetragen werden, das von Mélenchon als »arroganter Hegemon« in der EU bezeichnet wird.

Für Mélenchon könnte die Parlamentswahl seine letzte Schlacht sein. Er wird in diesem Sommer 71 Jahre alt. Wenn er verlieren sollte, dann wird man auch nie erfahren, was aus seinen großen Worten und Ankündigungen in der Realpolitik, die immer mit Kompromissen verbunden ist, überhaupt wird. Konflikte wären in dem großen und heterogenen Bündnis, das sich in der französischen Linken zusammengeschlossen hat und das auch Unterstützung von sozialen Bewegungen und Umweltaktivisten genießt, programmiert.

Wie auch immer die Wahl ausgehen wird, muss sich die Linke in Frankreich, aber auch anderswo Gedanken über einen Generationswechsel machen. Dabei wird sich auch zeigen, welche Rollen Frauenförderung und Diversität spielen. Wie schwierig es ist, in diesem Sinne einen erfolgreichen Wechsel zu gestalten, sieht man auch am Beispiel der deutschen Linkspartei. Sie war am erfolgreichsten, als der inzwischen verstorbene Lothar Bisky, der vor einiger Zeit ausgetretene Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, der heute nur noch in der zweiten Reihe steht, in der Partei das Sagen hatten.

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