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  • Klinikum Benjamin Franklin

Ein Klinikum als Politikum

Publikation über Architektur im geteilten Berlin und die Studentenbewegung

Beinahe wäre auf die markante Vorhangfassade des Universitätsklinikums in Berlin-Steglitz noch verzichtet worden. In späteren Jahren klagten Patienten, in den Zimmern sei es zu dunkel. Den Verdacht hegten vor dem Bau auch Mediziner. Doch ihr Einspruch nützte nichts. Den Entwurf der US-Architekten Nathaniel Curtis und Arthur Davis noch so grundlegend zu ändern, hätte einen Zeitverzug von einem Jahr mit sich gebracht. Darum wurde darauf verzichtet. Andreas Jüttemann schildert dies in seinem Buch »Das Klinikum Benjamin Franklin als Politikum«. Es handelt sich um ein Werk mit wissenschaftlichem Anspruch, in dem die zahlreichen englischen Originalzitate allerdings nicht ins Deutsche übersetzt sind. Jüttemann erzählt, wie das Krankenhaus geplant und gebaut wurde und was das mit dem Kalten Krieg und der aufkommenden Studentenbewegung zu tun hat.

Zu seiner Vorhangfassade, die er Screen nannte, hatte sich Davis bei einer Reise von Tempelbauten in Indien inspirieren lassen. Auch eine Bibliothek in seiner Heimat New Orleans baute er mit Screen. Was als Schmuckelement gedacht war, erwies sich im heißen Süden der USA als idealer Sonnenschutz. Im Sommer sparte das 30 Prozent der Kosten für die Klimaanlage. Bei der Witterung in Berlin störte er aber.

Das Klinikprojekt hatte von der Planungsphase bis in seine Anfangsjahre – Jüttemann untersucht die Zeit von 1957 bis 1974 – eine politische Bedeutung. Eleanor Dulles, die Schwester von US-Außenminister John Foster Dulles und CIA-Chef Allan Dulles, sah als US-Berlin-Beauftragte in der Architektur eine Chance, im Kalten Krieg die Überlegenheit des Westens zu demonstrieren. Nachdem dies mit der Kongresshalle, dem heutigen Haus der Kulturen der Welt, funktioniert hatte, reifte der Plan, mit finanzieller Unterstützung aus Washington der Freien Universität ein Großklinikum hinzusetzen, in dem sich nach US-Vorbild alles unter einem Dach findet – im Gegensatz zur in Deutschland üblichen Bauweise mit einzelnen Gebäuden für die verschiedenen Disziplinen.

Dass der Entwurf von Curtis und Davis in Bauhaus-Tradition stand, hatte eine besondere Note. Der Stil war mit dem deutschen Emigranten Walter Gropius über den Atlantik gekommen und stand in den USA zunächst unter Kommunismus-Verdacht. Tatsächlich waren im Wintersemester 1932/33 zehn Prozent der Bauhausschüler KPD-Mitglieder. Doch in den 1950er Jahren galt der Stil dann schon als Inbegriff kapitalistischer Baukultur.

Willkommen war in Berlin nicht allein der finanzielle Zuschuss, sondern auch die Aussicht, die Vorzüge des US-Medizinstudiums zu importieren. Es zeichnete sich durch weniger Vorlesungen und mehr praktische Unterweisung in Kleingruppen am Krankenbett aus, außerdem durch flache Hierarchien, während die Professoren in Westdeutschland noch unantastbare Götter in Weiß waren. Alte Vorschriften, die Patientenzimmer in Krankenhäusern nach Süden auszurichten, ließen sich auf dem Grundstück in Steglitz nicht verwirklichen. Die störende Vorgabe soll bei einer Cocktailparty des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt (SPD) aus dem Weg geräumt worden sein.

Doch während die US-Truppen im Westberlin der 1950er Jahre als Garant von Wohlstand und Freiheit verehrt und die Soldaten Weihnachten zum Essen eingeladen wurden, hatte sich ihr Image mit dem Vietnam-Krieg fundamental verschlechtert. Curtis und Davis hatten nun aber auch die US-Botschaft in Saigon entworfen, die mit ihrem Screen dem Klinikum ähnlich sah. Bilder des Gebäudes gingen 1975 um die Welt. Hubschrauber landeten damals auf dem Dach, um US-Bürger und Südvietnamesen zu evakuieren. Als 1968 in der Kongresshalle die Eröffnung des Klinikums gefeiert wurde, waren Studenten wegen der befürchteten Anti-Kriegs-Proteste nicht zugelassen. 17 Kommilitonen verschafften sich dennoch Zutritt und Jürgen Treulieb enterte die Bühne. Noch während er sagte »Wir protestieren gegen die Anwesenheit der amerikanischen Kriegsverbrecher«, wurde er fortgezogen. Auch am Klinikum selbst gab es eine Aktion mit einem Transparent: »An jedem 10. Klinikbett, wird ein Ordinarius fett.« Damit kritisierten Studenten, dass Chefärzte nebenher Privatpraxis trieben und dazu auf die aus Steuermitteln finanzierten Ressourcen des Klinikums zurückgriffen, ohne irgendetwas dafür abzurechnen.

2002 wurde das Universitätsklinikum, das inzwischen den Namen des Erfinders Benjamin Franklin trug, erneut zum Politikum, was nicht mehr Gegenstand des Buches ist. Unter der ersten rot-roten Koalition im wiedervereinigten Berlin wollte SPD-Landeschef Peter Strieder die Einrichtung aus Kostengründen zum normalen Krankenhaus herunterstufen. Das sorgte für erbitterten Widerstand. Jetzt machen die Kommunisten das von den US-amerikanischen Freunden spendierte Klinikum platt, so der Tenor. Dabei hatte Washington einst nur 60 von 300 Millionen D-Mark bezahlt. Das spielte bei den Studentenprotesten 1968 eine Rolle: Es hieß, die USA geben in Berlin die Summe eines halben Tages Vietnam-Krieg für eine Klinik aus und zerbomben das Hospital von Hanoi. Das »Benjamin Franklin« ist übrigens Universitätsklinik geblieben und heute ein Campus der Charité.

Andreas Jüttemann: Das Klinikum Benjamin Franklin als Politikum», Vergangenheitsverlag, 287 Seiten, 38 Euro

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