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Großes Verkehrschaos

Fliegen hat zwar seinen Glamour verloren. Eine bezahlbare und klimafreundliche Alternative für Mobilität gibt es aber immer noch nicht, kritisiert Ulrike Wagener.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Mindestens sechs Stunden saß ich diesen Sommer im Flugzeug – noch vor dem Abheben. Beim Hinflug fehlte Personal, um das Gepäck zum Flugzeug zu bringen. Klar, typisch für den krisengeplagten Flughafen Berlin-Brandenburg (BER), dachte man da noch. Doch dann wurde die Wartezeit immer länger. Ein ausgefallenes Radar in der Schweiz, ein ausgefallenes Radar in Tschechien. Auf dem Rückflug dann: keine Lotsen. Nur am BER konnte es also nicht liegen. Zurück dorthin kamen wir sowieso nicht mehr; durch die Verspätung griff das Nachtflugverbot und die entnervte Crew brachte die Passagiere nach Hannover. Die Taxifahrer vor Ort kannten das schon und sammelten uns ein – lieber die, die für mehrere Hundert Euro direkt nach Berlin fahren wollten, als die, die in Hannover übernachteten.

Die Zeit zwischen dem Aufbruch in der sardischen Ferienstadt Olbia und zu Hause vervielfachte sich von zwei, auf drei, auf 17 Stunden. Dass unsere Erfahrung keine Besonderheit in diesem ersten großen Reisesommer nach den Lockdowns der ersten Pandemiejahre ist, das erklärte uns schon der Taxifahrer in Hannover. Fluggäste können derzeit überall mehr Wartezeit einplanen: bei der Abfertigung, beim Flug, möglicherweise durch eine Detour zum falschen Flughafen. Einer der größten Vorteile des Fliegens – die Zeitersparnis – ist damit dahin. Und dass Fliegen schlecht fürs Klima ist, weiß sowieso jedes Kind.

Was bleibt, ist der günstige Preis. Durch die milliardenhohen Steuervergünstigungen für Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge ist es bei längeren Reisen meist immer noch günstiger zu fliegen, als mit dem Zug zu fahren. Außerdem sieht es bei der Bahn momentan nicht viel besser aus. Auch hier berichten Reisende von Verspätungen, Ausfällen und zusammengepferchtem Ausharren.

Aber was ist denn jetzt die Lösung? Für den Einzelnen dürfte sie vielfach lauten: zurück zum Individualverkehr. Auch mit dem Auto kann man zwar im Stau stehen und die Spritpreise bleiben hoch. Aber immerhin kann man selbst und spontan entscheiden, wann man losfährt und so viel Gepäck mitnehmen, wie man es für richtig hält. Billiger als mit dem Zug ist es bei weiten Strecken vermutlich auch. Eine weitere, klimafreundlichere Lösung wäre das Fahrrad, aber damit kommt man innerhalb eines üblichen Zwei-Wochen-Urlaubs einfach nicht weit.

Das klingt alles so furchtbar anachronistisch. Dabei hat das 9-Euro-Ticket gezeigt, dass viele an einem günstigen Schienenverkehr interessiert sind. Laut einer bundesweiten Marktforschung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen und der Deutschen Bahn AG haben rund 30 Millionen Menschen in Deutschland das 9-Euro-Ticket gekauft. Jeder Fünfte davon hat den Nahverkehr davor nicht genutzt und 39 Prozent gaben als Kaufgrund den Verzicht auf Autofahrten an. Eine Verstetigung ist trotzdem nicht in Sicht. Grund dafür ist auch, dass die Verkehrsbetriebe schon jetzt nach Lösungen für die Kompensation der höheren Nutzung rufen. Sonst drohten »deutliche Tarifsteigerungen« oder Einschränkungen ganzer Linien.

Zusammen genommen macht dieses Verkehrschaos klar, was getan werden müsste: Subventionen für den Flugverkehr abschaffen, Steuern für Kerosin hoch und für Fahrräder runter und – ganz wichtig: das Schienennetz ausbauen und Bahnfahren günstiger machen. Dann müssten sich die Menschen auch keine Sorgen machen, ob sie sich bald vielleicht kein Auto mehr leisten können, wenn der Verbrenner abgeschafft wurde. Denn dann wären sie nicht aufs Auto angewiesen. Stattdessen werden nun Arbeiter*innen aus der Türkei rekrutiert, um das Chaos an den Flughäfen zu mildern und das günstige ÖPNV-Ticket soll bald Geschichte sein. Das alles erinnert stark an die 60er Jahre: Migrant*innen sollen die Arbeit machen, die in Deutschland niemand machen will, und das Auto ist die Lösung für alles. Mit einer Ausnahme vielleicht: Fliegen hat seinen Glamour verloren.

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