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Wo bleibt das Drama?

Dramaturg in Berufsbekleidung
Dramaturg in Berufsbekleidung

Heinar Kipphardt ist der Name einer dieser Dramatiker, die heute in Vergessenheit zu geraten drohen. Zunächst wirkte er in Ostberlin am Deutschen Theater und konnte dort seines freien Geistes wegen nicht glücklich werden und suchte also bald in der Bundesrepublik Fuß zu fassen, wo er aus denselben Gründen aneckte. 1952 hat er ein bemerkenswertes Stück geschrieben. »Shakespeare dringend gesucht« heißt es. Es war ein veritabler Publikumserfolg, einer der Glanzpunkte einer neuen Dramatik in den Nachkriegsdeutschländern und findet sich längst nicht mehr auf den Spielplänen.

Das Sujet dieses Lustspiels ist schnell umrissen: Amadeus Färbel arbeitet als Dramaturg an einem kleinen Stadttheater in der soeben aus der Taufe gehobenen DDR und liebt das Theater aufrecht. Was durchaus von Nachteil ist. Er fühlt sich insbesondere der Förderung einer zeitgenössischen Dramatik verpflichtet. Mit den unbeholfenen Versuchen der Möchtegernparteidichter muss er dabei genauso umgehen wie mit dem Opportunismus des Herrn Intendanten.

Trotzdem muss doch jemand zu finden sein, so ist Färbel sicher, der wenigstens halb so begabt ist wie Shakespeare. Damit wäre schon viel gewonnen. Er versucht sich der minder talentierten Schreiberlinge wieder zu entledigen und stößt dabei gegen seinen eigenen Willen auch demjenigen vor dem Kopf, den er als einzigen für aufführenswert erachtet. Nun gilt es, den verstoßenen Autor zu finden – und ganz nebenbei das geliebte Fräulein aus dem Sekretariat für sich zu gewinnen und sich des Intendanten zu entledigen.

Genosse Shakespeare

Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.


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Aber muss ein solches Stück nicht zwangsläufig Staub ansetzen? Sagen uns die Königsdramen des Genossen Shakespeare nicht unendlich viel mehr als Kipphardts Spitzen gegen den Parteibürokratismus eines untergegangenen Staates? Was gehen uns, die wir im ewigen Kapitalismus ausharren, die kulturpolitischen Wehwehchen eines im Aufbau befindlichen Sozialismus an?

So einfach ist es nicht. Wenn die Sekretärin referiert: »Um 2 Uhr ist BGL-Sitzung über die Chemnitzer Beschlüsse … – um halb vier ist Produktionsberatung über den Zwickauer Plan … – um fünf Sitzung des Stanislawskizirkels, des Zirkels für Zusammenarbeit mit den Massenorganisationen, des Zirkels für Kontrolle der organisierten Arbeitskontrolle … – um sechs Uhr ist Sitzung des Koordinierungsausschusses der Seminar- und Zirkelarbeit, und für heute Abend liegen zwei Konzertkarten für Sie an der Kasse«, dann ahnt man bereits etwas. Das Tagesprogramm hält andere Punkte bereit in unseren Zeiten, die sich – verdächtig genug! – ganz und gar unideologisch wähnen. Aber heftiger, als es vor 70 Jahren noch der Fall war, hat sich der Dramaturgenberuf nur zu einer weiteren Stelle im Bereich Projektmanagement entwickelt.

Die Bühnen versuchen es heute keiner (Staats-)Partei mehr recht zu machen, aber Anbiedererei ist an den Theatern doch Mode geblieben. Und wenn Färbel seinem Intendanten zuruft: »Wenn Sie einen Dramaturgen suchen: Nehmen Sie einen Pfarrer!«, fällt es nicht schwer, den Bogen zum beharrlichen Predigtton zu ziehen, der uns heute nicht nur gelegentlich von den Bühnen entgegen klingt.

Schließlich bleibt das verhandelte Problem akut: Shakespeare, noch immer dringend gesucht. Nein, es ist sogar größer geworden. Als Kipphardts Stück 1953 am Deutschen Theater uraufgeführt wurde, war Brecht mit seinem Berliner Ensemble an diesem Haus noch zu Gast. In jenen 50er Jahren schrieben Peter Hacks und Heiner Müller ihre ersten Dramen. Dürftig scheint da die Gegenwart. Auch Heinar Kipphardt war vielleicht kein halber Shakespeare. Aber er bringt es vermutlich auf ein Drittel. Anders ausgedrückt: Auf die Bühne gehört er unbedingt.

Heinar Kipphardt: Shakespeare dringend gesucht und andere Theaterstücke. Rowohlt, 346 S., br., 6,50 €.

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