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- »Rifkin’s Festival« von Woody Allen
Viele kleine Weltfluchten
Ist »Rifkin’s Festival«, der neue Film von Woody Allen, lustig? Mehr noch, er ist auf kluge Weise absurd
Das Leben ist ein Film, der darauf wartet, erst noch gedreht zu werden – am besten natürlich von einem Meisterregisseur, der die menschliche Seele in all ihrer abgründigen Komik so kennt wie Woody Allen. Inzwischen ist der Filmemacher 86 Jahre alt und bringt doch Jahr für Jahr einen neuen Film ins Kino. Ein lustvoller Kraftakt, der wohl nur gelingen kann, wenn man wie Allen eine hilfreiche Schwester hat, die ihm mit ihrer Produktionsfirma alle praktischen Hindernisse aus dem Weg räumt.
»Rifkin’s Festival« gehört zu den spanischen Filmen Allens, die mit »Vicky Cristina Barcelona« (2008) begannen. Er wurde 2019 in San Sebastian gedreht und beim dortigen Festival uraufgeführt. Das Alterswerk des gebürtigen New Yorkers entsteht in Europa, was zum einen damit zu tun hat, dass ihm die USA fremd geworden sind, zum anderen aber kehrt der Cineast sehr bewusst zu seinen europäischen Vorbildern zurück. Er folgt Calderóns »Das Leben ist ein Traum«, lebt in Filmen von Fellini, Godard, Buñuel, Truffaut und Bergman.
So ist »Rifkin’s Festival« auch eine Reminiszenz an das europäische Kino der Nouvelle Vague. Bereits 1980 hatte Allen mit »Stardust Memories« einen Film im Stil von Ingmar Bergman gedreht: Ein erfolgreicher Komödienregisseur, sein Alter ego, träumt dunkle Träume voll schwer entzifferbarer Metaphern, die ihm zu schaffen machen. Es ist einer der stärksten Filme Allens, der an der Kinokasse jedoch ein vorhersehbarer Flop war.
Hier knüpft der Regisseur mit »Rifkin’s Festival« an, denn er muss niemandem mehr etwas beweisen, schon gar nicht in Sachen Verkäuflichkeit. Der Autor Mort Rifkin (ein alter Bekannter aus Woody Allens Filmen: Wallace Shawn, 78 Jahre alt, ebenfalls Drehbuchautor und Regisseur) wird zum Mittelpunkt des Films. Mort ist ein unattraktiver, trauriger Dinosaurier, der immer, wenn es ihm in der Gegenwart zu eng wird, in seine Fantasiewelt flüchtet.
So schreibt er lebenslang an einem einzigen Roman, der nicht fertig wird, nicht fertig werden kann (und soll), weil er immer wieder das gerade Geschriebene zerreißt. Nebenbei lehrt er Filmgeschichte an der Universität, seine eigentliche Passion. Ein sperriges Original, ein Don Quichotte der Gegenwart – auch er ein Alter Ego Allens.
Aber natürlich ist er die große Enttäuschung für seine deutlich jüngere, lebenshungrige Frau, die Presseagentin Sue (Gina Gershon), die ihn einst für ein verkapptes Genie hielt. Jetzt ist er für sie bloß noch ein langweiliger Versager, der Filme immer nur im Original mit Untertiteln anzuschauen vermag. Zuviel Neurose, zu kompliziert für die einfachen Dinge des Lebens, die Spaß machen. Sie lebt ganz in der Wirklichkeit, er eher in deren verborgenen Möglichkeiten.
Dass Mort seine Frau zum Filmfestival nach San Sebastian begleitet, hat einen Grund, den man vorauseilend resignative Eifersucht nennen könnte. Denn Sue vertritt dort den jungen Erfolgsregisseur Philippe (smart bis zur Glattheit: Louis Garrel), der so etwas wie der Star der Stunde ist – einer, der weiß, mit welchen Themen man für Furore sorgt. Es sind immer solche, mit denen man »politisch engagiert« wirkt, im Kampf für das Gute und gegen das Böse und selbstverständlich für das Klima.
Mort – der Name ist Programm! – scheint für diesen Gegenwartsmenschen total von gestern zu sein, also so gut wie tot. Doch Mort weiß: »Politik ist so kurzlebig!« Er verachtet den Karriereüberflieger Philippe, seine Frau aber himmelt diesen grenzenlos an. Darum begleitet Mort sie sicherheitshalber auch zu diesem Festival.
Für Mort lassen sich Kunst und Erfolg heute längst nicht mehr zusammenbringen. Zählbaren Erfolg hat nur noch die dreiste Nachahmung ohne jeden eigenen ästhetischen Anspruch, das leicht konsumierbare Produkt. Echte Künstler aber sind in den Augen ihrer Mitmenschen zu allen Zeiten unverständliche, letztlich gescheiterte Existenzen, solche Leute wie Mort, der Filme liebt, die von Träumern handeln, die in den Augen der Welt nicht mehr als komische Käuze sind.
Darum veranstaltet der einsame Mort, während Sue mit dem angeschwärmten Philippe von Presseempfang zu Presseempfang tingelt, sein eigenes Festival. Das findet nur in seinem Kopf statt und besteht aus lauter surrealen Verknüpfungen der Gegenwart mit Sequenzen jener Filme, in denen er sich eigentlich zu Hause fühlt. Dieses Prinzip der Realitäts- und Zeitsprünge kennen wir von Allen längst, zuletzt grandios in »Midnight in Paris« (2011), wo ein Taxi jede Nacht sehnsüchtige amerikanische Touristen (es sind einige wenige Einzelne) zur Avantgarde um 1900 bringt.
Viel passiert nicht, wir folgen einem inneren Monolog Morts, der fast schon etwas von einem Nekrolog hat. In gewisser Weise kopiert Allen hier eine Idee von Bernardo Bertolucci aus »Die Träumer« (2003). Dort zieht sich ein Liebespaar während der Studentenrevolte von 1968 in Paris in die Wohnung der abwesenden Eltern zurück und spielt sich gegenseitig Szenen aus Filmklassikern vor. Dem folgt Allen nun mit »Rifkin’s Festival«. Darin versetzt Mort sich selbst, seine Frau und den ungebetenen Dritten im Bunde in Filmszenen – etwas aus Fellinis »Achteinhalb«, Godards »Außer Atem« und Truffauts »Jules und Jim«. Es ist Allens Reise ins Wunderland des Films, seine eigentliche Heimat, bezaubernd zu den Originalfilmmusiken in Szene gesetzt.
Dann ereignet sich doch noch etwas innerhalb des von Woody Allen immer wieder kultivierten Musters, dass sich verwandte Seelen zwar magnetisch anziehen, aber doch nie zusammenkommen können. Denn jeder Stadtneurotiker lebt in seiner eigenen Zelle – da kommt er nie heraus, bleibt allein. »Rifkin’s Festival«: beiläufig prägnant wie ein Tschechow-Stück, lotet es die allgegenwärtige Selbstentfremdung des modernen Menschen zwischen Alltagsödnis und unerfüllbarem Traum aus.
Seine Frau, das ist Mort nun klar, hat eine Affäre mit dem Karriereschnösel von Jungregisseur, das bereitet ihm Herzschmerzen. Er geht zu einer Ärztin, Dr. Jo Roja (Elena Anaya), die wundersamerweise seine Filmpassion teilt. Während seine Noch-Ehefrau mit dem Ehebrecher auf PR-Tour ist, muss sich Mort täglich ein neues Leiden ausdenken, um zu der ungewöhnlichen Ärztin gehen zu können, die Paris und New York mehr liebt als das pittoreske San Sebastian. Wie alle interessanten Menschen ist sie unglücklich (zudem mit einem Berserker von spanischem Maler verheiratet) – aber eben auch für Mort unerreichbar.
Allen drehte diesen Film mit dem Kameramann Vittorio Storaro, der schon bei »Apocalypse Now« und »Der letzte Tango in Paris« die Kamera führte. Seine Meisterschaft zeigt sich im Wechsel von farbigen Alltagszenen aus San Sebastian und wie von fern aus dem Dunkel aufleuchtenden nachgedrehten Filmklassikern. Zuletzt ein Ingmar-Bergman-Motiv: Mort mit dem schwarz gewandeten Tod am Meer (Christoph Waltz) – ein Schachspiel um mehr Lebenszeit. Vielleicht sinniert Mort nun, sei er doch kein Buchautor, sondern ein Buchleser?
Natürlich muss Woody Allen dieses schwer pathetische Todesbild wieder auflösen wie einst in »Die letzte Nacht des Boris Gruschenko« (1975), als er diesen im Sterben vorbringen ließ, immerhin habe es auch Vorteile, tot zu sein: Man gebe deutlich weniger Geld aus. In »Rifkin’s Festival« heißt es nun ultimativ, Vorsorgeuntersuchungen seien der Schlüssel zu einem (fast) ewigen Leben. Da steht er nun, Woody Allen als altersweiser Neurotiker, der nicht akzeptieren will, dass auch Brokkoliesser sterben müssen.
Und dann kommen sogar noch Sisyphos ins Spiel und jener Stein, den er den Berg hinaufrollt – und der doch immer wieder hinunterrollt. Was soll der Stein überhaupt auf dem Berg? Gute Frage. Und eines ist klar: Glücklich ist dieser Sisyphos nicht. Aber immerhin, er hat eine Aufgabe, wenn auch eine – aus der Entfernung betrachtet – eher sinnlose.
Ist »Rifkin’s Festival« eigentlich lustig? Mehr noch, der Film ist auf kluge Weise absurd.
»Rifkin’s Festival«: Spanien, USA, Italien 2020. Regie und Drehbuch: Woody Allen. Mit: Elena Anaya, Louis Garrel, Gina Gershon, Sergi López, Wallace Shawn, Christoph Waltz. 92 Minuten. Start: 7. Juli.
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