Nie wieder verliebt, verlobt, verheiratet

Die Theatermacherin Simone Dede Ayivi über ihr neues Stück »Let’s just be friends« an den Berliner Sopiensaelen, das sich mit solidarischen Beziehungen jenseits der romantischen Liebe auseinandersetzt

  • Dorte Lena Eilers
  • Lesedauer: 5 Min.
Für Ayivi sind Freund*innenschaften ein »anarchisches Konstrukt« mit viel Potential.
Für Ayivi sind Freund*innenschaften ein »anarchisches Konstrukt« mit viel Potential.

Simone Dede Ayivi, viele sagen, die Hochzeit sei der schönste Tag im Leben. Und tatsächlich bestätigt das Statistische Bundesamt, dass die Zahl der Eheschließungen in Deutschland – inklusive leichter Schwankungen und abzüglich der Pandemiejahre – seit zwanzig Jahren nahezu konstant geblieben ist. Warum ist für viele die Ehe ein so traumhaftes Ziel? Und warum sind Sie da anderer Meinung?

Interview


Simone Dede Ayivi wurde 1986 in Hanau geboren und hat Kulturwissenschaften in Hildesheim studiert. Dort leitet sie das Theaterhaus. Als Regisseurin hat sie sich bis jetzt neben Freund*innenschaften vor allem mit den Themen Rassismus und Migration auseinandergesetzt.

Ich war in meinem Leben auf sehr wenigen Hochzeiten, da in meinem Umfeld kaum geheiratet wird – oder lediglich aus praktischen Gründen, etwa wenn es um Fragen des Sorge- oder Aufenthaltsrechts geht. Für viele ist es ein formeller Akt, der irgendwie sein muss. Mich stört also weniger das Ritual, dieses ganze »Princess-for-one-Day«-Ding, bei dem es schwer ist, keine sexistischen, patriarchalen Strukturen zu reproduzieren. Mich stören die Strukturen, die einen aus juristischen Gründen zu einer Eheschließung drängen. Ein Stück zu inszenieren, in dem wir uns zerrissene Brautkleider anziehen und uns mit Hochzeitstorten bewerfen, finde ich daher nicht interessant. Mich interessieren Gegenkonzepte wie jenes der Freund*innenschaft. Denn dass Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, egal in welcher Form, finde ich super.

Was gelingt Freund*innen Ihrer Ansicht nach besser als der klassischen Ehe beziehungsweise Familie?
Ich finde es ein spannendes Phänomen, dass wir uns oft auf Freund*innenschaften beziehen und es mittlerweile auch Menschen gibt, die Freund*innenschaft als Lebenskonzept wählen, also gemeinsam Kinder großziehen, Häuser bauen, es aber keine formalisierte Begründung dafür gibt: Sie sind nicht verwandt, waren nicht auf dem Standesamt, es gibt kein Lebensziel, das zu erreichen einem kulturell vordekliniert wurde – vielmehr sind sie einfach füreinander da, weil sie es wollen. Meine These, die wir im Stück untersuchen, lautet, dass Freund*innenschaften ein größeres Potenzial haben, hierarchiearme Beziehungen aufzubauen, in die sich Machtstrukturen nicht so leicht einschreiben können.

Aber egal wie Menschen zueinander in Beziehung stehen, ein Ringen ist es doch immer. Warum sollten Freund*innenschaften davon verschont sein?

Freund*innenschaften sind im Gegensatz zur Ehe und der romantischen Zweierbeziehung ein anarchisches Konstrukt, für das wir erst einmal keine Regeln haben. Jeder definiert Freund*innenschaft anders. Wann beschließt man eigentlich, dass man befreundet ist? Wie wird man von einer Bekannten zu einer Freundin? Solche Prozesse verlaufen viel undefinierter als das berühmte Verliebt-Verlobt-Verheiratet-Schema. Wann ist man an dem Punkt, an dem man sich entscheidet, gemeinsam zu wirtschaften, von einem Konto zu leben? Mein Eindruck ist, dass man sich in Freund*innenschaften aufgrund der anarchischen Struktur schlicht mehr Zeit nimmt zu reflektieren, wie man zueinander steht.

Wie groß ist eine Freund*innenschaft bei Ihnen?

Wir sprechen hauptsächlich mit Menschen, die zu zweit sind. Es gibt aber auch Dreier- und sogar eine Siebener-Gruppe.

Männerfreundschaften in popkulturellen Erzählungen werden immer als loyale Banden gezeigt, sagen Sie, während Frauen »lästernd im Café sitzen oder sich gegeneinander ausspielen«. Gerade in der klassischen männlichen Heldengeschichte herrscht doch aber immer Hauen und Stechen. Haben Sie von Männerfreundschaften vielleicht ein allzu positives Bild?

Ich beschäftige mich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive damit, wie Freund*innenschaften in Filmen und Serien dargestellt werden. Für gutes Storytelling braucht man natürlich immer Reibung zwischen den Charakteren – deshalb gibt es sie auch in Männerfreundschaften. Bei ihnen geht es jedoch eher darum, dass sie – trotz der Konflikte in der Gang – die Welt retten sollen. Während Männer also in erster Linie gemeinsam Abenteuer erleben, ist das Abenteuer der Frauen das Beisammensein. Die treffen sich irgendwo und reden. Natürlich trifft das nicht auf alle Geschichten zu, die heute erzählt werden. Daher spielen Aspekte von race und gender in unserer Inszenierung keine große Rolle. Wir wollen vielmehr soziale Fragen untersuchen, die alle Menschen betreffen.

Die Berliner Autorin Carolin Wiedemann stellt in ihrem Buch »Zart und frei« die These auf, dass die bürgerliche Ehe, entstehungsgeschichtlich aus dem Patriarchat erwachsen, eng verwoben ist mit den Mechanismen des Kapitalismus. Andere Lebensformen könnten ihrer Meinung nach nicht nur vom Patriarchat, sondern auch von anderen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen befreien. Sehen Sie das ähnlich?

Ich möchte diese Frage mit Ja beantworten, weil ich doch auch eine Romantikerin bin. Die Vorstellung davon, wie Menschen die Welt verändern können, wenn sie gut miteinander agieren, ist ein Sehnsuchtsbild. Gleichzeitig weiß ich natürlich, dass sich auch Freund*innenschaften sehr leicht vereinnahmen lassen. Beispielsweise spielt in meiner Branche das neoliberale Konzept des Netzwerks eine große Rolle. Frage ich für ein Projekt eine Freundin an, weil sie prominenter ist als ich und damit eine große Reichweite hat oder sonstige Ressourcen mitbringt? Oder weil sie – eben – eine Freundin ist? Und halten wir vielleicht Freund*innenschaften aufrecht, weil sie beruflich von Nutzen sind? Wir untersuchen im Stück also auch, was Freund*innenschaft im Kapitalismus bedeutet.

Sollten Freund*innenschaften, ähnlich der Ehe, rechtlich institutionalisiert werden?

Ich bin generell keine Freundin von Institutionalisierungen, aber – auch wenn es sich paradox zum Grundgedanken der Freund*innenschaft verhält – würde ich ganz pragmatisch sagen: Wenn es die Institutionalisierung bestimmter Lebensformen bereits gibt, sollte sie auch für alle Varianten möglich sein, damit Menschen die Wahl haben, mit wem und wie sie Bindung eingehen, ohne dass daraus rechtliche Nachteile erwachsen.

Vorstellungen: 13., 14., 15. und 16. Oktober www.sophiensaele.com

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