Offiziell und oppositionell

Religion und Kirche sind ein wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft, auch sekuläre Linke bringen sich bei ökumenischen Veranstaltungen ein

  • Karl-Helmut Lechner
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Menschen, die nicht gerade mit kirchlich-religiöser Sprache vertraut sind, ist bereits der Name ungewöhnlich: »Ökumenisch« — nicht zu verwechseln mit »ökologisch« oder gar »ökonomisch« — ist ursprünglich ein griechisches Wort und beschreibt »die Weltkirche des Erdkreises. Im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) haben sich vor 74 Jahren 580 Mio. Christen zusammengeschlossen, die aus 352 protestantischen und orthodoxen Kirchen stammen. Zu ihnen zählen — meist aus Europa — die evangelischen, reformierten und anglikanischen Kirchen, aber auch die altkatholischen und assyrischen Kongregationen, sowie baptistische, evangelikale, mennonitische, methodistische Kirchen aus Amerika, Afrika, Asien und dem pazifischen Raum.

Wenn sich vom 31. August bis zum 8. September dieses Jahres der ÖRK in Karlsruhe zu seiner 11. Vollversammlung trifft, kommen diese Mitgliedskirchen aus allen Regionen der Welt. Nur die weltweit 1,3 Milliarden römisch-katholischen Christen sind nicht dabei. Die vom Vatikan repräsentierte Kirche hat nur einen Beobachterstatus. Das hat einen gravierenden theologischen Grund: nach katholischer Auffassung kann es nur eine einzige wahre, nämlich die katholische Kirche geben, die den Weg zum Seelenheil ermöglicht. Zwar erheben die vielen anderen christlichen Gruppierungen protestantischer, reformierter, anglikanischer, orthodoxer oder gar charismatischer Herkunft diesen «allein selig machenden» Anspruch meist auch für sich, aber in ihrer Vielstimmigkeit lassen sie sich dennoch auf eine gemeinsame Sichtweise, auf eine «ökumenische» Zusammenarbeit ein.

Karl-Helmut Lechner

ist Mit-Herausgeber der »Politischen Berichte« und Mitglied im Gesprächskreis »Weltanschaulicher Dialog« bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er befasst sich seit vielen Jahren mit Fragen von Theologie und Marxismus.

Mit der «Einheit» der Kirchen ergeht es dem ÖRK wie allen anderen politischen Bewegungen und Parteien. Sie kennen diese schmerzliche Erfahrung: «Einheit» wird immer wieder beschworen, aber ihre Geschichte ist oft eine von Spaltung und Streit um die Wahrheit und den richtigen aktuellen Weg. Selbstkritisch betont daher der ÖRK: «Wir alle kommen aus verschiedenen Orten, Kulturen und Kirchen; wir gehen verschiedene Wege […] Wir sind alle auf einer Pilgerreise, auf der wir anderen begegnen und uns gemeinsam auf den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens machen.»

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Diese Vollversammlung ist das höchste Leitungsgremium des ÖRK und tritt in der Regel alle acht Jahre zusammen. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der sich die gesamte Gemeinschaft der Mitgliedskirchen an einem Ort zum Gebet und zur Beratung trifft. Damit ist eine ÖRK-Vollversammlung die vielfältigste christliche Versammlung ihrer Größe in der Welt. Hinter ihrer religiös-kirchlichen Sprache verbergen sich allzu oft harte Konflikte, an denen die meist national in ihre jeweilige Gesellschaft eingebundenen Gläubigen unmittelbar beteiligt sind. So ist gegenwärtig alle mediale Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie sich die Russisch-Orthodoxen äußern und verhalten, wenn sie in Karlsruhe auf ukrainische und westliche Kirchenvertreter treffen. Ähnlich konfliktreich ist das Thema zu dem Verhältnis zwischen Israel und Palästina.

Religion und Kirche sind ein wichtiger Teil unserer Zivilgesellschaft. Wenn auf dieser Tagung des ÖRK im Weltmaßstab über Frieden und Krieg, über arm und reich; darüber, dass «diese Wirtschaft tötet» diskutiert wird, wenn über Auswege aus der zerstörerischen und destruktiven Logik des Kapitalismus gemeinsam nachgedacht wird, verdient das all unsere Aufmerksamkeit. Während der ÖRK tagt, veranstaltet die christliche Gemeinschaft «Casa Común» ein oppositionelles Kontrastprogramm mit Andachten, Vorträgen und Diskussionen. Ihre Themen waren Ökologie, Feminismus, Friedenspolitik und Sozialismus. Die Referent*innen kamen vor allem aus Deutschland, der Schweiz und Lateinamerika. Auch säkulare Linke haben bewusst dieses Kampffeld betreten, um einander bei der Suche nach dem richtigen Weg zu stärken. So zum Beispiel die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie alle haben sich intensiv und entschieden mit den Überlebensfragen von Schöpfung und Menschheit befasst.

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