Umkämpfte Nebenklage

Im Prozessauftakt um die Neuköllner Terrorserie greift die Verteidigung Ferat Koçak an

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch bevor der Saal 129B geöffnet ist, versammeln sich Demonstranten vor dem Amtsgericht Moabit. »Rechten Terror stoppen« steht auf dem Banner der kleinen Kundgebung, die den Prozessauftakt am Montag gegen die Neonazis Sebastian T., Tilo P. und Samuel B. einläutet. Ursprünglich sollten es fünf Angeklagte sein, doch der Prozess gegen K. wurde abgetrennt, der Beschuldigte W. meldete sich krank.

»Heute geht es endlich los, nach 13 Jahren Terror in Neukölln«, sagt Ferat Koçak ins Mikrofon. Trotz Behördenversagens und einer »Aufklärungsrate von null Prozent« hätten Antifaschist*innen diesen Prozess durchgeboxt. »Das ist ein Erfolg des unnachgiebigen Aufklärungswillens aller Betroffenen.« Koçak selbst ist Betroffener. Am 1. Februar 2018 sollen T. und P. »in nicht geklärter Aufgabenverteilung« sein in einem Carport geparktes Auto angezündet haben. Neben Brandstiftung und Beihilfe zur Brandstiftung wird T. und P. Bedrohung und gemeinsam mit B. Sachbeschädigung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Dass Koçak nach der Kundgebung mit seiner Anwältin Franziska Nedelmann im Saal 129B auf der Nebenklagebank sitzt, ist nicht selbstverständlich. Zuerst hatte das Amtsgericht seinen Antrag auf Nebenklage mit der Begründung abgelehnt, dass die psychischen Folgen des Anschlags nicht schwer genug wögen.

Nach Koçaks Beschwerde entschied das Landgericht jedoch am vergangenen Freitag, dass Koçak sehr wohl ausreichend betroffen sei. In dem Beschluss heißt es, dass die »Heftigkeit des Brandgeschehens« den Schluss zulasse, die Angeklagten hätten »den Tod der dort aufhältigen Menschen (…) billigend in Kauf genommen«. Tatsächlich bestätigt die Anklageschrift, dass ein Dachgiebel über den Carport ragte und vom Feuer geschwärzt wurde.

Dass die Verteidigung den Nebenkläger lieber nicht im Saal hätte, macht sie gleich zu Beginn der Verhandlung deutlich. Da wird Koçaks »Doppelrolle« beanstandet, weil der Politiker der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus einerseits als stellvertretendes Mitglied im Untersuchungsausschuss zur Neuköllner Anschlagsserie sitzt und andererseits hier im Gerichtssaal als Betroffener. Carsten Schrank, Anwalt von Sebastian T., suggeriert, dass der Nebenkläger in seiner Funktion als Politiker Journalisten Dokumente durchstecken könnte. Koçak sagt am Rande des Prozesses dazu: »Ich bin mir der Doppelrolle bewusst. Hier bin ich Nebenklage, eine Position in zweiter Reihe.« Zudem beschwert sich Anwalt Schrank, der Beschluss des Landgerichtes sei über die Köpfe der Verteidigung hinweg getroffen worden. Auch müsse die Begründung aus dem Beschluss, Koçak könne von einer Tötungsabsicht ausgehen, dann auch in der Anklage stehen, in der bisher nicht von versuchtem Totschlag die Rede sei. Schrank beantragt deshalb eine Aussetzung des Verfahrens.

Dieser Antrag wird nach einer Viertelstunde Besprechungspause vom Gericht abgelehnt. Die Richterin Ulrike Hause betont, es gebe keine neue Beweislage, die Verteidigungsstrategie müsse sich also weder neu ausrichten, noch sei eine Übergabe an das für Tötungsdelikte zuständige Landgericht notwendig. Jedoch macht Hause mit keinem Wort deutlich, dass die Nebenklage legitim ist. Koçaks Anwältin Franziska Nedelmann äußert nach der Verhandlung »nd« gegenüber den Eindruck, dass ihr Mandant als »Störfaktor« gelte. Die erste Ablehnung des Nebenklageantrags habe bereits das Zeichen gesendet, dass Koçak nicht erwünscht sei. »Das war für ihn ein heftiger Schlag ins Gesicht.« Als es schließlich zur Verlesung der Anklage kommt, machen Sachbeschädigungen durch Aufkleber, Plakate und Graffiti den Hauptanteil der Tatvorwürfe aus. T., P. und B. sollen das Konterfei und Sprüche von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess in der Stadt verteilt haben. Die Liste der »positiven Würdigung des verstorbenen Hess«, wie die Generalstaatsanwaltschaft diese verfassungswidrigen Inhalte beschreibt, ist lang.

Dazu kommen Anschuldigungen gegen T., das Jobcenter und beim Corona-Soforthilfeprogramm betrogen zu haben. Hellhörig werden Publikum und Presse bei den Vorwürfen der Brandstiftung, die nicht nur Koçaks Auto, sondern auch das Fahrzeug des Buchhändlers Heinz Ostermann betreffen, sowie bei den Anklagepunkten Beleidigung und Bedrohung »mit dem Vorhaben, gegen Rechtsextremismus Engagierte einzuschüchtern«, wie es in der Anklageschrift heißt. Das Video, dessen Existenz erst am Freitag bekannt wurde und das P. und Komplizen beim Anbringen von Todesdrohungen an Hauswänden zeigen soll, wird im Laufe der Verhandlung als Beweismittel dienen.

Die Angeklagten äußern sich nicht zu den Anklagepunkten. Nur P.s Anwalt Mirko Röder erklärt, sein Mandant sei unschuldig. Auch behauptet er, P. bedaure wie »jeder andere Bürger, der auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht«, das persönliche Leid Koçaks. Aus dem Publikum ist da vereinzeltes Lachen zu hören.

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