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Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei nimmt einen neuen Anlauf und will das Land aus der Krise führen

Hier, im Kontakt mit der Menge, ist Lula ganz in seinem Element: Einen Auftritt nach dem anderen absolviert der Politiker während der Tour, die ihn gerade durch den Bundesstaat Pernambuco führt. Der lange rückständig gehaltene Nordosten Brasiliens ist eine Hochburg seiner Linkspartei, die sozialdemokratische Praxis, Che Guevara und den lieben Gott unter einen Hut bringt. Die Menschen hier lieben, feiern und verehren Lula als Hoffnungsträger – und als einen der ihren. Im ländlichen Städtchen Caetés im kargen Hinterland von Pernambuco wurde Brasiliens erster Arbeiterpräsident 1945 als Luiz Inácio da Silva und siebtes von acht Kindern einfacher Leute geboren. Am vergangenen Donnerstag weihte der Präsidentschaftskandidat hier eine von Angehörigen und Anhängern errichtete Replik des ärmlichen Hauses seiner Mutter Dona Lindu ein. Wie Millionen anderer Nordestinos war die Familie nach Süden abgewandert, wo die wachsenden Industrien im Gürtel der Megastadt São Paulo Arbeit und ein besseres Leben versprachen.

Ein besseres Leben, das war es auch, was Lula – zuvor Schuhputzer, Metallfacharbeiter, Gewerkschaftsführer in Opposition zur Militärdiktatur und Mitgründer der Partei der Arbeiter (PT) – allen Brasilianern versprach, als er 2003 das Präsidentenamt antrat. Und er hielt Wort: Mit großen Programmen wurden Hunger und die Armut zurückgedrängt. Die Stärkung der Massenkaufkraft kurbelte die Wirtschaft an, gerechtere Bildungschancen ermöglichten Aufstiege, die der soziale Rassismus vor allem Afro-Brasilianern aus den ärmeren Schichten lange verwehrt hatte. Die angestammte, überwiegend weiße Mittelklasse verlor damit Privilegien, musste ihr symbolisches Kapital teilen. Die Quittung an die Linke dafür kam später.

An Grundlagen der Gesellschaft wurde während der PT-Ära nicht gerührt, das extraktivistische Wirtschaftsmodell tourte noch höher. Der Boom auf dem Weltmarkt bei Rohstoffen und Agrarprodukten spülte der Exportnation Geld in die Kassen und machte ihre Konzerne zu Big Playern. Arbeit und Kapital ließen sich von Lula scheinbar mit einer Brücke zum gegenseitigen Vorteil verbinden. Zum Brics-Staat aufgestiegen, punktete Brasilien international mit einer unabhängigen Außenpolitik. Im kollektiven Gedächtnis seiner Bevölkerung sind die zwei Amtsperioden von Präsident Lula als eine goldene Zeit noch breit verankert. Die krisenhafte Gegenwart mit der Zunahme von Hunger und Elend nach dem scharfen Rechtsruck im Land verstärkt den Kontrast.

Diese Nostalgie spannt Lula für seine aktuelle Wahlkampagne ein und verspricht, Brasilien, das »Bolsonaro nicht verdient hat«, wieder aufzurichten und »glücklich zu machen«. Er erinnert daran, dass die Menschen unter seiner Regierung genug zu essen hatten und sich ihre Lage besserte: »Wir haben bewiesen, dass es möglich ist, den Mindestlohn über die Inflation hinaus anzuheben.« Sein Regierungsprogramm will Lula gemeinsam mit den Bürgern, den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen entwickeln. Auf der Plattform »Gemeinsam für Brasilien« werden dafür Tausende Vorschläge gesammelt, besonders viele gehen zu den Themen Menschenrechte, Bildung und Gesundheit ein. Die hinter Lula stehende Wahlallianz – neben der PT gehören ihr sechs weitere Parteien an, darunter die kommunistische PCdoB und die sozialistische PSOL – will sie in die Leitlinien für die verschiedenen Ressorts mit einarbeiten.

Für die Wahl im Oktober ist der Ausnahmepolitiker Lula klarer Favorit, alle Umfragen sehen den modernen Volkstribun vor dem Faschisten Bolsonaro. Sein Vize, São Paulos Ex-Gouverneur Geraldo Alckmin, soll dem Bürgertum Ängste nehmen. Einen ähnlichen Schachzug hatte Lula vor seinem Wahlsieg 2002 gemacht, als er radikale Ziele der PT dem Pragmatismus opferte. Lula kennt Brasiliens reale Kräfteverhältnisse genau. Vor vier Jahren beförderte ihn ein rechtes Komplott für 580 Tage in den Knast, Lulas Name verschwand wieder vom Wahlzettel. 2022 wird es erneut ein Ritt auf der Rasierklinge.

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