Dänemark setzt auf grüne Fernwärme

Mit dem Gas- und Ölausstieg beim Heizen hat man hier schon vor Jahren begonnen. Das macht sich jetzt bezahlt

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 4 Min.
Blick auf das Kraftwerk Amager in Kopenhagen
Blick auf das Kraftwerk Amager in Kopenhagen

Auch in Dänemark macht man sich Sorgen, wie die Strom- und Wärmeversorgung des kommenden Winters gesichert werden kann. Zudem werden Notfallpläne erstellt und aktualisiert, aber insgesamt befindet sich das Land in einer guten Ausgangsposition: Der Gasbedarf kann größtenteils aus eigenen Quellen in der Nordsee gedeckt werden, aber vor allem beruht die Wärmeproduktion zu weniger als einem Zehntel auf Erdgas. Viele andere Energieträger können genutzt werden, da die Produktion dezentral und großflächig verteilt in Fernwärmekraftwerken im Lande geschieht.

Die Etablierung von Wärmekraftwerken geht zurück bis in das Jahr 1903, als die Stadt Frederiksberg als erste eine Anlage baute, die die Abwärme aus der Müllverbrennung nutzte. Die Bevölkerungszahl war in den Gründerjahren förmlich explodiert und die Abfallmengen stiegen gewaltig an. Die Stadtväter investierten in ein kommunales Kraftwerk, das gleichzeitig Industrie und Einwohner mit Strom und Wärme versorgte. Die Idee griff um sich und wurde langsam Teil der Stadtplanung für neue Wohngebiete in ganz Dänemark. Der Durchbruch kam mit der Ölkrise der 1970er Jahre, die die Umstellung von Stromproduktion aus fossilen Rohstoffen auf kombinierte Wärme-Strom-Produktion wesentlich beschleunigte. In einem ausschließlich stromproduzierenden Werk wird nur 40 Prozent der Energie ausgenutzt, während es in einem Wärmekraftwerk 90 Prozent sind. Heute sind 65 Prozent der dänischen Haushalte ans Fernwärmenetz angeschlossen und etwa 3,8 Millionen Menschen werden darüber versorgt. Gut ein Fünftel der Haushalte heizt individuell mit Wärmepumpen und Biomasse. Dank Verboten sind Öl- und Gasheizungen ein Auslaufmodell: Seit 2013 dürfen sie nicht mehr in Neubauten verwendet werden, seit 2016 auch nicht mehr beim Austausch von Heizkesseln in Bestandsgebäuden.

Stattdessen setzt man noch stärker auf Fernwärme, die auch den Vorteil hat, dass die Energiequellen sehr variabel genutzt werden können: von Müll, Gas und Kohle über Biomasse, Biogas und Erdwärme bis hin zu Sonnen- und Windenergie. Voraussetzung ist dabei die entsprechende technische Ausstattung der Werke, um verschiedene Temperaturen bewältigen zu können. Im ländlichen Jütland produzieren Biogasanlagen, die die Gülle aus der Schweinemast nutzen, einen guten Teil der Wärme. Die Abfallverbrennung spielt wie in der Anfangszeit noch eine wichtige Rolle, auch wenn dies politisch zunehmend umstritten ist. Die Hauptstadtregion Kopenhagen verfügt beispielsweise über zwei derartige Wärmekraftwerke. Die Abfallsortierung und zunehmendes Recycling machen es jedoch zunehmend schwieriger, die notwendigen Mengen sicherzustellen, sodass auch Abfall aus dem Ausland importiert werden muss. Dies ist natürlich klimapolitisch besonders unsinnig, weshalb die Erneuerbaren eine immer größere Rolle im Wärmemix spielen sollen. Ihr Anteil bei der Fernwärme beträgt bereits mehr als 70 Prozent.

Die sozialdemokratische Regierung unter Ministerpräsidentin Mette Frederiksen erklärte in Folge des Ukraine-Krieges die Energieversorgung zum Teil der nationalen Sicherheitspolitik. Der ohnehin geplante weitere Ausbau des Fernwärmenetzes bis zum Jahr 2038 soll nun zehn Jahre früher erreicht werden. Dazu müssen aber weitere kleinere Kraftwerke gebaut und das in öffentlicher Hand befindliche Netz der Fernwärmerohre ausgebaut werden. Beides wird gegenwärtig aber durch den Mangel an Facharbeitern, Material und durch stark steigende Preise gebremst. Ein weiterer Bremsklotz sind nicht ausreichende staatliche Zuschüsse, die von den Betreibern beantragt werden können. So sind die Mittel für den 2020 eingerichteten Fernwärmefonds für dieses Jahr bereits aufgebraucht. Klimaminister Dan Jørgensen hat es abgelehnt, die finanziellen Reserven aufzustocken. Die absurde Begründung lieferte das Finanzministerium, das darauf hinwies, dass eine schnellere Umstellung auf Fernwärme ein jährliches Loch in der Staatskasse von etwa 25 Millionen Euro reißen würde, da weniger Haushalte die CO2-Abgabe auf Erdgas zahlen würden. Das Geld für den sogenannten Wärmecheck für Gaskunden, die wie in den anderen europäischen Ländern mit explodierenden Preisen kämpfen und denen beim Energiesparen geholfen werden soll, konnte hingegen gefunden werden. Dieser Betrag entsprach in etwa den fehlenden Mitteln für den Ausbau der Fernwärme.

Der Interessenverband »Dänische Fernwärme« und unabhängige Energieexperten halten indes das regierungsamtliche 2028-Ziel für unrealistisch und fordern eine bessere Koordinierung unterschiedlicher Ambitionen. Den Städten und Gemeinden werde durch die Beschleunigung die bisherige Planungssicherheit genommen. Außerdem nehmen neben der Konkurrenz zwischen den verschiedenen lokalen Projekten um Baukapazitäten auch weitere infrastrukturelle Großprojekte wie der Fehmarnbelttunnel die derzeit knappen Bauressourcen in Beschlag. Auch die dänische Wärmewende gelingt eben nicht als politischer Schnellschuss.

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