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Planspiele und Propaganda

Rechte hoffen auf breite Mobilisierung im Herbst

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Es gibt da eine verräterische Äußerung aus dem Jahr 2020 von Christian Lüth, damals Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, in der er ausspricht, was vermutlich viele in der Partei denken: »Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.« Lüth hat den Gedanken damals in einer Berliner Bar so freimütig geäußert, weil er dachte, eine Mitstreiterin sitze ihm gegenüber. Dabei ahnte er weder etwas von einer versteckten Kamera, noch davon, dass seine These Teil einer TV-Doku des Senders ProSieben werden würde. Darauf angesprochen wollte niemand aus der AfD zugeben, dass es zur Strategie gehört, aus Krisen politisches Kapital zu schlagen.

Solche Hemmungen kennt Götz Kubitschek nicht. In einer vor wenigen Tagen erschienen zweiteiligen Artikelreihe auf der Website der von ihm selbst verantworteten Zeitschrift »Sezession« sinniert der völkische Nationalist darüber, was im nahenden Herbst in Deutschland passieren könnte. Der Konjunktiv ist an dieser Stelle doppelt wichtig. Selbst ein neurechter Publizist aus Schnellroda kann nicht mit Sicherheit in die wenn auch unmittelbar bevorstehende Zukunft vorausblicken. Gleichzeitig hilft der Konjunktiv, noch so abenteuerlich wirkende Szenarien zu entwerfen, deren offene Aussprache im Zweifel immer nur Gedankenspiele waren. Kubitschek denkt dann auch laut nach, ob der Staat nur auf die Gelegenheit warte, die Opposition zu zerschlagen, was in einer Notstandsgesetzgebung samt Parteiverboten, Hausdruchsuchungen und der Inhaftierung von Anführer*innen enden könnte. »So zu denken, solche Konsequenzen in Planungen einzubeziehen, muß für uns selbstverständlich sein.« Schließlich gingen der Anspruch und die Vorstellungen der »vier relevanten Regierungsparteien«, von Großkonzernen »und Lenkungsbehörden« in dieselbe Richtung, nämlich »den Umbau, den Great Reset«.

Man kann das nicht als das übliche Geraune vom angeblich unmittelbar bevorstehenden gesellschaftlichen Zusammenbruch abtun, ebensowenig als Dahinwerfen von Stichworten an die eigene von vielen Verschwörungen überzeugte Zielgruppe. Völkische vom Schlage Kubitscheks träumen seit Jahrzehnten von einer neuen Konservativen Revolution, die sich in ihren Ideen an der gleichnamigen antiliberalen, antiaufklärerischen und antidemokratischen Bewegung aus der Zeit der Weimarer Republik orientiert. Die Streitfrage ist aber, ob die extreme Rechte in den zu erwartenden Protesten gegen Inflation und steigende Energiepreise tatsächliches Potenzial für eine Änderung der politischen Verhältnisse sieht, wie groß das tatsächliche Mobilisierungspotenzial für Proteste ist und wie viel rechte Revolutionsrhetorik der letzten Wochen nur zur Propaganda und Selbstvergewisserung dient.

Letzteres trifft gewiss auf den Österreicher Martin Sellner zu, führender Kopf der Identitären. Noch vor wenigen Jahren sorgte die völkische Jugendbewegung durch ihre Aktionen für europaweite Schlagzeilen, inzwischen war es länger ruhig um die Hipster-Nazis gewesen. Am Montag gelang Sellner jedoch ein PR-Stunt, dem Medien wie die »Berliner Zeitung« unkritisch auf den Leim gingen. Dafür mussten gerade einmal zehn Identitäre nach Lubin in Mecklenburg-Vorpommern reisen und sich für wenige Minuten mit einem Banner vor den Eingang zum Terminal von Nord Stream 2 stellen, während Sellner die Forderung nach einer Öffnung der russischen Gaspipeline in eine Kamera diktierte. Um dem Ganzen eine dramatische Ästhetik zu verleihen, durfte ein Aktivist mit einem Schraubenschlüssel herumhantieren, als würde er gleich persönlich den Gashahn aufdrehen. Im Sprech der Identitären war dann auch von einer Besetzung des Terminals die Rede, samt der Drohung, die Pipeline selbst in Betrieb zu nehmen. In Wahrheit aber wurde nicht mehr als ein PR-Clip gedreht, der seine Wirkung nicht verfehlte. Neben der unkritischen medialen Übernahme wurde das Propagandastück innerhalb der extremen Rechten herumgereicht, wo es dann über Mitglieder der Jungen Alternative auch in der AfD wahrgenommen wurde.

Maximale Aufmerksamkeit bei möglichst wenig Aufwand gilt auch für einen Aufruf, den die Freien Sachsen über die sozialen Netzwerke verbreiten. In dem Beitrag wird der Eindruck erweckt, die extrem rechte Gruppierung würde am Montag in Leipzig mit Vertreter*innen der Linkspartei zu Protesten aufrufen, es gäbe sogar eine gemeinsame Veranstaltung. Zwar ist dies leicht als Lüge zu enttarnen, der Aufruf sorgte dennoch für Irritationen und Debatten. Kann das stimmen? Haben die Linken etwas falsch gemacht? Ihr Ziel haben die Freien Sachsen erreicht: Werbung für die eigenen Proteste und auf Seiten der Linken für Verunsicherung sorgen.

Inhaltlich setzen rechte Gruppen wie Freie Sachsen, Identitäre und die AfD auf die gleichen Botschaften: Man fordert die Inbetriebnahme der Erdgaspipeline und kommuniziert diese Maßnahme als den Schlüssel im Kampf gegen die Energiekrise, ebenso wie das Ende aller Sanktionen gegen Russland. Klimakrise und Ukrainekrieg spielen dabei keine Rolle, bei der AfD nennt sich das »interessengeleitete Außenpolitik«, womit allein deutsche Interessen gemeint sind.

Seit Monaten bereitet sich die AfD akribisch auf den Herbst vor. Bereits auf dem Bundesparteitag Mitte im Juni kam keine Rede von Spitzenfunktionär*innen ohne Verweis auf kommende Proteste aus, die AfD fokussiert einen Großteil ihrer Kräfte auf das Thema Energiekrise, weil sie der Überzeugung ist, dass sie anders als in über zwei Jahren Pandemie damit neue und verloren gegangene Wähler*innen von sich überzeugen könnte. Bis jetzt hüllt sich die Bundespartei allerdings noch weitestgehend in Schweigen darüber, welche konkreten Aktionen und Demonstrationen in den nächsten Monaten geplant sind, auch wenn jede Woche mehrere Presseklärungen zur Energiekrise aus Partei und Bundestagsfraktion erscheinen. Details zur Kampagne »Unser Land zuerst« will der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla erst am 8. September in Berlin verkünden. Sicher ist bisher nur, dass es am 8. Oktober in der Hauptstadt eine zentrale Protestveranstaltung geben soll – noch allerdings wird dafür kaum geworben, wenngleich es im Mitgliedermagazin »AfD Kompakt« heißt, man freue sich »schon jetzt auf viele tausend Teilnehmer«. Allerdings will es die AfD nicht allein auf eine Großveranstaltung ankommen lassen, vermutlich auch in dem Wissen, wie blamabel es für die Partei enden kann, ginge die Mobilisierung schief. Chrupalla sprach deshalb vor einigen Tagen auf einer Pressekonferenz in Berlin davon, es werde bundesweit wöchentlich Proteste geben, zu denen die AfD aufruft oder welche die Partei vor Ort unterstützt.

Tatsächlich geht das größte rechte Mobilisierungspotenzial gar nicht so sehr von Protesten aus, auf denen das AfD-Etikett klebt. Besonders in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind Parteimitglieder geübt darin, an rechte oder mindestens rechtsoffene Protestbewegungen Anschluss zu suchen. Da spielt es auch keine Rolle, ob die Bundespartei darüber offiziell die Nase rümpft und Unvereinbarkeitsbeschlüsse fasst. Auf lokaler Ebene suchten AfD-Mitglieder schon immer die Kooperation auf der Straße, sei es mit Pegida in Dresden vor einigen Jahren oder zuletzt bei den Montagsprotesten der Freien Sachsen und anderer rechter Gruppierungen.

Genau an dieser Strategie orientieren sich nun auch wieder Björn Höcke und sein völkisch-nationistisches Lager. Der Thüringer AfD-Vorsitzende rief am Dienstag in den sozialen Medien zur Solidarität mit den beiden aktuell in Untersuchungshaft sitzenden Querdenken-Promis Michael Ballweg und Oliver Janich auf. Dabei deutete Höcke an, es könnte sich um »politische Gefangene« handeln. In Wahrheit geht es im Fall Ballweg jedoch um den Vorwurf des gewerbsmäßigen Betruges und der Geldwäsche, während Janichs Verhaftung auf den Philippinen wohl mit Mordaufrufen zusammenhängt.

Seriös und ohne übertriebenen Alarmismus lässt sich nur schwer einschätzen, wie groß bundesweite Proteste von rechts gegen die Energiekrise werden. Benjamin Winkler von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Sachsen geht nicht davon aus, dass in den sozialen Medien kursierende Aufrufe zu Volksaufständen auf Bundesebene realistisch sind. Regional, darunter besonders in Sachsen und Thüringen, könnten jedoch nicht nur die Proteste größer ausfallen, sondern es müsse die Gefahr ernst genommen werden, dass es zu gezielten Aktionen gegen Lokal- und Landespolitik kommen kann. Nicht der Bundestag sei in Gefahr, sondern viel eher Rathäuser und die Regionalpolitik.

Sicher ist dagegen, dass in den sozialen Netzwerken alle Gruppen, die in den vergangenen zwei Jahren gegen die Corona-Politik mobilisierten, längst auf die Themen Inflation und Energiekrise umgeschwenkt sind. Ihr Anlass für Proteste ist austauschbar. Teils mehr als hundertausend Abonnent*innen bei Telegram bedeuten aber noch keine Massen auf der Straße. Das ist sogar Kubitschek bewusst. »Niemand von uns wird sich naiv und mit übertriebenen, irrationalen Erwartungen an den Protesten beteiligen«, schreibt der völkische Nationalist. Fällt die rechte Revolte aus, bevor sie begonnen hat?

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