Die Roten sind unter uns

Am 17. August 1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) in der Bundesrepublikverboten – eine Ausnahme in der bürgerlichen Demokratie. Das Verbot bedeutete auch eine Neuauflage der ­Totalitarismusideologie, dieses Mal unter Regie der CDU

  • Anton Schmidt
  • Lesedauer: 7 Min.
Auch ein Anliegen der Neuen Linken: Aktion gegen das KPD-Verbot, Bottrop 1968
Auch ein Anliegen der Neuen Linken: Aktion gegen das KPD-Verbot, Bottrop 1968

Parteien kommt im Grundgesetz eine hohe Bedeutung zu. In ihnen als wesentlicher Organisationsform demokratisch-legitimer Repräsentation soll sich der demokratische Willens- und Meinungsbildungsprozess materialisieren, Menschen sollen handlungsfähig werden. Ein Verbot bestimmter Parteien bedarf daher eines besonderen juristischen und politischen Aufwandes und ist entsprechend auch die Ausnahme: Das Verbot der faschistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 und später der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1956 sind die einzigen Parteienverbote, die bis heute in der Bundesrepublik erlassen worden sind. Gilt das Verbot der SRP, die sich selbst in die Tradition des Nationalsozialismus stellte und deren Parteiprogramm im Grunde dem der NSDAP nachempfunden ist, kaum als fragwürdig, ist das KPD-Verbot bis heute umstritten.

KPD-Verbot als Grundsatzentscheidung

Das Verbotsverfahren lief damals folgendermaßen ab: Nach einem fünfjährigen Prozess stellte das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 die Verfassungswidrigkeit der KPD fest; Propagandamaterial, Druckereien und das Parteivermögen wurden noch am Tag der Urteilsverkündung beschlagnahmt, die Parteibüros durchsucht und geschlossen, es gab zahlreiche Verhaftungen von Parteifunktionär*innen und der Führungsriege.

Begründet wurde das Verbot keineswegs mit einer realen Gefahr für das politische System der Bundesrepublik oder dem Verweis auf den stalinistischen Terror. Stattdessen lieferte das Gericht eine ausführliche Exegese klassischer marxistischer Texte, denen es eine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterstellte. Hier wurde bereits die Beschreibung der kapitalistischen Gesellschaft als Klassengesellschaft als Widerspruch zu humanistischen Grundsätzen verstanden, da dies dem bürgerlichen Konzept des freien Individuums widerspreche.

Diese Argumentation hat übrigens auch heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt, sie findet sich etwa in der Begründung des Innenministeriums zur Beobachtung der Tageszeitung »Junge Welt« durch den Verfassungsschutz wieder. Das Urteil des Verfassungsgerichts muss daher als eine Grundsatzentscheidung verstanden werden, die den Sozialismus als per se unvereinbar mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes erachtet. Das Verbot der KPD erscheint so auch als Angriff auf die Sozialdemokratie und alle weiteren Organisationen der Arbeiter*innenbewegung sowie der Linken insgesamt.

Das Konstrukt »FDGO«

Das Konzept der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, das in dieser Debatte bemüht wird, entstammt der Idee einer »wehrhaften Demokratie«, die dem Grundgesetz als Orientierung diente und aus den Fehlern und Versäumnissen der Weimarer Republik und aus dem Nationalsozialismus gelernt haben will. Die dazugehörige Erzählung lautet in etwa wie folgt: Das demokratische System der Weimarer Republik sei von extremistischen Strömungen von links und rechts in die Mangel genommen worden und schließlich daran untergegangen. Der Nationalsozialismus hätte vor allem deshalb ganz legal an die Macht gelangen können, weil das Weimarer System nicht in der Lage gewesen sei, sich effektiv gegen diese antidemokratischen Kräfte zu wehren. Um solchen Angriffen rechtzeitig etwas entgegenzusetzen, bräuchte es nun eine wehrhafte Demokratie, die an unveräußerliche Werte und moralische Grundsätze gebunden sei und diese zugleich verteidige.

An dieser Erzählung ist alles falsch – von ihrer historischen Interpretation bis hin zu ihren politischen Implikationen. Denn es waren ja gerade jene konservativen Milieus des Bürgertums, die diesem Narrativ anhingen, die zusammen mit den Faschisten die Demokratie sabotierten und so dem Nationalsozialismus den Weg bereiteten. Die Klage über das »zu liberale« politische System der Weimarer Republik entspringt nicht der Kritik seiner realen Unzulänglichkeiten, sondern richtete sich von Anfang an gegen die verhasste Demokratie selbst, insbesondere gegen den Liberalismus und den Sozialismus.

Dass nun die KPD in der Bundesrepublik, nur wenige Jahre nach Ende des Nationalsozialismus, mithilfe der extremismusideologischen Gleichung erneut verboten wurde, erscheint gerade angesichts der vielen personellen Kontinuitäten in den staatlichen Bereichen der frühen BRD, ganz besonders beim Verfassungsschutz, bitter. Der Journalist Heribert Prantl von der »Süddeutschen Zeitung« brachte die historische Situation einmal polemisch auf den Punkt: »KPD-Mitglieder, die im Konzentrationslager gesessen hatten, wurden von Verfassungsschützern, die Nazis gewesen waren, zur Strecke gebracht.«

Im Verbot der KPD kulminierte eine antikommunistische Propaganda, die im anlaufenden Kalten Krieg schnell Einfluss gewonnen hatte. Diese erfüllte vor allem die Funktion, die neue westdeutsche Identität zu stärken sowie die neue politische und soziale Ordnung zu stabilisieren und zu legitimieren. Konrad Adenauer sah Deutschland »vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit«; Außenminister Heinrich von Brentano assoziierte einen abendländischen Abwehrkampf gegen »die Massen des Ostens«, die »Verderben und Untergang« mit sich brächten. Im gängigen Narrativ der deutschen Modernisierungsgeschichte avanciert der Antikommunismus der frühen Bundesrepublik so zu einer vorgeblich unvermeidlichen Begleiterscheinung eines gelungenen Demokratisierungsprozesses.

Aber im Kampf um die politische Hegemonie ging es letztlich gar nicht um die moralische Entscheidung für bestimmte Werte oder gar Vergangenheitsbewältigung. Es ging vor allem um die Entscheidung über die soziale Ordnung der Zukunft und über Macht- und Kapitalinteressen, um die Chance einer möglichen Neuordnung der politischen und gesellschaftlichen Formation in einer historischen Phase, in der vieles möglich schien. Dies drückte sich in entsprechender Repression aus. Bereits 1950 wurde mit dem »Adenauer-Erlass« ein Berufsverbot für den öffentlichen Dienst beschlossen, unter anderem für Mitglieder der KPD, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und neun weitere linke Organisationen. Zwischen 1951 und 1968 wurden im Rahmen des politischen Strafrechts 120 000 Verfahren eröffnet und circa 7000 Urteile gegen Linke und Kommunist*innen gesprochen.

Die DKP: kein Erfolgsmodell

Während die KPD bis heute verboten blieb, wurde 1968 indes die Gründung der DKP als Nachfolgepartei zugelassen. Die Frage, wie mit dieser neuen kommunistischen Partei umzugehen sei, sorgte nicht nur im rechten oder konservativen Lager für Kontroversen, wo man erneut eine kommunistische Unterwanderung befürchtete und auch dieser Partei mit einem Verbot begegnen wollte. Auch die SPD hatte es in Gestalt der DKP plötzlich mit politischer Konkurrenz in Betrieben, Gewerkschaften und Kulturpolitik zu tun.

Nach einer kurzen Phase der Verunsicherung wurde jedoch schnell deutlich, dass die neue Partei innenpolitisch keine Gefahr darstellte – weder für die SPD noch für Staat und Kapital. Bereits bei den ersten Wahlen, zu denen die DKP angetreten war, erzielte sie kaum Erfolge; an die zahlenmäßige und politische Stärke der KPD noch kurz nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Kommunist*innen nicht anschließen. Mit Inkrafttreten des Radikalenerlasses 1972 wurde ihr Einfluss in den relevanten Milieus noch weiter zurückgedrängt.

Das Verbot der KPD ist von erheblicher Bedeutung für die politische Kultur der Bundesrepublik und deren weitere Entwicklung; der »Antitotalitarismus« des Grundgesetzes und der extremismusideologische Diskurs wurden so bereits früh gewissermaßen in die Praxis überführt. Geschichtspolitisch wurde damit die Erzählung von der Gleichartigkeit von Kommunismus und Faschismus gestärkt, was die Verharmlosung des Nationalsozialismus und das deutsche Opfernarrativ weiter vorangetrieb.

Der Verfassungsschutz konnte sich in diesem Zuge als antikommunistische Instanz etablieren, in der »ehemalige« Nazis im Namen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ihre alten kommunistischen Feinde zur Strecke bringen und damit auch noch Karriere machen konnten. Nicht nur die spätere DKP, sondern linke Parteien, Vereine oder Organisationen allgemein mussten sich seit dem KPD-Verbot auf einem umso schmaleren Grat bewegen, um einerseits an ihrer inhaltlichen Radikalität festzuhalten und andererseits stets ihre Verfassungstreue zu beweisen.

Der Feind steht links

Bei all dem sollte aber die Kommunistische Partei Deutschlands selbst in ihrer Bedeutung nicht überschätzt oder nachträglich idealisiert werden. Die KPD hatte bereits vor dem Nationalsozialismus eine Stalinisierung durchlaufen und war stark an der DDR orientiert; sie war politisch isoliert, und die Reaktionen der bundesrepublikanischen Arbeiter*innenklasse auf das Verbot waren verhalten. Dennoch ging mit der KPD auch eine traditionsreiche und symbolstarke Plattform der Arbeiter*innenbewegung und eine wichtige Repräsentations- und Organisierungsmöglichkeit in der jungen Bundesrepublik verloren, die angesichts nationalsozialistischer Kontinuitäten und kapitalistischer Neustrukturierung eine parlamentarische kommunistische Opposition mehr als nötig gehabt hätte. Vor allem aber wurde in dem KPD-Verbot deutlich, dass bei aller Demokratisierung und vorgeblichem Bruch mit dem Nationalsozialismus mindestens eine Kontinuität bestehen blieb: Für den bürgerlichen Staat steht der wirkliche Feind links.

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