Kampf um Mitbestimmung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg weist eine Beschwerde von Hub-Mitarbeiter*innen bei Lieferando über eine anstehende Betriebswahl zurück

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Lieferando-Kuriere und die Verwaltung sind nicht der selbe Betrieb, sagen der Vorstand der Betriebsratswahl und jetzt auch das Gericht.
Lieferando-Kuriere und die Verwaltung sind nicht der selbe Betrieb, sagen der Vorstand der Betriebsratswahl und jetzt auch das Gericht.

Nach dem Berliner Arbeitsgericht hat nun auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) den Antrag auf einstweilige Verfügung von einer Gruppe von Hub-Mitarbeiter*innen bei Lieferando zurückgewiesen. Eine für August im operativen Geschäft geplante Betriebsratswahl wird somit stattfinden können.

Zentraler Streitpunkt der Auseinandersetzung war die Zulassung von 24 Verwaltungsbeschäftigten aus dem Hub, einem zentralen Standort, an dem ein Teil der rund 1500 Berliner Lieferando-Fahrer*innen sich Arbeitsmaterialien abholt und an dem auch die Koordinator*innen der Kurier*innen arbeiten. Ob die Verwaltungsbeschäftigten demselben Betrieb angehören wie auch die Fahrer*innen des Lieferunternehmens, wurde an diesem Montag hitzig debattiert. Lieferando zufolge stelle das Hub gemeinsam mit den Fahrer*innen einen Betrieb dar, die Angestellten des ersteren stellten dabei den betrieblichen Leitungsapparat. Da diese Beschäftigten bei Aushang des Wahlausschreibens nicht auf der Wählerliste gestanden hätten, habe man Einspruch eingelegt. Der Wahlvorstand hat den Vorwürfen der Hub-Mitarbeiter*innen zufolge darauf jedoch nicht reagiert.

Für den Wahlvorstand hingegen stellte sich die Betriebszugehörigkeit der Antragsteller*innen keineswegs so eindeutig dar. Ihm sei die vermeintliche Vorgesetzte der Koordinator*innen gar nicht bekannt. Konflikte würden von diesen zudem an die Firmenzentrale weitergegeben und nicht an die Standortmanagerin. Zudem seien zwei verschiedene Beschäftigtenlisten an den Wahlvorstand ausgehändigt worden, eine mit den Fahrer*innen, eine mit den Beschäftigten des Hub. Der Wahlvorstand will die Hub-Mitarbeiter*innen auch deswegen nicht zur Betriebsratswahl zulassen, da sie wohl dem Management von Lieferando näherstehen.

Die Richterin erwähnte zudem einen weiteren Faktor, der zur Komplexität der Sachlage beiträgt – und der für den Wahlvorstand und dessen Anwalt offenbar eine neue Information war: In einem anderen Verfahren vor dem Arbeitsgericht bemühten sich Hub-Mitarbeiter*innen parallel um einen Abbruch der Wahl. Solch ein Abbruch hätte das Ergebnis der gestrigen Verhandlung am LAG also ausgehebelt.

Der Anwalt der Antragsteller wies darauf hin, dass dieser Antrag bereits abgelehnt worden sei und erklärte im Laufe des Verfahrens, man werde keine weiteren Rechtsmittel einlegen. Auch gestand er zu, dass dieser Antrag angesichts der hohen rechtlichen Hürden für einen Abbruch kaum Erfolgsaussichten gehabt habe und man vor allem auf den Wahlvorstand einwirken wolle, nach der Änderung der Wählerliste auch noch über einen Wahlvorschlag der nicht zugelassenen Beschäftigten nachzudenken. Da sich der Wahlvorstand allerdings nicht auf eine Einigung über die Wählerliste einlassen wollte, stand für einen anwesenden Lieferando-Personaler bereits im Gerichtssaal fest: »Diese Wahl wird angefochten werden.«

»Es ist eine wichtige Entscheidung des LAG«, begrüßt Martin Bechert den Ausgang des Verfahrens im Gespräch mit »nd«. Der Anwalt vertritt den Wahlvorstand. »Damit gibt es nun erst einmal Rechtssicherheit für die Betriebsratswahl«. Er geht davon aus, dass eine anderweitige Entscheidung des LAG dazu geführt hätte, »die Anfechtungsgründe im Nachgang der Wahl zu zementieren, sollte sich herausstellen, dass es sich bei den in die Wählerliste Aufgenommenen nicht um Betriebsangehörige handelt«.

Die Unklarheiten über die Betriebsstruktur und die unterschiedlichen Mitarbeiterlisten werfen für Bechert Fragen nach einer möglichen Umorganisation im Unternehmen auf. »Das wirkt ein wenig wie Gorillas light«, sagt der Anwalt. Der Lebensmittellieferdienst Gorillas hatte während einer laufenden Betriebsratsgründung im vergangenen Jahr das operative Geschäft in viele Einzelbetriebe aufgegliedert und versucht, die dortige Betriebsratswahl zu stoppen.

»Die heutige Verhandlung reiht sich in die Schikaneversuche des Managements um die Betriebsratswahl herum ein«, urteilt ein Wahlvorstandsmitglied gegenüber »nd«, das aus Sorge vor Repressionen anonym bleiben will. Vergangene Woche seien bei den Wahlvorständen individuelle Fragen bezüglich der Rechtfertigung der bereits geleisteten und von Lieferando gezahlten Wahlvorstandsarbeit eingegangen, berichtet der Kurier.

Dahinter liege eine Strategie zur Ressourcenbindung: »Mit dem heutigen Versuch, Hub-Mitarbeiter in die Wählerliste zu bekommen und gleichzeitig in einem anderen Verfahren den Abbruch der Wahl zu erreichen, zeigt für uns deutlich, dass es dem Management nicht um eine demokratische Wahl geht«. Vielmehr strebe Lieferando die Behinderung von Mitbestimmung an, so der Wahlvorstand.

In der Vergangenheit kam es vermehrt zu rechtlichen Konflikten um Betriebsratsgründungen in der Berliner Lieferbranche, neben Gorillas kürzlich auch bei der Konkurrenz von Flink. Der befragte Lieferando-Wahlvorstand sieht in dieser Häufung die Reaktion auf einen wachsenden Widerstand gegen Unternehmenskonzepte, »die nicht auf Mitbestimmung ausgelegt sind«.

Hinweis: Ursprünglicherweise hatte der Text den Eindruck vermittelt, dass das Unternehmen Lieferando selbst als Beschwerdesteller am Prozess beteiligt gewesen sei. Der Fehler wurde nachträglich korrigiert.

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