Klimafreundlich transportieren

Für jedermann verfügbare Lastenradflotte wächst nun auch in Neukölln

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Lässt sich fahren: Neuköllns Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) in der Pflügerstraße
Lässt sich fahren: Neuköllns Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) in der Pflügerstraße

»Ich freue mich über jedes Mittel, das dazu beiträgt, dass wir den motorisierten Individualverkehr reduzieren können«, sagt Neuköllns Verkehrsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) am Donnerstag an der Kreuzung Pflüger- und Friedelstraße im Norden des Bezirks. Diesmal geht es um per App stundenweise ausleihbare elektrische Lastenräder, die nun an zehn Standorten im Reuterkiez an festen Stationen entleihbar sind.

»Das Fahrrad, das hier ausgeliehen wird, kann auch nur hier zurückgegeben werden. Es kann also nicht irgendwo anders herumstehen«, erläutert Biedermann. Die zehn Standorte seien so ausgewählt worden, dass »ausreichend Platz ist für die Abstellfläche, ohne dass sie im Weg sind«. Ein gelbes Sprühkreidelogo des Anbieters Cargoroo auf der breiten Gehwegvorstreckung neben dem Zebrastreifen markiert den Standort. »Wie Sie sehen, handelt es sich nicht um die Wegwerfprodukte, die ansonsten im Sharingsegment auch zu sehen sind«, lobt der Stadtrat das Produkt.

7000 Euro kostet das Lastenrad in dieser Ausführung, sagt Tom, der bei Cargoroo für die Wartung der Berliner Flotte zuständig ist. 66 Stück finden sich inzwischen in den Bezirken Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf, bis Jahresende sollen es 100 sein. Durch das stationsgebundene System reduzieren sich nach Angaben des Unternehmens allerdings der Aufwand für die Instandhaltung und auch der Vandalismus.

Bereits 110 elektrische Lastenräder bot der Anbieter Avocargo zu Jahresbeginn auf den Straßen der Hauptstadt zur Miete per App an. Diese können allerdings im Geschäftsgebiet, das Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Teile von Alt-Mitte umfasst, überall abgestellt und auch entliehen werden.

Was beide Anbieter eint: Die Leihe ist wahrlich kein Schnäppchen. 8 Cent pro Minute, hochgerechnet also 4,80 Euro pro Stunde, verlangt Cargoroo. Die Avocargo-Miete schlägt mit 1,90 Euro pro Viertelstunde zu Buche, also 7,60 Euro pro Stunde. Dazu kommt noch eine Startgebühr von einem Euro. Das Unternehmen reduziert die Stundenpreise bei längerer Ausleihe jedoch, für 24 Stunden werden 28,90 Euro verlangt.

Auch über die Plattform listnride.de können Lastenräder gemietet werden, meist von Fahrradhändlern. Die Tagesmiete für den nicht elektrifizierten Lastenesel beginnt bei 15 Euro und geht rauf bis 86 Euro, es werden auch günstigere Wochenmieten angeboten.

Julia von Cargoroo berichtet, dass die Nutzungen der Lastenräder ganz unterschiedlich seien. Manche brächten den Nachwuchs zum Kindergarten – bis zu drei Kinder finden Platz –, andere erledigten ihren Wocheneinkauf so. 125 Kilogramm können zugeladen werden. Dank der hohen Akkureichweite von rund 100 Kilometern sei auch ein Ausflug an einen See in Brandenburg möglich. Bei Konkurrent Avocargo liegt die Reichweite nur bei 40 Kilometern.

Angesichts der Preise fragt sich Stadtrat Jochen Biedermann, wer auf diese Art seine Kinder in die Kita bringt. Allerdings sind auch Leihwagen nicht billig. Für den Grünen-Politiker ist aber klar: »Es ist eine weitere Ergänzung zu Systemen wie Flotte, wenn man sich selber kein Lastenrad anschaffen will.«

Flotte, so heißt das 2018 gestartete, kostenlose Verleihsystem für Cargo-Räder unter der Obhut des Fahrradclubs ADFC Berlin. Im März 2022 wurde in Spandau das 200. Fahrrad gefeiert, das in Dienst gestellt worden ist. Gekauft werden die Räder beispielsweise von den Bezirken oder auch privaten Sponsoren. In Berlin und dem brandenburgischen Umland stehen derzeit 233 Räder zu Verfügung, von denen nur rund zehn Prozent elektrisch angetrieben sind. Denn die Anschaffungskosten und der Reparaturaufwand sind deutlich höher.

Ausgeliehen werden können diese Lastenräder tageweise bis zu drei Tage am Stück. Stationiert sind sie beispielsweise bei kommunalen Einrichtungen wie Bibliotheken oder Kiezzentren, an Kindergärten oder Bioläden. Im Gegensatz zu den kommerziellen Anbietern gibt es hier auch reichlich Entleihmöglichkeiten außerhalb der Innenstadt.

Laut aktueller Statistik haben inzwischen seit Projektstart knapp 14 500 Nutzerinnen und Nutzer fast 970 000 Kilometer mit der Flotte zurückgelegt. Eine Umfrage unter den Entleihenden ergab, dass 38 Prozent der Fahrten ohne dieses Angebot per Pkw erledigt worden wären, was einer CO2-Einsparung von 79,3 Tonnen entspricht.

»Lastenräder sind in den letzten Monaten zu einem Kulturkampf hochstilisiert worden. Ich sehe das ganz nüchtern«, sagt Jochen Biedermann. »Mein Ziel wäre, dass das nicht nur ein Angebot für die Nord-Neuköllner Altbaukieze wird, sondern dass wir das auch weiter im Süden des Bezirks hinbekommen.«

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