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Von Engeln und Astronauten

Das Ende des Universums und andere Katastrophen: Mit »H« kehrt Theaterlegende Robert Wilson ans Hamburger Thalia Theater zurück

Vielerorts klagen die Theater über den anhaltenden Publikumsschwund. Pandemiebedingte Entwöhnung, militärischer Wahnsinn, Kostenexplosionen werden als Gründe dafür angeführt, warum Besucher fernbleiben. Das Thalia Theater in Hamburg hat sich ein einfaches Rezept ausgedacht, dem etwas entgegenzusetzen. Mit Robert Wilson hat man eine Theaterlegende in die Hansestadt eingeladen, die hier alles andere als unbekannt ist, aber dennoch lange, mehr als 20 Jahre, vermisst wurde. Einen Teil seines Theaterruhms erlangte er an dieser traditionsreichen Bühne. Auch sein Gemeinschaftsprojekt mit Tom Waits und William S. Burroughs, »The Black Rider«, wurde an diesem Haus vor gut 30 Jahren uraufgeführt. Die Entscheidung, den umwerfenden Jens Harzer nun unter Wilsons Regie auf die Bühne zu stellen, ist genauso überzeugend wie die Auftritte der Grande Dame Barbara Nüsse. Man hat beste Voraussetzungen dafür geschaffen, einen Theaterhit zu installieren. Publikumslieblinge gegen Publikumsschwund.

Mehr als schade ist es da, wenn das künstlerische Ergebnis hinter allen Erwartungen weit zurückbleibt. Aber woraus sind diese Erwartungen überhaupt erwachsen? Ist Wilson, der im kommenden Monat immerhin 81 Jahre alt wird, nicht schon vor Jahrzehnten von dem avantgardistischen Anspruch seiner Anfangszeit abgerückt? Hat nicht der Show-Charakter mit den wiederkehrenden Mitteln, die längst zum Klischee geworden sind, die kompromisslosen Experimente im Feld der Konzeptkunst beerbt?

So sah das Bühnengeschehen, das der freundliche Texaner anleitete, nicht immer aus. Er schätze Wilson, soll Heiner Müller angeblich gesagt haben, weil er der einzige kommunistische Regisseur der USA sei. Dieser sogenannte kommunistische Regisseur hat seit den 70er Jahren erst die Theater der USA, dann auch internationale Bühnen einen heftigen Energiestoß versetzt.

Das Prinzip der »Trennung der Elemente«, von Brecht entliehen, hat er auf die Spitze zu treiben versucht. Er hat Text und Licht, Schauspiel und Musik zu eigenständigen und voneinander unabhängigen künstlerischen Beiträgen erklärt, die unter Beibehaltung ihrer Autonomie zu einem Ganzen führen, das mehr ist als seine einzelnen Teile. Dabei hat Wilson, ein Ästhetizist durch und durch, ganze Konzepte nicht auf der Probe, sondern in seinem Kopf entwickelt. Handlung, Dialog – das hat er beerdigt. Im Gegensatz zu vielen nachfolgenden Performancekünstlern wusste er aber diese Lücke zu schließen – und mit seinen Arbeiten zu überzeugen. Bis er Stoffen à la »Peter Pan« den Vorzug gab gegenüber der bahnbrechenden Textgewalt eines Heiner Müller etwa.

Zurück zu den unerfüllten Erwartungen: Das Thalia Theater hat eine Rückkehr des Altmeisters zu seinen Wurzeln versprochen, »zu seinen Avantgarde-Ursprüngen in der New Yorker Minimal Art«, wie man in Hamburg ankündigte. Auch die neuerliche Zusammenarbeit mit dem Komponisten Philip Glass, mit dem er kongenial den Klassiker des neuen Musiktheaters »Einstein on the Beach« kreiert hatte, und mit der Choreografin Lucinda Childs knüpft an Wilsons frühe Jahre an. Doch das alles ist mehr Behauptung denn Realität. Statt ein ästhetisches Erleben, das den Mut aufbringt, sich von einfachen Bedeutungsebenen zu lösen, wird schlicht immerfort Bedeutungstiefe behauptet, wo sie nicht existiert.

»›H‹ 100 Seconds to Midnight« heißt dieser Bühnenabend. Textlich hat man sich bei der im letzten Jahr verstorbenen Poetin Etel Adnan bedient und bei dem Kult-Astrophysiker Stephen Hawking. Inhaltlich geht es um den Kosmos, um Anfang und Ende, die Entstehung des Lebens und das große Nichts. Die ganz großen Fragen also, schwer zu greifen – auch im Theater.

Das »H« steht für Hawking. Und die im Englischen schon fast sprichwörtlichen »100 seconds to midnight« – hundert Sekunden bis Mitternacht – bezeichnen die Zeitspanne, in galaktischen Größenordnungen gedacht, die uns noch bleibt, bis es mit dem Planeten Erde vorbei ist. Ein unheimlicher Gedanke, der hier auf die Bühne gebannt werden soll.

Dieser Theaterabend, von seinem Spiel mit Licht und Dunkelheit geprägt, lebt von den Wiederholungen der Textfragmente von Adnan und Hawking, allerdings ohne dass sich daraus über die zwei langen Bühnenstunden ein lebendiger Rhythmus ergeben würde. Dem so beeindruckenden Mimen Jens Harzer bei seinem über keinen Zweifel erhabenen Spiel zuzusehen, ist fast immer ein Erlebnis. Sein tastender Umgang mit Text ist reinste Zuschauerfreude. Hier kann auch er nicht mehr aus dem machen, was da ist. »Das Quadrat ist die Leidenschaft des Kreises«, spricht er von der Bühnenrampe. Und sagt es noch mal. Und noch mal. Ein hübsch klingender Satz, den man vielleicht beim einmaligen beiläufigen Hören kaum zur Kenntnis genommen hätte. Aber nun wird durch die große Setzung so getan, als wäre man etwas Gewichtigem auf der Spur. Aber da ist nichts. Naturwissenschaft – oder was man dafür hält – erfährt eine Übersetzung in Weltraumkitsch und Esoterik. Zahlreiche solcher Sinnsprüche sind bei »H« zu hören.

Womit haben wir es an diesem Abend noch zu tun? Von Astronauten und Engeln ist die Rede. Gagarin wird zum Ikarus erklärt. Warum auch immer. Projektionen vom rauschenden Ozean füllen die ganze Bühne. Und weil dieses Spektakel zwischen Untergangsstimmung und kosmischem Fest so viel geistigen Tiefgang dann doch nicht erbringen kann, flicht man gekonnt ein Zitat von Walter Benjamin ein und stellt als kleine Reminiszenz an Samuel Becketts »Warten auf Godot« einen Baum auf die karge Bühne. Allein, es ist nicht die Rettung.

Nein, das ist nicht die Rückkehr zum Wilson’schen Frühwerk. Das sind ein paar Knalleffekte, die pseudo-tiefgründige Ausführungen zum Universum illustrieren sollen. Nein, das ist kein altersweises Werk. Man nehme das Schlechteste aus dem Unterhaltungsgewerbe und füge es zusammen mit Ausführungen auf dem Niveau von Jedi-Meister Yoda und etwas wie »H« dürfte dabei herauskommen.

»Is there a God?«, röhrt es mit zittriger Stimme von der Bühne. Gibt es einen Gott? Wir können es nicht wissen. Auch wenn die Frage wieder und wieder uns entgegenschallt. Der Theatergott indes hat die Augen mittlerweile zum Schlaf geschlossen. Ihn wieder aufzuwecken, braucht es mehr, als diese Inszenierung zu bieten hat.

Nächste Vorstellungen: 11., 13. und 14. September www.thalia-theater.de

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