Ein blutiges Geschäft

Wer hat uns verraten? Postdemokraten! Shakespeares »Caesar« feierte beim Lausitz-Festival Premiere

Caesar wird in Puchers Inszenerierung von Sachiko Hara gespielt.
Caesar wird in Puchers Inszenerierung von Sachiko Hara gespielt.

Erst vor wenigen Jahren war die Rede davon, die »großen Erzählungen« finde man heute nur noch in den Serien der Fernsehanstalten und Streamingdienste. Hier gelinge heute noch, was einst der Roman vermochte: weite Gesellschaftspanoramen und ein bisschen Welt zu zeigen, Aussagen zu treffen über die Art des menschlichen Zusammenlebens. Das scheint nun vorbei. Netflix-Serien sind als Small-Talk-Thema fast so sehr zur Konversationsnotlösung geworden wie das Gerede vom Wetter. Die Binge-Watcher aus der Zeit des Lockdown-Stillstands sind übersättigt durch die sich gleichenden Bildschirmangebote.

Wer nun Lust hat auf einen Politthriller, der klug und ungewöhnlich komponiert ist, der die großen Fragen nicht ausspart und dennoch gerade so geschickt von den Beziehungsgefügen der einzelnen Akteure Auskunft gibt, der muss nicht seine alten »House of Cards«-DVDs rauskramen, um sich noch einmal enttäuschen zu lassen. »Caesar« ist der Titel eines weit überlegenen Kunstwerks, viel dichter erzählt. Sein Autor: William Shakespeare.

Der Meister aus Stratford-upon-Avon hat eine Doppeltragödie für uns verfasst. Es ist die Tragödie des Titelhelden Julius Caesar, dem seine Machtgier zum Verhängnis wird. Er wird Opfer einer Verschwörung, sein Leben ist der Preis. Und wir haben es mit der tragischen Geschichte des Marcus Brutus zu tun. Aus Liebe zum Volk wird er zum Tyrannenmörder. Wachen Auges sieht er die Entwicklung des Freundes Caesar, aber ein guter Taktiker ist er nicht. Auch er bezahlt mit dem Leben.

Regisseur Stefan Pucher kürzt den Fünf-Akter radikal ein, setzt seinen Fokus und fügt das Drama neu zusammen. Aber der Reihe nach. Bevor dieser Abend ab Anfang September im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg zu sehen sein wird, hatte man die Möglichkeit, in Weißwasser diesem Spektakel beizuwohnen.

Wo? Weißwasser ist ein 15 000-Einwohner-Städtchen in der vermeintlich abgehängten Oberlausitz. Die Telux-Glasfabrikhallen im Ort bieten Platz für dieses Tyrannendrama, das hier im Rahmen des Lausitz-Festivals gezeigt wird. Kurz gesagt: Das Areal allein ist schon ein Grund für einen Besuch. Die Anlage mit Industrieruinencharme hat sich in wenigen Jahren gemausert zu einem Ankerpunkt lokaler Kulturangebote.

Draußen, zwischen den Hallen, im Augenwinkel kann man einen gewaltigen Schornstein sehen, nimmt das Geschehen seinen Lauf. Der schwarz berockte Schauspieler Yorck Dippe tritt vor und nimmt das tragische Geschehen um die Verschwörer – die Tode von Cassius und Brutus, den Siegeszug des Antonius – vorweg. Die Katastrophe, die uns im fünften Akt erwartet hätte, ist uns zu jeder Zeit schon gegenwärtig.

Dann geht es hinein. Vier antike Säulen zieren das Bühnenbild. »Si vis pacem para bellum« – Wenn du Frieden willst, dann rüste zum Krieg – lesen wir, in Kapitalen um das Bühnenrund geschrieben. Dass die Dynamiken um Macht und Machtverlust, die an diesem Abend gezeigt werden, so viel mit Krieg zu tun hätten, darf man bezweifeln. Wohl aber passt ein solcher Sinnspruch in unsere Zeit.

Puchers starker inszenatorischer Zugriff wird an der Besetzung und der Anlage der historischen Figuren deutlich. Mit dem großartig spielenden Josef Ostendorf hat er den richtigen Mimen für den Brutus gewählt. Kein junger Mann, der sich unbedacht seinen Gefühlen hingibt, ist dieser Tyrannenmörder. Man glaubt Ostendorf den gestandenen Mann, dem es ernsthaft um das Wohl des Volkes geht. Gemeinsam mit seinen Mitverschwörern ergibt sich beim Publikum nicht der Eindruck einer revolutionären Zelle, eher hat man es schon mit einer müden Polittruppe zu tun, die nicht zu Ende denkt, was sie zu tun bereit ist.

Eine große Statue ist zentral auf der Bühne eingerichtet. Sie zeigt den Caesar mit zerstochener Brust, gehalten von Brutus, ihm zu Füßen steht Cassius zum nächsten Stich bereit. Was sagt uns dieses Bild, ab der ersten Szene sichtbar? Die Inszenierung behauptet eine Zwangsläufigkeit in der Geschichte, als folgte der Tyrannei unweigerlich der Tyrannenmord. Nur ist hier wohl keiner hergekommen, sich vom Unvermeidlichen erzählen zu lassen, sondern um die Mechanismen dahinter zu begreifen.

Hier krankt die insgesamt sehr schnell und in Teilen sehr überzeugende szenische Einrichtung an der Ausgestaltung von Caesar und Antonius. Ersterer, kraftvoll dargestellt von Sachiko Hara, wird uns in seiner Persönlichkeit nicht zugänglich gemacht, eine Entwicklung können wir nicht sehen. Doch wäre es nicht interessant für uns zu beobachten, in diesen Zeiten des postdemokratischen Welttheaters, wie der gute Herrscher zum machthungrigen Diktator wird? Und auch Antonius, den Bettina Stucky spielt und der der geschickteste der Politstrategen auf der Bühne ist, begreifen wir nicht ganz. Als Strippenzieher wird er uns jedenfalls nicht offenbart.

Dem Mord, der eine Befreiung sein soll, folgt der eigentliche Höhepunkt. »Caesar« ist auch ein Lehrstück der politischen Rede. Der zurückhaltende und über keinen Zweifel erhabene Brutus ergreift das Wort. Er spricht klug, doch nicht wie ein kluger Politiker. Caesars Leichnam soll gezeigt werden. Brutus, voller Großmut, erteilt Antonius das Wort. Auch für ihn soll Platz sein in der Republik. Der aber kennt jeden Kniff in dem Spiel, das Politik heißt. Bilder weiß er zu nutzen. Seine Widersacher kann er täuschen. Der verblendete tote Tyrann findet einen gefährlicheren Nachfolger: den klarsichtigen Tyrannen. Und das vermag diese Theaterarbeit dann doch aufs Deutlichste zu zeigen.

Wo die erzählenswerte Tragödie um Brutus entfallen kann, weil sie vorweggenommen wurde, da weist ein Schlussmonolog den Blick auf die Verkommenheit des müden Europas. Der Abgrund wurde dem Publikum präsentiert, nur den Weg dahin verrätselt das Szenische mehr, als dass es ihn weisen würde.

Dass der Tod des Tyrannen schon die Freiheit bringt, das ist ein frommer Wunsch. Viel kann man lernen aus diesem Stück. Vieles enthüllt auch Puchers Inszenierung. Und doch bleiben hier zu viele Fragen offen, zu viele Wege, die uns das Drama weist, bleiben unausgeleuchtet, und so fühlt man sich um einen Teil dieser Geschichte, der kein Serienschreiberling das Wasser reichen kann, betrogen. Der alte Shakespeare aber hat es alles aufgeschrieben.

Hamburger Premiere: 3.9.
Weitere Vorstellungen: 4., 6., 21. und 22.9.
www.schauspielhaus.de
www.lausitz-festival.eu

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