- Kultur
- Theater
»In der Einsamkeit der Baumwollfelder«: Stolze Nullen
Große Namen, große Bühne: John Malkovich und Ingeborga Dapkūnaitė sind mit »In der Einsamkeit der Baumwollfelder« auf Theatertour
Ich ertrage das Theater nicht», bekannte Bernard-Marie Koltès einmal. Der widerspenstige Dramatiker mit der Neigung zu Skandalen ist vor 36 Jahren an Aids verstorben. Für eine Weile schien es so, als wäre dem modernen Klassiker des französischsprachigen Theaters ein reiches Nachleben beschieden. Aber heutzutage, so macht es den Eindruck, erträgt das Theater den einst meistgespielten lebenden Autor aus dem Nachbarland nur schwer. Vielleicht ist sein Œuvre zu rabiat, zu aufmüpfig, zu verkopft und dabei stets unprätentiös?
Nun suchen zwei, dem Publikum vielleicht nicht unbekannt, gerade diese Zumutungen: die des Theaters und die des Autors Koltès. Die litauisch-englische Schauspielerin Ingeborga Dapkūnaitė, vornehmlich auf der Bühne tätig, aber auch für Film und Fernsehen, und zumindest in Nebenrollen auch in erfolgreichen Hollywood-Produktionen zu sehen («Sieben Jahre in Tibet», «Mission: Impossible»), setzt sich gemeinsam mit John Malkovich dem Wagnis Theater aus.
Malkovich, Jahrgang 1953, ist der Protagonist etlicher großer Kinoproduktionen. Aber begonnen hat er seine Karriere am Theater; er spielte in den 80er Jahren gemeinsam mit Dustin Hoffman am Broadway und kehrt regelmäßig an die Bühne zurück. Auch mit Dapkūnaitė verbindet ihn eine bereits langjährige Zusammenarbeit.
Am Dailes teātris in Riga haben die zwei gemeinsam in englischer Sprache das Stück «In der Einsamkeit der Baumwollfelder» von Koltès erarbeitet, das bereits um die halbe Welt geschickt wurde, auch am Hamburger Thalia-Theater zu sehen war und nun im Berliner Admiralspalast gezeigt wird, ehe es im Düsseldorfer Capitol-Theater und anschließend in verschiedenen europäischen Großstädten gastiert.
Das Stück handelt von einer nächtlichen Begegnung: Käufer und Verkäufer treffen aufeinander. Anscheinend immer wieder kommen sie zusammen, die Situation ist dieselbe und doch ist das Spiel, das daraus entsteht, jedes Mal ein anderes. Die beiden Darsteller, beide in weißem Hemd und dunkler Anzughose, ziehen dabei alle Register.
Begegnen sich die beiden Unbekannten zunächst noch respektvoll, aber herausfordernd, werden die Rollen bald munter getauscht, sprechen Körper und Stimme bald eine andere Sprache. Spannung prägt das Spiel, weicht subtiler Erotik, Angst wird sichtbar, dann beherrscht vermeintliche Sanftheit die Szene.
Wer hat hier etwas zu geben? Wer möchte etwas bekommen? Und zu welchem Preis? Wer offenbart sich als Erstes? Gesteht sein Begehren ein? Und wer zeigt sich als der Schwächere: derjenige, der unbedingt etwas verkaufen will, oder der, der es besitzen muss?
Bei alledem haftet der Inszenierung etwas Klinisches an. Das mag an der übergroßen Leinwand liegen, die das Bühnengeschehen in Schwarz-Weiß und via Split-Screen dokumentiert. Exakt choreografiert wirkt dabei jeder Schritt. Es sind die Aktionen und Reaktionen zweier Menschen, die kaum zusammenkommen können, obwohl doch der eine hat, was der andere braucht.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Sieben Türen sind zu sehen, eine Dusche, ein Aufzug, eine Schultafel verbergen sich dahinter. Wie geheimnisvolle Zeichen erscheinen sie uns in diesem doch ohnehin rätselhaften Stück. Als «stolze Nullen» bezeichnet Malkovich an diesem Abend mit Koltès einmal die Menschen, diese ewigen Händler. Voller Stolz ist auch, was sich szenisch abspielt. Aber gewiss nicht alles lässt sich durch das Publikum auch inhaltlich sinnvoll auflösen.
Timofej Kuljabin hat die Regie übernommen. An internationalen Bühnen hatte der junge Regisseur schon Aufträge erhalten, ehe er als Konsequenz aus dem Ukraine-Krieg, wie viele andere Künstler auch, Russland verlassen hat. In seiner Inszenierung räumt er vor allem seinen beiden Spielern möglichst großen Raum ein.
Koltès’ Stück ist auch Anklage gegen absurde Mechanismen im real existierenden Kapitalismus, die unser aller Leben strukturieren. Davon offenbart diese 70-minütige Bühnenarbeit wenig. Kuljabin wendet das szenische Gerüst eher ins Metaphysische, schafft Atmosphären, lässt das Unheimliche unter dem Bühnenportal Platz nehmen und transportiert Aussagen über die abgründige menschliche Natur.
Malkovich brilliert dabei mit seinem nuancenreichen Spiel. Er zeigt, was er kann, und genießt es sichtlich. Immerhin ist es sein Name auf den Plakaten, der das Publikum hierher gezogen haben dürfte. Einem von Hollywoods Großen live zuzusehen, der eigentlich zu begabt ist für die stupiden Blockbuster aus der Traumfabrik, lohnt sich. Den Koltès bringt er uns bedauerlicherweise aber so auch nicht näher.
Nächste Vorstellungen: 10 und 11.6. (Berlin), 17. und 18.6. (Düsseldorf)
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.