Animierte Texte und gestische Malerei

Zwei Einzelausstellungen in München zeigen Werke der Künstler Tony Cokes und Cecily Brown

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Ansicht einer Videoinstallation von Tony Cokes
Ansicht einer Videoinstallation von Tony Cokes

Das Haus der Kunst in München präsentiert in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein München die erste institutionelle Einzelausstellung des US-Amerikaners Tony Cokes in Deutschland: »Fragments, or just Moments«. Cokes, der schwarz ist und 1956 in Richmond im US-Bundesstaat Virginia geboren wurde, bezeichnet sich selbst als »post-konzeptualistisch«. Seit drei Jahrzehnten produziert er audiovisuelle Arbeiten, die die Videokunst und das Verständnis von Bild, Text und Sound nachhaltig beeinflusst haben. Dabei sieht er sich selbst statt als Künstler eher als Herausgeber, Kritiker, Theoretiker und DJ. Anders als etwa Marcel Duchamp, von dem das Bonmot überliefert ist, es bestehe absolut keine Aussicht, dass ein Wort je etwas auszudrücken vermag, setzt Cokes dezidiert auf Worte und Texte. Letztere schreibt er nur selten selbst, stattdessen verwendet er meist bereits existierendes Textmaterial unterschiedlicher Provenienz, das er für seine audiovisuellen Arbeiten auf Video animiert. Ebenso erlesen wie vielfältig wie die Textauswahl ist auch Cokes Auswahl des dazugehörigen Soundmaterials.

Cokes’ Arbeiten sind in gleich 14 Räumen im einstigen Luftschutzkeller des Hauses der Kunst zu sehen. Im ersten Raum ist in dem knapp vier Minuten langen Video »3#« (2001) über Popmusik die Aussage zu vernehmen, diese sei korrupt. In »Evil.27: Selma« von 2011 verbindet Cokes Morrisseys Song ›Sister I’m a Poet‹, in dem der Sänger die Frage »Ist böse etwas, was du bist oder etwas, das tu tust?« stellt, mit dem Essay »On non-visibility« (2009) des Kunstkollektivs Our Literal Speed aus Selma, Alabama. Darin geht es um den Wandel von der Radio- zur TV-Berichterstattung in Bezug auf zwei zentrale Proteste der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, den Montgomery-Busboykott von 1955, der sich aus dem individuellen Widerstand von Rosa Parks gegen die rassistische Segregation in öffentlichen Verkehrsmitteln entwickelt hatte, sowie den Märschen von Montgomery nach Selma im Jahre 1965 unter Beteiligung von Martin Luther King. In »Black Celebration« (1988) sind Archivbilder der Aufstände der schwarzen Community in Watts, Newark und Boston in den 1960er Jahren zu sehen, kontextualisiert mit Textauszügen der Situationistischen Internationale (»Die Rebellion von Los Angeles ist eine Rebellion gegen die Ware…«) sowie auch von Künstlern wie der New Yorkerin Barbara Kruger. Krugers Statement ist unterlegt mit Musik der Band Post-Industrial-Band Skinny Puppy. In »Exit.16 (Torture.Musik)« von 2009–2011 geht es um die sogenannten »erweiterten Verhörtechniken«, autorisiert von der Regierung unter George W. Bush im »Kampf gegen den Terror«. Gefangene wurden unter anderem mit brutal lauter Musik gefoltert, darunter Eminems »White America«, Bruce Springsteens »Born in the USA« oder Metallicas »Enter Sandman«. Cokes unterlegt seinen Film mit den von den US-Folterern für ihre »Disco« ausgewählten Songs und konstatiert: »Disco isn’t dead, it has gone to war.«

Für die Münchner Ausstellungen hat Cokes ein neues audiovisuelles Projekt verwirklicht: »Some Munich Moments: 1937–1972«. Ein Teil wird im Haus der Kunst, ein zweiter im Kunstverein gezeigt. Ausgangspunkt für den zweistündigen Film ist die Geschichte der beiden Institutionen. In dem am 17. Juli 1937 mit der »Großen Deutschen Kunstausstellung« eröffneten Haus der Kunst manifestierte sich auf beispiellose Weise die nationalsozialistische Kulturpolitik. Nur zwei Tage nach der Eröffnung startete in unmittelbarer Nähe in den Hofgartenarkaden – die seit 1953 einen Teil der Ausstellungsräume des Kunstvereins München bilden – die Ausstellung »Entartete Kunst«. In Cokes’ Arbeit wechseln sich mit Akribie gedrehte archivalische Schwarz-Weiß-Filme des durch Bombenangriffe zerstörten Münchens und Textsequenzen ab. Cokes verweist auf die Rolle des einstigen Kunstvereinsdirektors Erwin Pixis, der schon 1930 vor der Kunst der Moderne gewarnt hatte, und spannt seinen Bogen bis zu den Olympischen Spielen von 1972, unter besonderer Berücksichtigung des Gestaltungskonzepts von Otl Aicher (1922–1991). Der, so Cokes, hatte nahezu alle seine in den 1930er und 1940er Jahren entstandenen Werke entsorgt. Erst kurz vor seinem Tod überarbeitete er eine in Ton modellierte Porträtbüste von Hans Scholl aus dem Jahr 1941. Von dessen Schwester Sophie hatte er zu ihren Lebzeiten Studien gemacht. Daraus gestaltete er nun eine Plastik, sodass von Hans und Sophie Scholl, die als Widerstandskämpfer 1943 von den Nazis hingerichtet worden waren, je eine Porträtbüste aus Bronze hergestellt werden konnte. Otl Aicher war mit Werner Scholl, einem Bruder von Hans und Sophie, in den 1930er Jahren in eine Schulklasse gegangen und hatte sich mit den Scholls angefreundet. Aicher, so Cokes, konnte seinen von den Nazis verfolgten Freunden nicht rechtzeitig zu Hilfe kommen.

Cokes setzt sich vor allem mit dem Farbkonzept auseinander, das Aicher für die Olympischen Spiele entwickelte. Schwarz, Rot, Gold waren ebenso ein No-Go wie das bayerische Blau-Weiß, die dunklen Farben von Bayreuth sowie das Pathos der Oper.

Die Spiele sollten frei sein von Ideologie. Viele Menschen, so Cokes, seien wegen des Versprechens von einer Utopie in dem sich als entnazifiziert und weltoffen präsentierenden Deutschland nach München gekommen und nicht unbedingt zu den Wettkämpfen gegangen. Sie seien wegen der fremden Menschen, der fremden Sprachen, der anderen Kulturen und Leute nach München gereist, hätten die Olympia-Architektur, die Landschaft, das Zusammenspiel von Farben und Symbolen genossen – »ein Spektakel ohne Aktion«. Doch die »heiteren, unpolitischen Spiele« wurden jäh von der Geiselnahme israelischer Sportler durch die Terrororganisation Schwarzer September überschattet.

Kaum unterschiedlicher vom künstlerischen Selbstverständnis Cokes’ könnte dasjenige der Künstlerin Cecily Brown sein. Derzeit werden neuere Werke von ihr in der Münchner Pinakothek der Moderne ausgestellt. Die Engländerin Brown, 1969 in London geboren, ist eine klassisch ausgebildete Malerin, sie besuchte die renommierte Londoner Slade School of Fine Art. Sie hat sich mit den Beständen der graphischen Sammlung der Pinakothek auseinandergesetzt und gibt sich den Eruptionen einer gestischen Malerei hin, die bereits 1959 auf der Documenta II in Kassel einen Höhepunkt erreichte. Man kann also sagen, dass diese Kunstform ziemlich in die Jahre gekommen ist. Browns »farblüsterne Verläufe« (Pinakothek) gehen hin und wieder ins Gegenständliche über. Sie setzt sich in ihrer künstlerischen Praxis mit Alten Meistern auseinander und lässt diese in den Titeln ihrer Gemälde und Zeichnungen auch namentlich auftauchen. So zum Beispiel Bosch, Bruegel, Cézanne oder Michelangelo. Besonders angetan hat es ihr das aus Franz Marcs »Skizzenbuch II« (1904–08) stammende Doppelblatt »Leda mit dem Schwan«. Der junge Künstler Marc griff damit ein klassisches Sujet der akademischen Kunsttradition auf und interpretierte es neu, ohne dabei allzu sehr die Farbpalette zu strapazieren oder übermäßig expressionistisch ans Werk zu gehen. Brown zeigt in Anlehnung an Franz Marcs Komposition eine Serie von neun Zeichnungen und eine weitere von acht Gemälden. Sie hat die einzelnen gestisch aufgeladenen Bilder farblich jeweils leicht modifiziert; mal dominiert ein kräftiges Lila, dann stechen dicke Rot- oder Rosaschichten hervor, oder Leda und der Schwan werden uns etwas blasser präsentiert. Marc kann sich gegen eine solche Vereinnahmung nicht mehr wehren. Er fiel kurz nach seinem 36. Geburtstag im März 1916 bei Verdun.

Tony Cokes: »Fragments, or just Moments«, bis zum 23. Oktober im Haus der Kunst München und bis zum 11. September im Kunstverein München; »Cecily Brown«, bis 4. September in der Pinakothek der Moderne, München

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