Die bessere Hälfte

Die reicheren 50 Prozent der deutschen Haushalte besitzen den Großteil des Finanzvermögens sowie fast alle Betriebe und Immobilien

  • Stephan Kaufmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Preise steigen schnell in Deutschland, nicht nur für Energie und Lebensmittel. Auch Anbieter anderer Waren und Dienstleistungen setzen die Preise herauf. Als ein Grund dafür gilt, dass die Haushalte in Zeiten der Corona-Lockdowns hohe Ersparnisse aufgebaut haben. Diese Ersparnisse greifen die Unternehmen nun per Preiserhöhung ab. Neue Berechnungen zeigen allerdings: Die Corona-bedingte Zusatzersparnis der Menschen verteilt sich äußerst ungleich. Das gilt ebenso für die gesamten Vermögen. Dabei sind die Vermögen der Reichen nicht nur sehr viel größer als die der Ärmeren, sie setzen sich auch anders zusammen und erzielen höhere Renditen, weil sie einem anderen Zweck dienen.

Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem Monatsbericht vom Juli 2022 eine neue Reichtumsbilanz für Deutschland aufgestellt. Darin berechnet sie die Verteilung des Nettovermögens – also des Sachvermögens (Betriebsvermögen, Immobilien) plus des Geldvermögens (Bankeinlagen, Aktien, Investmentfonds, Schuldverschreibungen, Versicherungsansprüche, finanzielles Betriebsvermögen), abzüglich Schulden. Ihr Ergebnis: Anders als oft behauptet, ist die Vermögensungleichheit in Deutschland gesunken. Zudem sei sie geringer als in den USA. Der Vergleich mit früher und andernorts jedoch verdeckt das Wesentliche: Die Ungleichheit in Deutschland ist extrem hoch.

Laut Bundesbank hat die ärmere Hälfte der deutschen Haushalte in Sachen Vermögen kräftig aufgeholt. Allerdings gehört ihr weiterhin fast nichts: Besaß sie 2009 lediglich 0,2 Prozent des gesamten Nettovermögens, so lag der Wert Ende 2021 bei mageren 1,4 Prozent. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte – zu denen man ab einem Nettovermögen von ungefähr 280 000 Euro gehört – nannten dagegen rund 61 Prozent des Gesamtvermögens ihr Eigentum. Das reichste ein Prozent – also mit mindestens 1,3 Millionen Euro – besaß knapp 28 Prozent.Tatsächlich aber dürfte die Ungleichheit noch deutlich größer sein. Denn Vermögensbilanzen basieren auf Umfragen, an denen die Superreichen kaum teilnehmen, was die Verteilung gleicher erscheinen lässt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzte 2020 den wirklichen Anteil der Top 10 Prozent am Gesamtvermögen auf 67 Prozent und des reichsten ein Prozent auf 35 Prozent. 2021 »besaßen zwei Familien mehr Vermögen als über 41,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner«, schreibt Martyna Linartas auf dem Finanzwende-Blog.

Dennoch ist die Ungleichheit im Zeitverlauf laut Bundesbank zumindest etwas gesunken. Dies lag zum einen daran, dass die Ärmsten mehr gespart und Schulden abgebaut haben. Zum anderen daran, dass die »obere Mitte der Verteilung spürbar von einem steigenden Wert des Immobilienvermögens profitierte«. Von dieser Wertsteigerung, die sich gesellschaftlich als Mangel an bezahlbarem Wohnraum bemerkbar macht, partizipiert fast nur die reichere Hälfte der Haushalte, die häufig als »Leistungsträger« bezeichnet wird. Denn ihr gehören 97 Prozent des gesamten deutschen Immobilienvermögens.

Noch krasser ist das Verhältnis bei den Betriebsvermögen. »Anteilsrechte und Betriebsvermögen befinden sich fast ausschließlich im Besitz der oberen zehn Prozent der Verteilung«, so die Bundesbank. Sie profitierten von der »in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Bedeutung der Unternehmensersparnisse«, sprich von den hohen Unternehmensgewinnen. Eine derzeit häufig geforderte Übergewinnsteuer würde also vor allem die Reicheren belasten.

Dass den obersten zehn Prozent fast das ganze Betriebsvermögen gehört, bedeutet im Umkehrschluss: Reich wird man vor allem als Eigentümer*in der Produktionsmittel – also nicht indem man arbeitet, sondern indem man arbeiten lässt. Das zeigt sich auch an der Rendite, die die Haushaltsgruppen auf ihre Vermögen erzielen. Während ihr Immobilien- und Betriebsvermögen den wohlhabenderen Haushalten kräftige Zuwächse bescherte, bilanziert die vermögensärmere Hälfte der Bevölkerung Verluste. Der Grund: Sie besitzen nahezu ausschließlich risikoarme Anlageformen wie Bankeinlagen oder Versicherungsansprüche. Und die bringen kaum Zinsen, weswegen die hohe Inflation hier voll ins Kontor schlägt: Die reale Rendite ist negativ. Um ihre Gesamtersparnis zu erhöhen, müssen die Ärmeren mehr Geld zurücklegen.

Die schlechte Rendite könnte zu dem Schluss führen, Arme seien schlicht die schlechteren Geldanleger, sie seien zu risikoscheu. Diese Risikoscheu jedoch ist keine Frage des Charakters, sondern hat einen materiellen Grund, den die Bundesbank erklärt: »Private Haushalte in der unteren Hälfte der Vermögensverteilung halten insbesondere deshalb vorzugsweise liquide Anlageformen wie Einlagen, um den Konsum im Falle unerwarteter Einkommensschwankungen weniger stark einschränken zu müssen.« Dieses Motiv des Vorsichtssparens sinke mit steigendem Vermögen – wer reich ist, muss weniger Angst haben.

Sprich: Wer auf Grund von Geldmangel für »unerwartete Einkommensschwankungen« spart, muss auf Nummer Sicher gehen – und verliert. Wer dagegen reich ist und das Geld daher nicht für den Konsum braucht, kann sich voll auf die Kapitalvermehrung konzentrieren und dafür Risiken eingehen, die hohe Renditen bringen. Vor der Inflation sind die Wohlhabenderen dabei auch deswegen eher geschützt, weil sie die Anteile an jenen Institutionen halten, die die Preise erhöhen, die Inflation also machen: den Unternehmen. Aktien gelten unter Investoren daher als klassischer »Inflationsschutz«.

Ähnliches gilt für Immobilien, deren Preisanstieg zur Inflation beiträgt. Für die einen verteuert dies den Wohnraum, den anderen beschert es hohe Renditen. »Da insbesondere das Immobilienvermögen neben Aktien eine hohe Rendite erzielte, fiel die reale Vermögensrendite im Durchschnitt über die Jahre 2009 bis Anfang 2022 in der vermögenderen Hälfte der Verteilung deutlich höher aus als in der vermögensärmeren Hälfte«, bilanziert die Bundesbank. »So war die reale Rendite von Immobilien durchgängig positiv und stieg von gut drei Prozent im Jahr 2009 auf etwa elf Prozent zu Beginn des Jahres 2022.« Hier wird allerdings nicht unterschieden zwischen Investoren und Wohnenden – also zwischen jenen, die eine Immobilie als Geldanlage nutzen und jenen, die in ihr leben. Erstere verzeichnen einen Zuwachs an frei verfügbarem Vermögen. Letztere hingegen bleiben unter Umständen an ihre Wohnung gebunden und können den Wertzuwachs nicht per Verkauf realisieren.

Wegen der höchst ungleichen Verteilung von Vermögen und Einkommen ist es auch nicht überraschend, dass sich die in der Coronakrise aufgebauten Zusatzersparnisse sehr unterschiedlich verteilen. In Zeiten der Lockdowns führten »eingeschränkte Konsummöglichkeiten aufgrund von Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie etwa wegen angeordneter Geschäftsschließungen oder Reiseeinschränkungen« dazu, dass sich bei den Haushalten das Geld ansammelte, das in der aktuell hohen Inflation als finanzieller Puffer dient. Dieser Puffer fällt allerdings nicht bei allen Haushalten gleich groß aus.

Laut Bundesbank »ist zu erkennen, dass vor allem die Haushalte am oberen Ende der Vermögensverteilung in absoluten Beträgen in nennenswertem Umfang zusätzliche Ersparnisse aufgebaut haben«. Während ein Haushalt der unteren Verteilungshälfte insgesamt derzeit über zusätzliche Ersparnisse in Höhe von etwa 420 Euro verfüge, entfalle auf einen Haushalt im obersten Prozent der Verteilung im Durchschnitt ein zusätzlicher Betrag von rund 120 000 Euro. »Steigende Energie- und Lebenshaltungskosten dürften die Haushalte am unteren Ende der Vermögensverteilung in diesem Zusammenhang somit vergleichsweise stärker belasten.«

Von einer vor diesem Hintergrund naheliegenden Vermögensabgabe hält aber zumindest der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium nichts. Im vergangenen Jahr warnte er in einem Gutachten davor, eine einmalige Vermögensabgabe würde »erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen, weil sie das Vertrauen von Sparern und Investoren erschüttert«. Deutschlands »über Jahrzehnte erarbeiteter Ruf als sicherer Investitionsstandort« werde durch eine einmalige Lastenabgabe »unnötig, schnell und dauerhaft zerstört«. Höhere Erbschaftsteuern gelten zwar als weniger gefährlich. Doch noch sträubt sich die Politik.

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