- Kommentare
- Cristina Kirchner
Geliebt und gehasst
Das missglückte Attentat auf Cristina Kirchner heizt die Spannungen in Argentinien weiter an
Es war denkbar knapp: Nur die Ladehemmung der Pistole rettete Argentiniens Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner am Donnerstagabend das Leben. Ein Kopfschuss aus nächster Nähe, wie ihn der Attentäter – von Fernsehkameras dokumentiert – versuchte, ist in der Regel tödlich.
Cristina Kirchner steht seit dem 22. August mehr denn je im Mittelpunkt des argentinischen Interesses: An diesem Tag forderte die Staatsanwaltschaft zwölf Jahre Haft wegen angeblicher Korruption. Kirchner genießt Immunität und ob das Bundesgericht der Staatsanwaltschaft folgt, ist auch noch nicht ausgemacht, aber Argentinien ist seitdem im Aufruhr – mitten in einer Wirtschaftskrise mit einer Inflationsrate von über 70 Prozent und explodierender Armut. Die Linksperonistin Cristina Kirchner gilt seit jeher als Stimme der Habenichtse.
Direkt nach dem Verdikt der Staatsanwaltschaft zogen Gegner von Kirchner vor ihr Haus im gehobenen Stadtviertel Recoleta – auf dessen Friedhof die Grabstätte der Ikone Evita Perón liegt, mit der Cristina oft verglichen wird – um sie zu beschimpfen. Ihre zahlreichen Anhänger*innen reagierten prompt, strömten ihrerseits zu ihrem Haus und halten seitdem ununterbrochen eine Mahnwache ab. Ihr Motto: »Wenn sie Cristina anfassen, werden sie Aufruhr ernten.«
Aus dieser Menge heraus hat der Angreifer, der von der Polizei als der 35-jährige Brasilianer Fernando Andre Sabag Montiel identifiziert wurde, agiert. Es handelt sich um einen wegen Waffenbesitzes vorbestraften Rechtsradikalen.
Präsident Alberto Fernández rief dazu auf, keine weitere Minute zu verschwenden, um »Gewalt und Hass aus dem politischen und medialen Diskurs zu verbannen«. Cristina Kirchner polarisiert das Land seit langem, mobilisiert aber auch auf der linken Seite wie kein anderer Politiker und keine Politikerin. Dass diese Polarisierung in ein zum Glück fehlgeschlagenes Attentat auf die Ex-Präsidentin (2007-2015) mündete, ist ein Tiefpunkt der argentinischen Geschichte nach dem Ende der Diktatur 1983. Zur Befriedung der Lage wird es nicht beitragen.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.