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  • Denken, nicht schießen

Krieg ist kein Lösungswort

Aber leider bleibt er Praxis – weil wir für Frieden zu feige sind

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein einziger Satz vereint Versammlungsmassen, so vielstimmig sie auch zusammengesetzt sein mögen. Eine einzige Parole verbindet Proteststürme, so verschiedensprachig sie auch auftreten. Es ist ein Satz, der aus allen Zeiten zu uns kommt. Jene »tausend Schreie, die zu schreien wären und welche das Herz wie eine Blutauffrischung in die Adern pumpt« (Friedrich Schiller) – diese Schreie sind zu dieser knappsten Losung geworden. Ganze Philosophien, viele Traktate, Plädoyers oder Anklagereden werden seit jeher in diesem einen Satz zum unmissverständlichen Kern verdichtet. Nicht zu überbieten in Prägnanz und einleuchtender Entschiedenheit.

Dieser Satz lautet (derzeit in Richtung des eiskalten Aggressors Russland, des verbrecherischen Landnehmers Putin): »Krieg ist keine Lösung!«

Ja. Richtig. Nein. Falsch. Selbstredend weiß jeder, was die Stunde geschlagen hat, was also mit einem solchen Satz gemeint ist. Aber was aufstört, ist jene Unvermeidlichkeit, mit der wir immer wieder, aktuell bedroht durch diese russisch-imperiale Anmaßung, in eine Verkürzung des Denkens hineinrasen, in eine selbstschützende Verpanzerung gegen schmerzende Differenzierung.

Denn, verfluchenswert: Krieg ist sehr wohl eine Lösung. Leider! So, wie jede Diktatur eine übergespannte Situation löst – mag das daraus entstehende Leid jedes Mal noch so groß sein und immer größer werden. Dies ist die elende Lehre der Geschichte. Selbstredend bedeutet Krieg nur zeitweilig eine Lösung, zumal die schlimmste, aber: Es ist die elend gängige. Deshalb gibt es regelmäßig den nächsten Krieg. Als eine Alternative, wenn für herrschende Politik das Chaos der realen Unvereinbarkeiten in einem Land, in einer Region, in der Welt unerträglich wird. Dem zugrunde liegt der Wunsch nach Unterdrückung einer Widerspruchsseite – weil man Widersprüchlichkeit nicht aushält.

Im Menschen steckt die verdammenswerte Sehnsucht danach, eine störende Angelegenheit ein für allemal, möglichst ohne Beschädigung der eigenen Position aus der Welt zu schaffen. Dabei entsteht auf gesellschaftlicher Ebene regelmäßig mehr Herrschaft als Frieden und Freiheit. Dem Frieden haftet meist etwas Falsches an, er knirscht. Bis zum nächsten Gewaltausbruch.

Wahrer Frieden bestünde nicht in der Lösung eines Problems, sondern in der gemeinsamen Ausbildung jener Fähigkeit, mit Problemen – seien sie noch so groß und verzweiflungsschwer – gewaltlos und auf längere Zeit leben zu können. Und also auszukommen mit der Bürde zahlreicher Unverträglichkeiten zwischen Menschen, Parteien, Gesellschaften, Völkern, Kulturen. Als Reaktion auf Blut nicht immer nur wieder Blut zu vergießen.

Wahrer Frieden wäre: zu wissen und darauf hin zu handeln, dass jede Lösung eines Konflikts immer nur eine vorläufige sein kann, weil in jedem offenen Miteinander neue Konflikte vorbereitet und zwangsläufig noch kompliziertere Widerspruchsfelder aufgemacht werden. Frieden ist nicht Ruhe, sondern Unruhe. Befristete Ruhe schafft nur der Krieg, sehr treffend bezeichnet man nachher die geklärte Lage als Friedhofsruhe.

Im Jahre 1989 schrieb der Essayist Friedrich Dieckmann in der DDR-Zeitung »Neue Zeit«, besagte Unruhe des Friedens sei »die Grundbefindlichkeit produktiven Vorankommens«, so wie Krieg »der trügerische Ruhestifter der Furchtsamen« sei. »Let peace come all over the world – das meint nicht: Lasst Ruhe werden auf dem Globus. Sondern es mahnt an, Unruhe auszuhalten, ohne Bedrohung zu empfinden.« Bekenntnis zum Frieden ist also das Bekenntnis zur letztlichen Unklärbarkeit dessen, was uns auf dieser Erde – zum Trotz gegen alle ideologiegeölten Klassen- und Kampftheorien – zusammenschmiedet. Im Kleinen wie im Großen. Im Rosenkrieg wie im Krieg zwischen Welten.

Wir haben ein nach wie vor unausgebildetes Verhältnis zur Brüchigkeit. Wir wollen fest und gewiss voran. Wir wollen als Durchschauer kenntlich sein. Aber mehr als ein schrittweises Abarbeiten von Teilaspekten, mehr als ein mühsames Ausgleichen ist nie und nimmer drin. Krieg ist keine Lösung – diese Wahrheit verhallt immer wieder, weil einigen Kräften der Frieden stets anstrengender war als die Drohung mit Gewalt. Frieden macht porös, weicht eigene Grenzen auf, durchlöchert schützende Mauern, lässt Köpfe heller, fragender werden. Unbequem das alles und gefährlich für Ideologen aller farblichen Coleur.

Grob gesagt: Wahres Friedensdenken wäre Antigewalttraining, es schwächt die Verteidigungsbereitschaft und macht Heeresarbeit verdient unattraktiv. Damit also muss man im Frieden rechnen: dass man selber schwächer wird. Erklär das den vermeintlich Starken! Wahrer Frieden bestünde in letzter moderner Instanz darin, dass jede Gesellschaft, jede Kultur mit ihrer selbstbewussten Existenz die vereinnahmende, einflussgierige Ambition des jeweilig anderen behindert. Und der sich das gern bieten lässt. Kapitulation als Tugend. Sich gemeinsam schwach machen, das ist es!

Toleranz ist nichts anderes als der Mut, auf den eigenen Standpunkt zwar nicht zu verzichten, aber doch zu wissen, dass er sich als einzige Wahrheit nie durchsetzen wird. Je reiner die Wahrheit, die einer besitzt, desto böser wird er auf die, die an seine Wahrheit nicht glauben. Beruhigend ist eine Aussicht auf totale Unsicherheit freilich nicht. Das macht den Frieden offenbar so schwer aushaltbar.

Beim Blick auf die Politik sieht man zu viel Unanfechtbarkeit. Unanfechtbare können keine Erfahrungen mehr machen. Sie produzieren ihre Feindbilder und werden immer empfindlicher, je irrealer sie werden. George W. Bush blickte stets in die Kameras wie ein Mensch, der uns immerfort sagen wollte, dass ihm der Weltfriede anvertraut worden sei. Das ist genau jenes Selbstbewusstsein, das Kriege ermöglicht. Weltfriede finge wahrscheinlich dort an, wo Menschen von sich selbst wissen, dass man ihnen alles anvertrauen darf – nur nicht den Weltfrieden.

Mag merkwürdig klingen: Nicht Kompetenz hält die Welt am Leben, sondern Einsicht in unsere Inkompetenz. Im Wissen darum, für endgültige Lösungen überfordert zu sein. Das gilt im Winzigen wie im Ganzweltlichen. Wir existieren letztlich in geheimnisvollen Verhältnissen und müssen uns dareinfinden. Darin herumpusseln. Ohnmachtsfantasien entwickeln. Alles daran setzen, unvollkommen zu bleiben. Die Ästhetik des Widerstandes hat die Demokratie geschaffen, aber nur eine Ästhetik des Unterlassens kann sie heute als hohen Wert bestätigen.

Einzig die Katastrophe vermag wie eine Sonde ins unbelehrbare Bewusstsein vorzudringen und dort bekehrende Einsichten zu entzünden. Um den Stand unserer Unbelehrbarkeit auf lebbarem Niveau zu halten. Es gehört freilich zu den großen Traurigkeiten, dass auch das katastrophische Lernen von entsetzlicher Kurzfristigkeit gezeichnet ist. Das Gedicht zur Lage stammt von Günter Kunert. »Über einige Davongekommene« schrieb er: »Als der Mensch/ unter den Trümmern/ seines/ bombardierten Hauses/ hervorgezogen wurde,/ schüttelte er sich/ und sagte:/ Nie wieder.//Jedenfalls nicht gleich.«

Wir sitzen alle im Glashaus. Wer im Glashaus sitzt, sollte alle Steine werfen. Hinaus. Im kaputten Glashaus leben – das ist ja nun überhaupt keine Lösung. Aber vielleicht sieht so der derzeit einzig mögliche Frieden aus.

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