»Es geht um Zerstörung«

Was würde es für die demokratische Wissenschaftslandschaft bedeuten, wenn die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung Mittel des Bundeshaushalts bekäme?

  • Julia Segantini und Stefan Vennmann
  • Lesedauer: 7 Min.
Es braucht weder einen geheimen Plan noch finstere Machenschaften: Die Förderung der Desiderius-Erasmus-Stiftung durch Gelder des Bundes wäre eine Institutionalisierung rechter Kräfte in der demokratischen Öffentlichkeit.
Es braucht weder einen geheimen Plan noch finstere Machenschaften: Die Förderung der Desiderius-Erasmus-Stiftung durch Gelder des Bundes wäre eine Institutionalisierung rechter Kräfte in der demokratischen Öffentlichkeit.

Zuletzt scheiterte die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) am 12. April 2022 mit ihrem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Köln. Die AfD-nahe Stiftung versucht seit Jahren, rückwirkend Bundesgelder in Millionenhöhe für ihre Bildungsarbeit in den Jahren 2018, 2019 und 2021 einzuklagen. Weil die AfD sich zu diesen Zeitpunkten aber nur in ihrer ersten Legislaturperiode befand, wies das Verwaltungsgericht die Klage zurück. Dieses Jahr könnte sich aber noch entscheiden, ob die DES nun Gelder erhalten wird. Denn seitdem die AfD zum zweiten Mal in den Bundestag eingezogen ist, erfüllt die Stiftung das einzige Kriterium für das Recht auf Finanzierung.

Die Zuwendungen aus Bundesmitteln würden der DES politische Bildungsarbeit, Studien und die finanzielle Unterstützung auch extrem rechter Studierender und Promovierender ermöglichen. Für die Wissenschaft und die universitäre Landschaft könnte das fatale Folgen haben. Wie diese aussehen könnten, erschließt sich teilweise aus der Strategie der AfD und der DES.

Ein Kampf um die Hochschulen

Die Neue Rechte macht keine »Politik mit dem Vorschlaghammer«, verdeutlicht Matthias Jakubowski. Der Experte für Rechtsextremismus ist Mitautor der Studie »Desiderius-Erasmus-Stiftung – Politische Bildung von Rechtsaußen« der Otto-Brenner-Stiftung. Vielmehr verfolge die Rechte einen Kampf um kulturelle, mediale und akademische Institutionen, den Prof. Alex Demirović »Kulturkrieg« nennt und der auch die Arbeit von Stiftungen betrifft. Dieser Versuch, den vorpolitischen Raum zu erobern, soll die Bedingung des parlamentarischen Erfolgs sein. Zuletzt hatte Björn Höcke eine solche Strategie auf dem Bundesparteitag in Riesa als das wichtigste politische Werkzeug der AfD bezeichnet.

Erika Steinbach, Vorsitzende der DES und seit 2022 AfD-Mitglied, leugnet zwar ein solches Vorgehen. Sie behauptet weiterhin, die DES und AfD würden demokratische Werte vertreten. Allerdings bedient sich die DES sehr wohl jener Strategie, rechte Kräfte in der Zivilgesellschaft zu platzieren. Das zeigt etwa die Liste der Mitglieder aus Vorstand und Kuratorium der DES. Dazu gehört zum Beispiel der AfD-»Parteiphilosoph« und Bundestagsabgeordnete Dr. Marc Jongen. Dieser machte sich in der Partei dafür stark, »das sogenannte Abstammungsprinzip wieder einzuführen«, wie die ZEIT ihn zitierte, und war auch zu Gast beim rechtsextremen »Institut für Staatspolitik« (IfS). Gegründet wurde das »Institut« unter anderem von Dr. Karlheinz Weißmann, einem weiteren DES-Kuratoriumsmitglied.

Abseits von Initiativen gegen die DES wird oftmals »vergessen, ausgeblendet oder ist nicht bekannt«, dass Mitglieder der DES »seit Jahrzehnten einer Ideologie folgen, die die Demokratie über den Haufen wirft«, meint Jakubowski. Dieser unreflektierte Umgang könne dazu führen, dass die rechtsextreme Tendenz der DES an den Hochschulen nicht ernstgenommen wird und sie umso leichter Fuß fassen kann.

Demirović geht derweil nicht davon aus, dass der strategische Einsatz der Stiftung sich direkt auf den Erfolg der AfD auswirkt und diese etwa im Bundestag durch Stipendiat*innen der DES massiv gestärkt würde. Vielmehr sei es »ein Bedrohungsfaktor für demokratische Diskussionen, wenn zum Beispiel jemand Dekan wird und dann sagt, Gender Studies, das ist ja nur Ideologie; Klimaforschung brauchen wir nicht«. Auch Jakubowski befürchtet, dass der Grundton im universitären Alltag aggressiver wird und dies progressive Positionen direkt bedroht. Denn wenn »von einer rechten Stiftung geförderte Stipendiat*innen in der Vorlesung sitzen, die permanent nur auf Konflikt und Konfrontation aus sind, ist das nicht im Sinne der Wissenschaft und Wissenschaftsfreiheit. Es geht um Zerstörung.«

Radikalisiert und normalisiert

Es ist daher wichtig, die Strategie der Rechten und die Rolle der Stiftung darin zu benennen und öffentlich zu thematisieren. Die Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz könne, wie Demirović betont, eine »abschreckende Wirkung« auf Studierende und Lehrende haben. Das Engagement von Hochschullehrer*innen für die DES könnte dadurch unattraktiv werden und damit sei fraglich, ob die DES überhaupt ausreichend Vertrauensdozent*innen und Gutachter*innen mobilisieren könne, um ihre Arbeit durchzuführen.

Jakubowski ist weniger optimistisch und will die Auswirkungen auch weniger Personen nicht unterschätzen. »Wir erleben ja, dass ein sehr kleiner Kreis an Personen die öffentliche Debatte bestimmen kann«, sagt er und zieht den Vergleich zu rechten Burschenschaften und ihren Netzwerken, die de facto schon lange an gewissen Fakultäten existieren. Damit kämen auch bestimmte Personen an Promotionspositionen, die an vermeintlich unverdächtigen Themen forschten. Durch Stipendien könnten diese Netzwerke sich wesentlich vergrößern und »ein Normalisierungseffekt von rechten Positionen« eintreten, warnt Jakubowski.

Die Studentin Lena Müller (Name von den Autor*innen geändert) befürchtet zudem weitere Vernetzungen: »Als Stipendiat*in könntest du in Ferienakademien auf andere Stipendiat*innen aus ganz Deutschland treffen, die genauso eingestellt sind wie du«. Müller engagiert sich in der stipendiatischen Initiative #DefunDES, die sich gegen eine mögliche Finanzierung der DES einsetzt. Möglich wäre das schon vor dem Studium, zum Beispiel auf Hochschulmessen, auf denen sich die Förderwerke vorstellen, oder an Schulen, wo für Förderwerke geworben würde. Auch wenn unklar sei, »ob Schulen das akzeptieren würden, theoretisch könnten DES-Stipendiat*innen dort Schüler*innen von einem DES-Stipendium überzeugen«, sagt Müller.

Flagge zeigen

Ausschlaggebend wird auch die Haltung der Hochschullehrer*innen sein, die sich als demokratisch verstehen. Wie werden Dozierende und Promotionsbetreuer*innen reagieren, wenn es um Bewerbungen für DES-Stipendien geht? Werden sie ihre Unterstützung für die Bewerbung verweigern und notwendige Fachgutachten ausschlagen? Denn selbst bei vermeintlich »ideologiefreien« Studien sei Skepsis angebracht. »Das hat nichts mit Demokratie und Pluralität zu tun«, meint Demirović – auch wenn DES und AfD gleichermaßen behaupten, diese Werte zu vertreten.

Denn Stipendienbewerbungen setzen oft ein politisches Engagement im Sinne der Stiftung als Zugangsbedingung voraus. Im Falle der DES würde dies auf ein Engagement in rechten demokratiefeindlichen Strukturen hinauslaufen. Die Studentin Lena Müller weist zudem auf die Gefahr hin, dass Stipendien nicht nur Engagement voraussetzen, sondern in besonderem Maße fördern: »Das Stipendium befreit dich von der Notwendigkeit, nebenbei Geld verdienen zu müssen. Das heißt, du hast potentiell mehr Freizeit, die du zum Beispiel in Burschenschaften verbringen kannst oder indem du dich bei der jungen Alternative engagierst.«

Derzeit gibt es noch keine Berührungspunkte zwischen den anderen Förderwerken und der DES. Käme es allerdings zu einer formalen Anerkennung der DES, sei ein Zwang zur Zusammenarbeit perspektivisch möglich, erklärt Demirović. Auch die Kommunikation zwischen den Förderwerken könnte sich verändern, vermutet Müller: »Es würde definitiv die gesamte Förderwerkslandschaft erschüttern. Die Absprachen, die bisher zwischen den Förderwerken laufen, würden nicht mehr so einfach funktionieren. Auch weil Förderwerke gezwungen wären, sich öffentlich zu positionieren.«

Beim jüdischen Förderwerk ist das bereits geschehen. Das Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerk (ELES) etwa organisiert das förderwerksübergreifende Programm »Nie wieder!? Gemeinsam gegen Antisemitismus und für eine plurale Gesellschaft«. Jo Frank, Geschäftsführer von ELES, betonte gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass sie das Programm sofort einstellen müssten, wenn sie zu einer Kooperation mit der DES gezwungen werden würden. Das Förderwerk könne sonst die Sicherheit seiner Stipendiat*innen nicht gewährleisten.

Ähnlich könnte es sich in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung abspielen. Jakubowski befürchtet vor allem bei Sachthemen wenig Widerspruch oder offenen Konflikt. Sachbezogene Auseinandersetzungen könnten mit versteckter rechter Argumentation unterfüttert werden, die sich wiederum auf das Campusleben auswirken könnten. »Welche Bücher werden angeschafft? Was ist mit Anti-Rassismus-Workshops und Awareness-Teams? Wie gestalten wir die Campuscafés, legen wir ökologische Standards fest? Sollen Solaranlagen aufs Dach der Uni?«

Für Gremienmitglieder mit offen linker Positionierung könnte sich zudem eine konkrete Gefahr ergeben, wenn im Zuge organisatorischer oder inhaltlicher Besprechungen persönliche Daten zugänglich würden. Ein optimistischeres Bild zeichnet Müller von den Gremien der studentischen Selbstverwaltung wie den Allgemeinen Studierendenausschüssen (AStA). Sie rechnet durchaus mit Skandalisierung, wenn DES-Stipendiat*innen kandidieren und mitmischen wollen.

Wissenschaft ist politisch

Mit großer Wahrscheinlichkeit würde eine mit Bundesmitteln finanzierte DES die ohnehin schon durch Neoliberalisierung und Drittmittelwettbewerb unter Druck stehenden demokratischen Strukturen der Hochschullandschaft und die Wissenschaftsfreiheit gefährden. Der tatsächliche Einfluss der DES wird jedoch davon abhängen, ob sich Lehrende, Studierende, der akademische Mittelbau und Promotionsbetreuer*innen gegen menschenverachtende Ideologie abgrenzen und eine Zusammenarbeit mit der DES ablehnen werden. Schließlich gehört es zur Strategie der extremen Rechten, Unentschlossene und Opportunist*innen für ihre Zwecke einzusetzen. Sie verwenden diese falsch verstandene Toleranz – die Vorstellung, Menschenfeindlichkeit wäre eine legitime Position unter vielen – gegen die Demokratie. Durch eine klare Positionierung kann die demokratische Öffentlichkeit und die Hochschule im Speziellen diese Angriffe abwehren. Andernfalls erhöht sich die Gefahr für alle, die nicht bereit sind, extrem rechten Einfluss in den Universitäten zu dulden.

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