Eine Plattform für Antisemitismus

Holocaustrelativierung ist bei Telegram laut einer Studie besonders stark verbreitet

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon der Name »Jewrassic Liars« – zu Deutsch »jüdische Lügen« – gibt einen unmissverständlichen Hinweis darauf, dass über diesen Telegram-Kanal antisemitische Inhalte verbreitet wurden. Seit vergangener Woche ist Schluss damit. In Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg führte die Polizei Durchsuchungen bei drei mutmaßlichen Kanal-Betreiber*innen durch. Ihnen wird die Verbreitung volksverhetzender Inhalte sowie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Seit einigen Tagen ist der Telegram-Kanal abgeschaltet.

In den unübersichtlichen Weiten der sozialen Netzwerke handelte es sich bei »Jewrassic Liars« um einen Kanal mit eher geringer Reichweite. Am Ende kam dieser auf etwa 1000 Abonnent*innen. Zum Vergleich: Attila Hildmann, als erfolgreicher Koch gestartet und als Verbreiter wirrer Verschwörungserzählungen geendet, brachte es zu seinen Hochzeiten auf mehr als 100 000 Abos. Auch damit ist es seit diesem Frühjahr offenbar endgültig vorbei. Telegram mit Firmensitz in Dubai und sonst nicht dafür bekannt, besonders engagiert gegen Hass und Hetze auf seiner Plattform vorzugehen, schaltete Hildmanns Kanäle ab. Neben dem damals öffentlichen Druck dürfte auch die Drohung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Telegram in Deutschland abzuschalten, sollte das Netzwerk nicht stärker gegen die Verbreitung strafbarer Inhalte vorgehen, Wirkung gezeigt haben. Entscheidend dürfte jedoch ökonomischer Druck gewesen sein: Telegram, im Gegensatz zu Social-Media-Diensten weitestgehend werbefrei, arbeitet seit einigen Monaten daran, seinen Dienst stärker zu monetarisieren. Ein Image als Internetdienst, der absolut nichts gegen die Verbreitung strafbarer Inhalte unternimmt, dürfte potenzielle Werbepartner abschrecken.

Wie weit der Weg für Telegram noch ist, belegt ein von der Unesco am Mittwoch vorgelegter Bericht. Laut der UN-Kulturorganisation ist der Messengerdienst jene Social-Media-Plattform, die mit Abstand am häufigsten für die Verbreitung von Lügen und Verfälschungen über den Holocaust verwendet wird. »Fast die Hälfte aller Inhalte zum Holocaust auf öffentlichen Telegram-Kanälen leugnet oder verzerrt dessen Geschichte«, heißt es im Bericht zu der Untersuchung, die die Unesco in Zusammenarbeit mit World Jewish Congress durchführte. Für die Erhebung wurden rund 4000 Beiträge zum Thema Holocaust bei fünf Social-Media-Diensten ausgewertet. Das Ergebnis ist eindeutig: Waren bei Instagram nur drei Prozent der untersuchten Beiträge relativierend und verharmlosend, sind es bei Facebook acht Prozent, 17 Prozent bei Tiktok und 19 Prozent bei Twitter. Beim traurigen Spitzenreiter Telegram waren es 49 Prozent. Für diese großen Unterschiede benennt die Unesco einen zentralen Grund, handelt es sich bei Telegram doch um einen Social-Media-Dienst, der für seinen extrem laxen Umgang mit Hassinhalten bekannt ist, von sich aus keine Inhalte auf mögliche Strafbarkeit überprüft und auch auf Hinweise faktisch nie reagiert. Auf ihrer Website werben die Betreiber*innen ausdrücklich damit, keine Nutzerdaten an Dritte – damit auch an Behörden – herauszugeben.

Diese Haltung lässt sich teils aus Telegrams Geschichte erklären: Gründer Pavel Durov startete den Dienst 2013 in Russland, nach eigenen Angaben erfolgte jedoch »aufgrund lokaler IT-Vorschriften« der Umzug nach Dubai. Übersetzt heißt das: Telegram wollte den russischen Behörden in dem autoritär regierten Staat keinen Zugriff auf seinen Dienst ermöglichen. Was als Statement für Meinungsfreiheit begann, birgt jedoch auch Schattenseiten. Weil sich Telegram jeglicher staatlicher Regulierung entzieht, ist der Dienst bei Kriminellen, der extremen Rechten und Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen äußerst populär.

»Wir können uns nicht nur auf die Freiwilligkeit von Plattformen verlassen, wir brauchen gemeinsame Prinzipien und Leitlinien«, fordert Unesco-Generaldirektorin Audrey Azoulay. 2023 will die UN-Kulturorganisation dazu eine internationale Konferenz abhalten.

Gründe zum Handeln – gerade auch in Deutschland – gibt es genug. Die Unesco fand in ihrer Untersuchung heraus, dass bei Inhalten zum Holocaust in deutscher Sprache sogar über 80 Prozent die industrielle Vernichtung der Jüd*innen durch die Nazis falsch darstellten oder leugneten.

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