Warnungen vor dem Iran

Israels Präsident Herzog spricht vor dem Bundestag über Vergangenheitspolitik und Konflikte mit Teheran

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Ankie Spitzer war 26 Jahre alt, als ihr Ehemann, der Fechter André Spitzer, starb. »Nach den Morden an unseren geliebten Angehörigen war ich in diesem Raum. Ich habe mich umgeschaut und totales Chaos gesehen. Überall war Blut«, sagte sie Mitte August der Nachrichtenagentur Reuters. Die Fragen, wie es dazu kommen konnte, wie eine Terrorgruppe nur wenige Monate, nachdem 26 Menschen bei einem Angriff auf den Flughafen Tel Aviv starben, ungehindert zum Quartier der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf in München gelangen konnte, nagen auch heute noch an vielen der Angehörigen. »Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht darüber nachdenke«, so Spitzer.

Und so rangen deutsche Politiker*innen nun, 50 Jahre später, um die richtigen Worte. In einer Rede vor dem Bundestag bat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Dienstag um Vergebung. Sie sprach auch das lange Ringen um die Höhe von Entschädigungszahlungen an. »Ich bin froh, dass die Bundesregierung und die Angehörigen der Opfer eine Einigung gefunden haben«, so die SPD-Politikerin. Keine Entschädigungszahlung könne die Morde ungeschehen machen oder die tiefen Wunden der Angehörigen heilen. Die Einigung bedeute aber eine Anerkennung dieses Leids. 28 Millionen Euro stehen nun als Entschädigungssumme fest. Der Bund übernimmt 22,5 Millionen, der Freistaat Bayern fünf Millionen und die Stadt München 500 000 Euro.

Doch auch die israelische Regierung ist froh, dass die Entschädigungsdebatte ein Ende gefunden hat. Deutschland spielt in der israelischen Sicherheits- und Außenpolitik eine zentrale Rolle. Eine Belastung der Beziehungen könne man sich in der derzeitigen Situation nicht leisten, sagen Mitarbeiter des amtierenden Regierungschefs Ja’ir Lapid in Hintergrundgesprächen.

Und so war auch die Rede des israelischen Staatspräsidenten Jitzhak Herzog am Dienstag im Bundestag nicht nur eine freundschaftliche Ansprache. »Auch jetzt bedrohen die dunklen Mächte des Hasses, angeführt vom Iran, nicht nur Israel, sondern die Stabilität im Nahen Osten und die gesamte Weltordnung«, sagte Herzog. Der Iran, dessen politische Führung den Holocaust leugne und das Existenzrecht Israels bedrohe, dürfe nicht von einer Atom-Vereinbarung profitieren, die ihn und seine Wirtschaft stärken werde, forderte das Staatsoberhaupt.

Die Bundesregierung gehört neben den ständigen Mitgliedern im Uno-Sicherheitsrat zu den Verhandlungsparteien über das iranische Atomprogramm. Israels Regierung ist, wie viele Regierungen auf der arabischen Halbinsel, strikt gegen eine solche Vereinbarung. Im Minimum jedoch hofft man darauf, dass die Bundesregierung aus Verantwortungsgefühl Israel gegenüber möglichst strenge Vorgaben für den Iran durchsetzt.

Doch der 61-jährige Herzog ist ein Mann der leisen, freundlichen Töne. »Der Staat Israel ist stolz auf seine Partnerschaft mit Deutschland«, erklärte er. »Wir wissen den deutschen Beitrag zur Sicherheit und zum Erfolg Israels sehr zu schätzen.« 1987 war sein Vater Chaim Herzog das erste israelische Staatsoberhaupt, das den Reichstag, damals noch in unmittelbarer Nähe der Mauer, besucht hatte. Von Mauern zwischen Deutschen und Israelis hatte Herzog, der Vater, damals gesprochen.

Nun sagte Herzog, der Sohn, die Vergangenheit könne nicht überbrückt werden. Das jüdische Volk vergesse nicht. Nicht aufgrund der Verpflichtung den Generationen der Vergangenheit gegenüber, sondern auch aufgrund der Verpflichtung den Generationen der Zukunft gegenüber. »Die Zukunft jedoch gehört uns«, verkündete der israelische Politiker. Deutschland und Israel hätten eine gegenseitige Verpflichtung zur Freiheit, zur Menschlichkeit, zur Demokratie.

In Israel indes nahm die Öffentlichkeit kaum Notiz von Herzogs Besuch und dem Olympia-Jahrestag. Das Land befindet sich nämlich wieder einmal im Wahlkampf. Außerdem dominieren die Iran-Verhandlungen die Nachrichten. Kaum ein Wort verloren auch die palästinensischen Medien über das Thema. Dies geschehe auf Anweisung von Präsident Mahmud Abbas, sagen Chefredakteure unabhängig voneinander. Sie vermuten, dass wohl verhindert werden soll, dass es Solidaritätsbekundungen für das Attentat in der Öffentlichkeit gibt oder die Sprache erneut auf Abbas’ Holocaust-Äußerungen vor einigen Wochen in einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz kommt.

Abbas war damals nach heutigem Kenntnisstand mindestens in die Anschlagspläne eingeweiht. Die Europäische Union unterstützt die Palästinensische Autonomiebehörde finanziell. Und der Druck auf die EU, diese Zahlungen zu kürzen oder ganz einzustellen, ist seit den Holocaust-Äußerungen massiv gestiegen.

Herzog war bereits am Sonntag in Deutschland eingetroffen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und er begrüßten sich mit einer herzlichen Umarmung. Beide kennen sich noch aus jenen Zeiten, als sie Minister waren.

In der israelischen Arbeitspartei Awoda schaut man stolz auf solche Szenen. »Auch mit Wehmut«, sagte Merav Michaeli, Chefin der Sozialdemokrat*innen, die bis 1977 das Land dominierten. Denn heute ist die Partei zwar an der Regierung beteiligt, aber auf wenige Abgeordnete geschrumpft. Der frühere Parteichef Herzog ist ihr letzter Vertreter auf einem hochrangigen Posten.

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