Nationale Schlussstriche durchkreuzen

Wie verschiedene Initiativen trotz Widerstand an das Leid der japanischen »Trostfrauen« im Pazifik-Krieg erinnern

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 5 Min.
Mahnmal für die "Trostfrauen" in Berlin-Moabit
Mahnmal für die "Trostfrauen" in Berlin-Moabit

Auf den ersten Blick wirkt die junge Frau friedlich, die in koreanischer Tracht, dem Hanbok, auf einem Stuhl sitzt. Doch dann verschiebt sich der Fokus auf die Details: geballte Fäuste, zerzaustes Haar und hängende Fersen. Die vom Künstlerehepaar Kim Seo-Kyung und Kim Eun-Sung entworfene Statue zeigt die Anspannung eines Mädchens, das bereit ist, sich zu wehren oder wegzurennen. Sie erinnert an das Schicksal Tausender Frauen, die zu sexueller Sklaverei in japanischen Militärbordellen gezwungen wurden. Die schätzungsweise 200 000 Eingezogenen und Verschleppten während des Asien-Pazifik-Krieges wurden euphemistisch »Trostfrauen« genannt. Lange Zeit schwiegen die Überlebenden, die aus Japan, später den kolonisierten und den besetzen Ländern wie Korea oder Taiwan in das System gezwungen wurden. Über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt wurde selten öffentlich gesprochen, da den Opfern mit Verachtung und Schuldzuweisungen begegnet wurde.

Nachdem sich Kim Hak-Soon 1991 als Erste an die Öffentlichkeit wandte, um von Zwangsvergewaltigung durch japanische Soldaten zu berichten, legten viele weitere Frauen Zeugnis ab, das Thema fand allmählich Einzug in eine transnationale Öffentlichkeit und in die japanische Geschichtsaufarbeitung. Es folgten Mittwochsdemonstrationen vor der japanischen Botschaft in Seoul, bei denen »Entschuldigung und Entschädigung« gefordert wird. Die von den Überlebenden aufgestellten Forderungen hat die japanische Regierung bis heute nicht erfüllt. Mitte der 1990er Jahre kam es zum Backlash. Unter anderem gründete sich der »Verein zur Erstellung neuer Geschichtslehrbücher«, der eine revisionistische Geschichtsauffassung vertritt und das Thema aus dem japanischen Unterricht streichen wollte. Sie leugnen das gewaltsame System der »Trosthäuser«, der Entführungen und Vergewaltigungen, und werfen den Medien vor, Lügen zu fabrizieren, wenn sie über die Causa berichten.

Vor 15 Jahren bildete sich in Japan die Action Conservative Movement, deren rechte und xenophobe Untergruppen Veranstaltungen zum Thema offensiv störten. Dabei stellen Frauen aus der Gruppierung Japanese Women for Justice and Peace aus strategischen Gründen die prominentesten Akteurinnen der antifeministischen und rassistischen Aktionen. Weniger radikale revisionistische Strömungen leugnen die Gewalt nicht vollständig, versuchen jedoch die Rolle der japanischen Regierung herunterzuspielen. Daher benutzen einige Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen in der Auseinandersetzung bewusst die ergänzte Bezeichnung Militär-»Trostfrauen«, um die staatliche Verantwortung zu betonen.

Die japanische Regierung stellt sich bis heute gegen die umfassende Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, vor allem wenn es um die Sichtbarkeit im Ausland geht. Das Thema wird primär als binationaler Konflikt mit Südkorea behandelt und gilt spätestens seit der Trostfrauen-Vereinbarung im Dezember 2015 »endgültig und unwiderruflich« beigelegt. Der Schlussstrich soll jegliche Erinnerungsarbeit durchkreuzen. Der anhaltende Konflikt um das Gedenken an Zwangsvergewaltigungen im Krieg von 1931 bis 1945 konzentriert sich auf internationaler Ebene immer wieder, wenn eine »Friedensstatue« ausgestellt oder fest installiert werden soll. Sowohl die Regierung in Tokio als auch rechte japanische Gruppierungen wehren sich immens gegen öffentliche Informationen und Verhandlungen. Wenn eine »Friedensstatue«, Gedenkstätte oder ein Museum geplant war, ließ diplomatischer Druck nicht lange auf sich warten.

Dies erfuhr auch die Arbeitsgruppe »Trostfrauen« des Korea-Verbandes, die im September 2020 eine Bronze an einem öffentlichen Platz errichtete. Die sitzende Frau, neben der ein weiterer leerer Stuhl als Zeichen der Einsamkeit, aber auch als Einladung zum Innehalten platziert ist, soll in Berlin-Moabit an alle Kriegsverbrechen gegen Mädchen und Frauen erinnern. Sie steht für die Forderung, sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten aufzuklären und zu ahnden. Im Kiez ist die Statue zum Symbol dekolonialer Kämpfe geworden, ein Platz für Demonstrationen und Aushandlungsort postmigrantischer Erfahrungen. Dass sie im Stadtraum sichtbar bleibt, ist selbst ein Zeichen des Widerstands. Bereits einen Monat nach der Enthüllung folgte die Aufforderung zum Abbau. Die japanische Regierung hatte Druck auf das Auswärtige Amt, den Berliner Senat und das Bezirksamt Mitte ausgeübt. Kurz darauf folgte die offizielle Mitteilung an den Berliner Korea-Verband, dass die Erinnerungsstätte entfernt werden müsse. Als Begründung hierfür nannte das Schreiben von Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel »aktuelle Störungen der deutsch-japanischen Beziehungen«. Sie sei kein Zeichen der Versöhnung, sondern befördere nur den Hass. Nach breiten Protesten, die dem Thema eine größere Öffentlichkeit bescherten, beschloss die Bezirksverordnetenversammlung, dass die Statue bleiben dürfe.

Nun wandte sich der Premierminister Fumio Kishida an Olaf Scholz während seiner Asienreise im April und bat um Hilfe bei der Entfernung. Der Bundeskanzler verwies darauf, dass das Denkmal rechtmäßig vom Bezirksamt genehmigt wurde und außerhalb seines Einflussbereiches liege. Statt einer öffentlichen Positionierung für Statue und Aufarbeitung verwies Scholz auf bürokratische Abläufe. Für die AG »Trostfrauen« stellt die Forderung aus Tokio einen totalitären Akt dar. »Die japanische Regierung soll wissen, dass sie das ungelöste Problem und die Wahrhaftigkeit der ›Trostfrauen‹-Geschichte damit nicht aus der Welt schaffen wird, selbst wenn sie den Aktivitäten der Zivilgesellschaft erfolgreich einen Maulkorb verpassen sollte«, heißt es in einem Statement auf ihrer Website.

Ende Juni wollen rechte Geschichtsrevisionist*innen nach Berlin zur Friedensstatue reisen, um dort offensiv die Kriegsverbrechen zu leugnen und antifeministische Informationen zu verbreiten. Um ein zivilgesellschaftliches Zeichen zu setzen, plant der Korea-Verband eine Aktionswoche vom 26. bis 30. Juni. Antirassistische, feministische und dekoloniale Beiträge werden den Erinnerungsort in diesen Tagen als Schauplatz einer transnationalen Bewegung markieren.

Die Auseinandersetzung tobt nicht nur in der deutschen Hauptstadt. Die temporäre Ausstellung einer der 98 Bronzeversionen des »Friedensmädchens« auf dem Gelände der Universität Leipzig scheiterte kürzlich, weil die politische Problematik als zu kompliziert betrachtet wurde. Eine öffentliche Positionierung lehnte das Rektorat ab. Das Institut für Japanologie verankerte das Thema unter der Leitung von Steffi Richter und Dorothea Mladenova dennoch in der Leipziger Debatte. Zwischen dem spezifischen Fall und den Anknüpfungspunkten anderer Bewegungen verband die Vortragsreihe »Postkoloniale Erinnerungsarbeit und transnationaler Feminismus« verschiedene Perspektiven auf sexuelle Gewalt und Kriegsverbrechen. Einen Höhepunkt bildete die Ausstellung der »kleinen Schwester«, einer mobilen Friedensstatue aus Hartplastik, auf dem Frauenfestival in Leipzig. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Theaterwissenschaft entstanden für diesen Anlass künstlerische Arbeiten, die sich behutsam und zärtlich an das Vergangene annähern. Im Gewusel der Stände anderer Initiativen exponieren sich Performende, wiederholen Gesten in Assoziation zum Thema »Trostfrauen«. Die sitzende Frau wird zentrale Mitakteurin in der performativen Bewegung. Sie entfaltet ein Eigenleben, lädt neue Bedeutungskontexte auf sich und geht über sich hinaus, als Zeichen eines dekolonialen, feministischen und antirassistischen Kampfes.

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