New Yorker Notunterkünfte sind voll

Bürgermeister Eric Adams verkündet den Notstand und ruft nach Hilfe aus Washington

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.
Geflüchtete bei der Ankunft am 27. September am Busbahnhof Port Authority in New York City
Geflüchtete bei der Ankunft am 27. September am Busbahnhof Port Authority in New York City

Noch im Wahlkampf im Herbst vergangenen Jahres bezeichnete sich New York Citys Bürgermeister Eric Adams als das »das neue Gesicht« der Demokratischen Partei. Er gab sich bodenständig und betonte seine Herkunft aus der afroamerikanischen Arbeiterklasse: ein kompetenter, aber volksnaher Manager für die Metropole. Am vergangenen Freitag sah er sich jedoch genötigt, den Notstand auszurufen und die Biden-Regierung vier Wochen vor den Wahlen zum Senat und Repräsentantenhaus scharf zu kritisieren. Derzeit kämen so viele Geflüchtete von der Südgrenze zu Mexiko in der Stadt an, dass man keine Unterkünfte für die Menschen mehr finde. Um sie unterzubringen, brauche New York dringend Hilfe aus Washington. Die Biden-Regierung zeigt laut Adams aber kaum Bewusstsein für die »Tiefe dieser Krise«.

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In New York herrscht bereits jetzt ein akuter Mangel an Wohnraum; die Einwander*innen, die seit April von der Regierung von Texas per Bus in den Norden gekarrt wurden, zählen jetzt schon rund 20 000. Bis Jahresende erwartet der 62-jährige Bürgermeister noch 40 000 weitere. Doch New Yorks Unterkünfte sind mit über 61 370 besetzten Betten bereits seit Wochen am Limit, trotz erheblicher Bemühungen der Stadt, weitere Zimmer zur Verfügung zu stellen. Steigende Mieten und das Ende des Räumungsmoratoriums während der Pandemie treiben auch immer mehr langjährige New Yorker in das Unterkunftssystem. Viele Zuzahlungen und temporäre Sozialleistungen für Familien während der Coronakrise laufen ebenfalls aus. Die Gefängnisse entlassen ihre Insassen oft direkt in die Notunterkünfte, wo die durchschnittliche Aufenthaltsdauer inzwischen 500 Tage beträgt. Adams, der über 20 Jahre New Yorker Polizist war, hatte sich für seine Stadt eigentlich bessere Zeiten nach der Pandemie gewünscht: eine Fifth Avenue voller Touristen und eine Wirtschaft, die wieder rund läuft. Stattdessen sieht sich der Bürgermeister nun gezwungen, nach einer Milliarde Dollar Staatshilfe aus Washington zu rufen.

Der Notstand erlaubt Adams, die Erlaubnis lokaler Bezirksräte für die Errichtung von Notbehausungen zu umgehen. Hieran scheiterten bisher seine Pläne, etwa Großzelte in der Bronx zu errichten oder Kreuzfahrtschiffe mit tausenden Betten vor Staten Island anzudocken. Auf Staten Island machen ihm New Yorker Republikaner wie Stadtrat Joe Borelli einen Strich durch die Rechnung, mit dem Adams eigentlich oft die politische Zusammenarbeit sucht. Doch Borelli lehnt Adams »Love Boat« für Geflüchtete, wie der Stadtrat das Vorhaben bezeichnete, strikt ab. Nun hat Adams die kaum bebaute Randall’s Island im East River im Visier, auch wenn der Stadtrat die Insel gleich als ungeeignet ablehnte. Adams Vorhaben trifft auch auf den Widerstand von Parteifreunden. Der Bürgermeister wird von linken Kritiker*innen auf leerstehende Bürogebäude oder auf die Möglichkeit, weitere Hotels zu requirieren, verwiesen.

Offen ist, warum die Regierung von Präsident Biden keine weiteren Unterstützungsmaßnahmen ergreift, die schnelle Abhilfe schaffen könnten: Adams fordert die Verteilung von Arbeitserlaubnissen an die Migrant*innen, da in New York zur Zeit Tausende ungelernte Arbeitskräfte fehlen. Biden solle auch in die Verteilung der Menschen eingreifen und den Zustrom von Bussen aus Texas anderswohin lenken. Der texanische Gouverneur Greg Abbott zielt seit Monaten mit den Bustransporten auf die demokratisch regierten Großstädte im Norden, eine bewusste Provokation. New York mit seinem landesweit einzigartigen Versprechen, alle Bewohner*innen – inklusive Migrant*innen – garantiert unterzubringen, wird dabei mit besonderem Hohn bedacht.

Als Bürgermeister wollte Adams gegen die Waffengewalt ankämpfen und die Sicherheit in der U-Bahn gewährleisten. Die geschmuggelten Waffen, die New Yorks Straßen plagen, kommen verstärkt aus Südstaaten mit lockeren Waffengesetzen. Adams betont seinen eigenen entbehrungsreichen Hintergrund; die Mühen des Ankommens, mit denen sich Einwander*innen konfrontiert sähen, könne er gut nachvollziehen. Seine Mutter musste als Putzfrau Doppelschichten schieben, um die Familie über Wasser zu halten, sein Vater, ein Metzger, war Alkoholiker. Beide Eltern waren aus Alabama zugezogen, was damals für arme Familien noch fast einer Weltreise gleichkam. Adams soll oft eine Tüte mit Kleidung zur Schule mitgeschleppt haben, weil er eine Räumung der elterlichen Wohnung gefürchtet habe. Nachdem er von einem weißen Polizisten brutal zusammengeschlagen worden war, entschied Adams, selbst Polizist zu werden. Er sieht sich als Bindeglied zwischen den widerstreitenden Flügeln der Demokratischen Partei. 

Präsident Biden erweckt derweil nicht den Eindruck, als wolle er sich der Situation der Migrant*innen wirklich annehmen. Dennoch wirbt Adams dafür, dass der große Parteitag der Demokraten im Wahljahr 2024 in Manhattan stattfinden solle. Er hofft immer noch darauf, dass seine Stadt nach der Pandemie als Phoenix aus der Asche steigt. Sich selbst sieht er als zukünftigen Präsidentschaftskandidaten. Im Wahlkampf nannte er sich noch den »Biden aus Brooklyn« – doch so würde er sich heute wohl nicht mehr bezeichnen.

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