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Ein faszinierender und ekelhafter Ort

Das Buch »Filme aus Fleisch und Blut« ist eine lesenswerte Einführung und tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Werk eines weithin unterschätzten Filmemachers: Lucio Fulci

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 5 Min.
Das grelle Zentrum von Fulcis Horrorfilmen bilden Bilder von geöffneten und zerstörten Körpern. Eine Szene aus dem Film "Ein Zombie hing am Glockenseil" (1980) von Lucio Fulci
Das grelle Zentrum von Fulcis Horrorfilmen bilden Bilder von geöffneten und zerstörten Körpern. Eine Szene aus dem Film "Ein Zombie hing am Glockenseil" (1980) von Lucio Fulci

Das Werk Lucio Fulcis ist in der Geschichte des Kinos einzigartig. Bei über 60 Filmen hat der 1996 verstorbene Filmemacher Regie geführt, quer durch alle Genres: Western, Komödien, Abenteuerfilme, Horror. Ein Vielfilmer mit einer eigenen Handschrift, also ein Autor im Genrekontext. Das offensichtlichste und offensivste Merkmal dieser Bilder: Nahezu alles, was Fulci für die Leinwand produzierte, auch der Slapstick, zeichnet sich durch präsente Körperlichkeit aus.

Das italienische Genrekino der Siebziger- und Achtzigerjahre ist hierzulande, mit Ausnahme des Italo-Westerns, von der Filmwissenschaft und -kritik meist nie wirklich ernst genommen worden – zu exzessiv und gewaltvoll die Bilder, die Plots zu hanebüchen. Was einem da entging, führen einem unter anderem diese Filme eindrucksvoll vor und da insbesondere die Horrorfilme. Lucio Fulci gelangen von dem 1972 erschienenen »Don’t Torture a Duckling« an eine ganze Reihe Horrorfilme, die die aufbrechenden Körper des Splatter-Kinos in einer Weise inszenierten, dass die Bilder eine halluzinatorische Qualität bekamen. »Ein Zombie hing am Glockenseil«, »Über dem Jenseits« oder »Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies« interessieren sich herzlich wenig für erzählerische Konsistenz und schaffen stattdessen mit den Mitteln der Kinematografie einen Zustand, das Fulci-Universum – einen faszinierenden und ekelhaften Ort.

Es gibt, jenseits von nicht immer lesenswerten Fan-Texten, kaum deutschsprachige Literatur zu Fulcis Kino. Ein Grund wahrscheinlich, dass die erste Auflage des von Pelle Felsch und Marcus Stiglegger herausgegebenen Bandes »Filme aus Fleisch und Blut« umgehend vergriffen war. Jetzt ist die zweite erschienen. Das Buch gibt eine sehr gute Einführung in dieses singuläre Werk, wobei der Fokus auf den Körperhorror-Filmen liegt. Den Filmen also, mit denen der Regisseur in den Achtzigern auch in Deutschland vielleicht nicht berühmt, aber immerhin berüchtigt geworden ist.

Bekannt gemacht wurde das psychedelische Terrorkino Fulcis nämlich von den Jugendschützern, die auf diese Bilder sehr aufgescheucht reagierten. »Die giftigen Wogen, die damals jedem, der solche Filme verteidigte, den Atem nahmen, waren durchaus imposant«, erinnert sich der Filmhistoriker Christian Keßler in seinem Beitrag. Um dann darauf hinzuweisen, dass die Verwechslung von Bild und Wirklichkeit, die bei dem Versuch, unangenehmer Kunst mit Zensur beizukommen, immer wieder zu beobachten ist, in diesem Falle besonders falsch ist: »Der besondere Zauber, den Fulcis Schadware damals auf die unschuldigen Gemüter der Heranwachsenden ausübte, hatte nichts, aber auch gar nichts mit Naturalismus zu tun.« Stattdessen entfaltet sich ein Paralleluniversum eigener Ordnung, in dem Motive und Bilder immer wieder auftauchen, lose verbunden durch ein Drehbuch, auf das nicht unbedingt die größte Mühe verwendet wurde.

Dementsprechend fokussieren sich die Autorinnen und Autoren auf die affektiven und körperlichen Qualitäten. »Man kann und darf Fulcis Filme nicht unter den herkömmlich verwendeten Standards des klassischen Erzählkinos amerikanischer Provenienz einsortieren«, betont Pelle Felsch in einem einleitenden Gespräch mit Stiglegger. »Seine Werke sind durchdrungen von einer (alb-)traumgleichen, mitunter fast surrealen Atmosphäre, die den unzuverlässigen Gesetzen einer ureigenen, amorphen Anti-Logik folgt und sich nicht mit konventionellen Seh- und Rezeptionsgewohnheiten erfassen lässt.«

Ausgehend von dieser Prämisse verhandeln die Beiträge die literarischen Einflüsse Fulcis, die immer wieder zentrale Figur des Kindes, die Soundtracks, seine Giallo-Filme und das Spätwerk. Das grelle Zentrum von Fulcis Horrorfilmen bilden allerdings Bilder von geöffneten und zerstörten Körpern sowie solche, die aggressiv den Ekel der Zuschauer*innen mobilisieren wollen. Patricia McCormack plädiert für eine Neuausrichtung des Blicks, um diese Filme wirklich wahrnehmen zu können: »das Loslassen von dem linearen Narrativ«, außerdem die Verabschiedung eines Verständnisses von Bildern, die diese als »Aufzeichnung von Bedeutung, Zeichen zum Lesen oder Interpretieren« versteht.

Das Bild des geöffneten, aufplatzenden, sich verflüssigenden Körpers wird so zum exzessiven Image von Körperlichkeit selbst, ohne darüber hinausgehende Bedeutung, als ästhetischer Selbstzweck, dem alles andere – andere Autor*innen des Bandes insistieren auf den gesellschaftskritischen Subtexten der Filme Fulcis, wieder andere betonen seinen »Nihilismus« – dann vielleicht nachfolgt. Sabrina Mikolajewski geht so weit, in der Gewalt von Fulcis Bildern ein »Zeichen seiner harten Liebe zur Körperlichkeit« zu sehen. »Er transformiert die Oberflächen mit einer obsessiven Hingabe und Leidenschaft.« Sie fragt: »Wieso sollte man einen Körper, in dem so viele wundersame Prozesse geschehen, geschlossen halten? Wieso sollte man ihn nicht durch Schnitte und Löcher inspizieren, seine Schönheit nicht über die Nacktheit hinaus präsentieren?« Womit sich der Bogen zurück zum Text von Christian Keßler schlagen lässt, der implizit eine adoleszente Neugier als das Motiv bestimmt, aus dem heraus man sich diesen Bildern aussetzt.

»Filme aus Fleisch und Blut« ist eine durchweg lesenswerte Einführung und tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Werk eines weithin unterschätzten Filmemachers. Auch die, um es mal vorsichtig zu sagen, problematischeren Aspekte werden nicht ausgespart. Susanne Kappesser und Lioba Schlösser diskutieren darüber, ob Lucio Fulcis Filme nur sexistisch oder auch misogyn seien. Das Gespräch ist auch deswegen sehr schön, weil es die Ambivalenzen offenhält und die Filme eben nicht auf einen Begriff bringt, mit dem sie dann erledigt wären. Es sei interessant, sagt Kapesser, »wie Fulci patriarchale Strukturen offenlegt, ebendiese jedoch durch seine sexistischen Inszenierungen selbst verstärkt«. Ohne diese Ambivalenz kein Horrorkino, zumindest nicht beim jetzigen Stand der Produktionsbedingungen.

Pelle Felsch/Marcus Stiglegger (Hg.): Fulci. Filme aus Fleisch und Blut. St. Ingbert: Deadline – das Filmmagazin. 287 S., geb., 24,99 €.

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