Rassismus in der BVG: Bitte zurückbleiben!

Es braucht dringend gezielte Maßnahmen gegen Diskriminierung im ÖPNV, fordert Berlins Grünen-Chef Philmon Ghirmai. Ein Gastbeitrag

  • Philmon Ghirmai
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir haben jetzt ein Muster, das die Vielfalt, die Berlin ausmacht, abbildet«, sagte Christine Wolburg, Bereichsleiterin Vertrieb und Marketing bei der BVG, bei der Vorstellung des neuen Designs für die Sitzmuster in den Bussen und Bahnen Anfang Juli. Das stimmt, denn Berlin ist eine vielfältige Metropole. Das neue Designmuster der BVG-Sitze mag daher zu unserer Stadt passen. Doch passt es auch zur BVG selbst?

Das Marketing der BVG zeichnet, mal mit Augenzwinkern, mal mit scharfer Zunge das Bild eines Unternehmens, das seinen Mobilitätsauftrag mit klarer Haltung in gesellschaftspolitischen Fragen durchführt. Und in der Tat leisten Tausende BVG-ler*innen Tag für Tag harte Arbeit, um unsere Stadt in Bewegung zu halten. Das strahlend gelb-schwarze Marketing der BVG übertüncht aber nicht die Schattenseiten der Mobilität mit Bus und Bahn für viele Menschen in Berlin. Denn Stand heute sind Rassismus und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion, der Sprache, Herkunft oder des sozialen Status bitterer Alltag in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Dabei geht die Diskriminierung nicht nur von anderen Fahrgästen, sondern gerade auch von den Mitarbeiter*innen der BVG und ihren Dienstleistern aus. Ein Beispiel ist das des Schwarzen Opernsängers Jeremy Osborne: Er machte im Mai dieses Jahres öffentlich, dass er die BVG verklagt habe, weil er in der U-Bahn von Kontrolleur*innen rassistisch beleidigt und tätlich angegriffen worden sei. Das ist kein Einzelfall. Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin etwa berät jedes Jahr zahlreiche Personen, die Diskriminierungserfahrungen im öffentlichen Personennahverkehr gemacht haben. Die Dunkelziffer ist hoch.

Unlängst wurde »Weil wir dich lieben«, der markige Claim der BVG, von Aktivist*innen in einer Social-Media-Kampagne aufgegriffen und in »Weil wir dich fürchten« umgewidmet. Sie fordern von der BVG, sich endlich effektiv gegen Diskriminierung in ihrem Verantwortungsbereich einzusetzen. Das Problem ist seit Jahren bekannt, nachhaltige Konsequenzen hat das Unternehmen seither jedoch nicht gezogen. Dabei machen auch BVG-Mitarbeiter*innen selbst immer wieder dramatische Erfahrungen – im Unternehmen, aber auch »auf Strecke«, wenn Fahrgäste sie beleidigen oder auch angreifen.

Es reicht nicht, Diversität und Weltoffenheit nur zu proklamieren. Die Mobilitätswende wird nicht gelingen, wenn nicht auch gezielte Maßnahmen gegen Diskriminierung im ÖPNV ergriffen werden. Die BVG steht in der Pflicht, ihr Angebot diversitätssensibel und diskriminierungskritisch anzubieten, um allen Berliner*innen den Umstieg auf den ÖPNV zu ermöglichen. Die Zivilcourage einiger Berliner*innen, die bei schrecklichen rassistischen Übergriffen einschreiten, ist bemerkenswert. Sie kann aber nicht die Lösung für strukturelle Probleme sein.

Die BVG muss sich dem Problem substanziell stellen und die Lücke zwischen dem eigenen PR-Anspruch und der erlebten Wirklichkeit der Fahrgäste endlich schließen. Dafür muss etwa die Ausbildung aller Berufe in der BVG einen verpflichtenden diskriminierungskritischen Anteil beinhalten. Dies gilt auch für die Mitarbeiter*innen der Subunternehmer, hinter deren Verantwortung sich die BVG viel zu häufig versteckt. Das Verkehrsunternehmen muss selbst sicherstellen, dass auch deren Mitarbeiter*innen qualitativ angemessen geschult werden.

Zwingend notwendig ist auch die Einrichtung klarer Beschwerdestrukturen, an die sich betroffene Personen wenden können – am besten unabhängig. Zudem müssen das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) und seine Beschwerdestelle innerhalb der BVG und auch gegenüber den Fahrgästen viel bekannter gemacht werden, sodass Betroffene von Diskriminierung sich auch an diese Institution wenden können und Vorfälle bekannt, dokumentiert und im Sinne der Betroffenen aufgearbeitet werden.

Betroffene, die ihre Erfahrungen schildern, tun dies unter einer großen persönlichen Belastung. Dem muss im Umgang mit ihnen und den Einrichtungen, die sie beraten, adäquat begegnet werden. Daher muss seitens des Verkehrsunternehmens mit der LADG-Ombudsstelle und den zivilgesellschaftlichen Antidiskriminierungsberatungsstellen im Fall der Fälle eine enge und transparente Zusammenarbeit erfolgen. Zentral ist auch ein offener und zielorientierter Dialog mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und ein Ende der Intransparenz hinsichtlich rassistischer, diskriminierender und gewalttätiger Vorfälle. Transparenz und Ehrlichkeit helfen der BVG, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Klar ist aber auch: Mobilität ist nur ein Lebensbereich, in dem Diskriminierung Alltag ist. Die gesamte Stadtgesellschaft muss auf allen Ebenen hart an einem diskriminierungskritischen Berlin arbeiten. Dazu gehören alle landeseigenen Unternehmen genauso wie Vereine, Institutionen und Organisationen. Nur gemeinsam können wir für alle Menschen, die hier leben, das Versprechen der Freiheitsstadt Berlin einlösen.

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