Wenig Chancen für politischen Wandel

Der US-Bundesstaat Texas ist fest in Händen erzkonservativer und nationalistischer Republikaner

  • Johannes Streeck
  • Lesedauer: 6 Min.

Texas ist groß. Von der südlichsten Spitze an der Grenze zu Mexiko bis zum weitesten Zipfel im Nordwesten des US-amerikanischen Bundesstaates sind es fast 1300 Kilometer. Die meisten der 28,6 Millionen Texaner*innen leben entgegen ihrem ländlichen Ruf in den schnell wachsenden Metropolregionen des Staates. Ballungsräume wie Dallas, Houston und Austin locken mit großen Universitäten und gut bezahlten Stellen Menschen aus der ganzen Welt; nach der Erdölförderung und der Rinderzucht boomt hier mittlerweile vor allem die Tech-Branche.

Beto O’Rourke hat sich vorgenommen, so viel wie möglich von diesem großen Texas zu sehen. Der 49-jährige Demokrat kandidiert derzeit für den Gouverneurs-Posten und hat unter dem Motto »Drive for Texas« laut Angaben seines Wahlkampfteams bald 9000 Kilometer in seinem Pickup-Truck zurückgelegt. Dabei will er auch die kleinen Städte und Gemeinden in den Mittelpunkt stellen, die von der Politik meist wenig Beachtung finden. O’Rourke stammt selbst aus El Paso, einer überwiegend mexikanisch-amerikanischen Stadt an der westlichsten Spitze des Staates.

O’Rourke’s Weg in die Gouverneursvilla ist aber alles andere als sicher, denn diese ist seit Mitte der 90er fest in der Hand der Republikanischen Partei. Auch im Repräsentantenhaus des Staates sowie in der Delegation, die für Texas im Kongress in Washington sitzt, genießen sie eine entscheidende Mehrheit. Auf nationaler Ebene präsentierten sich die texanischen Republikaner als besonders entschlossene Verfechter der Trumpschen Politik. Dafür bedienen sie Themen, die auf verlässliche Weise den rechten Rand der Partei mobilisieren: Nationalismus, Abtreibungsverbot, Anfeindungen gegen Einwanderer und anders Gelesene.

Der derzeitige Gouverneur Greg Abbott hat seit dem Frühjahr Tausende Migrant*innen aus Texas in Bussen in demokratisch regierte Großstädte bringen lassen. Erst in der vergangenen Woche erreichten über Hundert Menschen aus Kolumbien, Kuba, Guyana, Nicaragua, Panama and Venezuela das Wohnhaus von Vize-Präsidentin Kamala Harris. Einen Nachahmer hat Abbot nun in seinem Amtskollegen Ron DeSantis aus Florida gefunden. Beide nutzen den Streit um Einwanderungspolitik für die Mobilisierung ihrer Anhänger. Neu ist das nicht. Abbot hat bereits 2021 unter dem Namen »Operation Lone Star« einen eigenen Sicherheitsapparat an der Grenze zu Mexiko aufgebaut, die Region ist in den Augen mancher Anwohner durch den breitflächigen Einsatz der Nationalgarde zu einer militarisierten Zone geworden.

Ungewollt Schwangere werden in diesem Bundesstaat nicht mehr versorgt, für eine Abtreibung müssen sie lange Wege in andere Bundesstaaten in Kauf nehmen. Ärztinnen und Ärzte, die eine Abtreibung vornehmen, müssen nach dem neuen Gesetz mit lebenslanger Haft und einer Geldstrafe von 100 000 Dollar rechnen. Das Gesetz in Texas sieht selbst in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest keine Ausnahmen vom Abtreibungsverbot vor. Außerdem erließen die Republikaner unter der Führung Abbots im letzten Jahr ein Gesetz, über das Eltern von trans Kindern und Jugendlichen wegen Kindesmissbrauch angezeigt werden können, wenn deren Zöglinge in Hormontherapie sind. Einige Betroffene sind mittlerweile aus dem Bundesstaat geflohen.

Beto O’Rourke und die Demokratische Partei setzen auf den Missmut, den Abbots Politik bei vielen in Texas hervorruft. Während seine Partei mehr oder weniger geschlossen hinter ihm steht, kommt der Gouverneur in allgemeinen Umfragen nur knapp über 40 Prozent Zustimmung. Für viele Demokraten ist zudem der demografische Wandel im Bundesstaat schon fast eine Garantie für eine Rückeroberung der hohen Ämter. Weiße bilden schon seit 2019 die Minderheit, die demokratisch wählenden Metropolregionen wachsen deutlich schneller als die eher konservativen Gemeinden auf dem Land.

O’Rourke positioniert sich im Wahlkampf vor allem als Anti-Abbott. Er bezeichnet seinen republikanischen Kontrahenten als korrupt, unbarmherzig und radikal. Nach dem Massaker an 19 Grundschulkindern und ihren Lehrerinnen in der Kleinstadt Uvalde weigerte sich der Gouverneur in für Republikaner typischer Manier, die amerikanische Waffenlobby zu verurteilen und kommentierte kurz nach der Tat sogar, »es hätte ja noch schlimmer kommen können«. Seitdem ist Abbots Untätigkeit im Angesicht der Gewalt ein fester Bestandteil von O’Rourkes Reden auf seiner Tournee durch Texas. Zusammen mit manchen der Hinterbliebenen von Uvalde fordert er nun ein höheres Mindestalter für den Kauf der halbautomatischen Sturmgewehre, mit denen dieses und viele andere Blutbäder in den USA angerichtet wurden.

Beto O’Rourke ist nicht zum ersten Mal Hoffnungsträger der texanischen Demokraten. 2018 gelang es ihm beinahe, dem langjährigen Senator Ted Cruz den Job wegzunehmen, ein für die lang abgehängte Partei nahezu historisches Ereignis.

So sehr sich O’Rourke vom Rechten Abbot absetzt, so bemüht er sich auch um eine gehörige Distanz zum linken Parteiflügel und dessen Forderungen. Der ehemalige Immobilieninvestor hat es vor allem auf moderate Republikaner und Wechselwähler abgesehen. Auf seinem »Drive for Texas« pries er oft den großen Öl- und Gassektor in Texas an; Vorwürfe Abbotts, er sei ein Feind der Polizei, kontert er regelmäßig durch die gleichen anbiedernden Solidaritätsbekundungen mit den Ordnungskräften, die bei Republikanern so beliebt sind. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Örtchen Lockhart macht O’Rourke diese politischen Gratwanderungen besonders deutlich: Er fordert nicht die Einschränkung des Waffenbesitzes, sondern lediglich den Besitz bestimmter Waffen.

Ein Mann, der sich selbst als ehemaliger Republikaner bezeichnet, erzählt unter Tränen, dass er mittlerweile Angst habe, seine Kinder in die Schule zu schicken. Er besitze ja selber Gewehre, aber »keins davon hat mehr als fünf Schuss, oder schießt mehr als 300 Meter weit«. O’Rourke versicherte dem Mann, dass er voll hinter dem zweiten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung steht, nach dem allen Amerikanern das Recht auf Waffenbesitz zusteht. Der Austausch wurde von O’Rourkes Wahlkampfteam umgehend zu einem Werbeclip fürs Internet verarbeitet.

Folgt man den aktuellen Umfragen, wird wie 2018 auch diese Wahl für O’Rourke mit einer knappen Niederlage enden. Das Mobilisierungspotenzial der Demokraten wird der Kandidat aus El Paso aber fraglos wieder unter Beweis stellen können. Für viele in der Partei ist ohnehin klar, dass sie in Texas früher oder später wieder das sagen werden, auch wenn es diesmal wieder nichts wird. Dass der demografische Wandel aber keine Garantie für die Demokraten ist, zeigt schon der Umstand, dass derzeit zwei Kandidatinnen der Republikaner gute Chancen haben, traditionell demokratische Abgeordnetensitze im mexikanisch geprägten Süden von Texas zu erobern. Beide sind Latinas aus der Region – und bekennende Unterstützerinnen von Trump und Greg Abbott.

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