Ice, Ice, Baby

Sommer in Berlin: Eine kleine Eisdiele in Kreuzberg und ihre Geheimnisse

  • Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 6 Min.
Bloß keine Kugeln! Gil More spachtelt in seiner Eisdiele Zàgara – gelato e caffè am Schlesischen Tor.
Bloß keine Kugeln! Gil More spachtelt in seiner Eisdiele Zàgara – gelato e caffè am Schlesischen Tor.

Ein Sommer in Berlin ist kein Sommer ohne Eis. Aber natürlich sollte es nicht irgendein Eis sein. Sondern Eis mit einem Geschmack, den man vorher noch nicht kannte. Kurz: das ziemlich großartigste Eis, das der Autor dieser Zeilen bisher in dieser Stadt gegessen hat. Was ist das Geheimnis dahinter? Und warum ist alles so anders in dieser kleinen Eisdiele Zàgara nahe des Schlesischen Tors in Kreuzberg? Es fängt schon mit dem Namen an: Zàgara, italienisch für Orangenblüte. Genauso fein und filigran ist auch das, was die drei Betreiber hier aus dem Eis machen. Sie machen ihr Eis selbst, im Sommer täglich frisch.

»Man braucht vor allem gute Zutaten«, sagt Riccardo Cravero, einer der drei Eigentümer. Viele Eisdielen arbeiten mit Präparaten und mit Pulvern, mit Wasser, manchmal immerhin auch mit Milch. Künstliche Aromen, Farbstoffe, Stabilisatoren, Verdickungsmittel, Emulgatoren, Konservierungsstoffe, all das lande häufig im Eis, obwohl es da nichts zu suchen habe, denn, so Cravero: »Je weniger Zutaten man in das Eis reintut, desto besser schmeckt es.«

Cravero erzählt von dem ältesten Eisrezept auf der Karte, »das wir bei uns hier Crema Antica nennen«. Das stammt noch aus der Renaissance und hat genau drei Zutaten: Eigelb, Sahne und Zucker. Damals habe man mit dem Schnee aus den Bergen das Eis gekühlt. Etwas, was sich »nur die Päpste und adligen Familien leisten konnten«, sagt der Eisexperte. Und selbst für die feine Gesellschaft habe es so etwas nur zu besonderen Anlässen gegeben. Irgendwann sei man dann auf den Trichter gekommen, dass sich Fruchtsäfte auch zum Eismachen eignen: »Und diese zwei Richtungen gibt es auch bei uns, veganes Sorbet und Eis mit Milch.«

Kein peruanisches Inka-Eis aus der Lúcuma-Frucht oder japanisches Kakigōri-Eis, sondern Gelato und Caffè, also Eis und Kaffee, einfach und pur, das ist das Konzept von Zàgara. Dazu ein kleiner Laden, ein paar Tische vor der Tür, Selbstbedienung. Alles puristisch. So, wie man es auch in Italien mache. Dazu kämen gute Rohprodukte, »die regional sind, man will saisonale Produkte«, sagt Cravero. Für ein Kilo Erdbeereis zum Beispiel benötigt er 700 Gramm frische Erdbeeren.

Viel teurer im Wareneinsatz sind die Pistazien aus Sizilien. »Manche Eisdielen verlangen schon einen Aufpreis für Pistazien, weil die Preise für Pistazien so in die Höhe gegangen sind, wir finden das irgendwie doof«, sagt Cravero. Andere Sorten dagegen können die Macher schon jetzt nicht mehr anbieten. Vanilleeis sucht man auf der Karte vergebens. Auch so etwas, was hier anders ist. Angesprochen auf das Eisangebot, sagt Cravero: »Natürlich gibt es Sorten, die man immer haben muss und mit denen man nicht viel arbeiten kann, und dann gibt es Raum für Neues oder für Einfälle, die man hat.« Schokolade-Rote-Beete sei so eine erste ausgefallene Idee zur Eröffnung das Ladens 2019 gewesen. 

Die drei Freunde Riccardo Cravero, Tiziana Zanolli und Gil Mor hatten damals einen gemeinsamen Gedanken: »Wir wollten noch mal was anderes in unserem Leben machen«, erinnert sich Cravero. Zanolli war Gastronomin, Mor Biologe, Cravero Übersetzer. Alle um die 50. »Auch ein bisschen blauäugig, aber wir hatten noch die Kraft, etwas Neues zu machen.« Gelernt haben sie dann bei Stefano Guizzetti, einem der besten italienischen Gelatiere – so die Fachbezeichnung für Eismacher – aus Mailand. »Die neusten Praktiken auf der Höhe der Zeit«, beschreibt es Cravero.

Kurz vor der Eröffnung hatte Guizzetti die drei in Berlin besucht. »Bei der Idee, Rote Beete mit Schokolade zu kombinieren, war er skeptisch«, berichtet Cravero. Sie konnten ihn überzeugen, aber vor allem die Kunden – bis heute ist die seltsam klingende Kombination eine ihrer beliebtesten Eissorten. Ähnlich geht es anderen experimentellen Sorten wie Banane mit Spinat, Ananas mit Rosmarin oder Lakritz mit schwarzen Johannisbeeren. »Letzteres ist für meinen Geschmack unser bestes Eis«, sagt Cravero. Lange hat er probiert, nach dem richtigen Lieferanten gesucht. »Wir wollten etwas ganz Besonderes machen.«

Eismachen ist nicht wie Kochen, ein bisschen hier, ein bisschen da. »Man muss ganz präzise sein, alles muss exakt ausgeglichen sein.« Denn jedes Produkt habe seine eigenen Eigenschaften, Zucker sei nicht gleich Zucker. Zucker sei nicht nur wichtig, weil Speiseeis eine Süßigkeit ist, sondern weil er – »ganz wichtig« – das Eis auch geschmeidig mache. Das sei alles ein bisschen wie im Chemieunterricht, sagt Cravero. »Mit Kochen hat das wirklich nichts zu tun. Ich liebe Kochen, aber Eismachen ist wirklich sehr langweilig. Ist einmal das richtige Rezept gefunden, ist der Rest wirklich sehr, sehr mechanisch.«

Betritt man den kleinen Laden an der Köpenicker Straße, kann man das Eis nicht sehen. Es wird in verschlossenen Edelstahlbehältern bei minus zehn Grad gekühlt. So oxidiert es weniger. Die Regel ist: »Je weniger du das Eis anfasst, umso besser«, sagt Cravero. Alles für das Eis – aber auch hier wird wieder anders herangegangen. Kugeln gibt es bei Zàgara übrigens auch keine. Das Eis wird mit Spachteln portioniert.

Und wo ist jetzt das Spaghetti-Eis? Cravero lacht. »Spaghetti-Eis habe ich noch nie gegessen.« Er erzählt, das sei erstmals in den 1970er Jahren aufgekommen, die Idee eines Italieners in Deutschland. »In Italien kennt das keiner, Eis ist süß, Spaghetti nicht.« Damals musste Eis in Deutschland vor allem eines sein: bunt. »Irgendwie wollte man da frohe Farben haben, auch wegen der Kinder.« Und wieder kommt Cravero auf das Pistazieneis zu sprechen. »Das ist nicht grün, vielleicht ein ganz bisschen, aber hauptsächlich ist es grau.« Heutzutage sei die Farbe nicht mehr so wichtig. Bewusst auf gute Zutaten zu achten, das sei in den letzten 15 Jahren aufgekommen. »Wenn man heute eine Eisdiele in Italien aufmacht, dann muss man so arbeiten, wie wir es machen«, sagt er. Kein Spaghetti-Eis. Eis in Kübeln. Keine Kugeln. Keine Eisbecher. Keine Schirmchen. 

Die Frage nach dem mitunter bis heute vor allem in Ostdeutschland beliebten Softeis bleibt besser ungestellt. Cravero dürfte es kennen. Kurz vor 1989 kommt er zum ersten Mal nach Berlin, um dem italienischen Militärdienst zu entgehen. »Ich habe ein altes Gesetz aus der Zeit des Faschismus entdeckt, dass man den Militärdienst nicht machen muss, wenn man emigriert war und einen Job hat«, erzählt er. Sofort habe er sich einen Job in einem Café in Schöneberg gesucht. Er erzählt von früher. Von seinem alten Fiat Panda, mit dem er nachts nach der Arbeit »nach Hause in den Wedding durch Ost-Berlin gefahren ist«. Von den Jahren nach dem Mauerfall, von Technopartys.

»Nach ein paar Jahren dachte ich, das war’s jetzt mit Berlin, die Regierung wollte hierherziehen, es sollte die Olympischen Spiele geben«, erinnert er sich. Er ging wieder nach Italien und kehrte erst 2008 wieder nach Berlin zurück. So schlimm, wie vermutet, war es dann doch nicht. Er blieb. Zusammen mit Tiziana Zanolli und Gil Mor. Zum Glück. Es ist eben nicht nur dieses unglaublich leckere Eis, es sind auch diese drei Menschen, die dieses Kleinod in Kreuzberg so besonders machen.

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