Chaos in der Downing Street

Kritik an Wirtschaftspolitik der britischen Premierministerin

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Premier Liz Truss am Mittwoch zu ihrer ersten Unterredung mit König Charles auftauchte und ihn mit freundlichen Worten begrüßte, murmelte dieser bloß: »Schon wieder da? Ach herrje.« Die kurze Szene, festgehalten auf einem kurzen Video, zeigt, dass es in diesen Tagen nicht gut läuft für die Premierministerin. Das Video machte am Mittwoch die Runde in den sozialen Medien und sorgte für manch bissigen Kommentar. »König Charles spricht für uns alle«, sagte etwa der Abgeordnete John Nicholson von der Schottischen Nationalpartei.

Der Druck auf Truss ist so stark, dass manche ihrer Parteikollegen bereits über den Abtritt spekulieren. Dabei hat die Premierministerin die Regierungsgeschäfte erst vor fünf Wochen übernommen. Die Krise wurde ausgelöst von einem Statement zur Steuerpolitik, das Finanzminister Kwasi Kwarteng vor drei Wochen abgab – er sprach von einem »Mini-Haushalt«. Kwarteng kündigte darin Steuersenkungen an, unter anderem für die reichsten Briten und für große Konzerne. Aber die Märkte reagierten mit Entsetzen: Das Pfund stürzte ab, die Zinsen auf britische Staatsanleihen schossen in die Höhe. Mehrere Interventionen der britischen Notenbank, die unter anderem Staatsanleihen kaufte, konnten die Situation etwas beruhigen.

Aber die Krise ist noch nicht ausgesessen. Investoren sorgen sich, wie das Loch von über 40 Milliarden Pfund, das die Steuersenkungen aufgerissen haben, gestopft werden kann. Der Rechnungshof Institute for Fiscal Studies hat ermittelt, dass Kwarteng bis 2026 öffentliche Einsparungen von etwa 60 Milliarden Pfund finden muss. Aber am Mittwoch sagte Truss, dass sie keine größeren Einsparungen geplant habe – die Frage ist also: Woher soll das Geld kommen? Eine Antwort ist die Regierung bislang schuldig geblieben.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die britische Wirtschaftspolitik kritisiert: Das Fiskalpaket »erschwert den Kampf gegen die Inflation«, schrieb der Fonds am Mittwoch. Es ist bereits die zweite IWF-Salve gegen die britische Regierung in diesen Wochen – solch offener Tadel einer großen Volkswirtschaft wie Großbritannien ist ungewöhnlich. Immer mehr Tories kommen zum Schluss, dass Truss mit ihrer Wirtschaftspolitik einen fatalen Fehler gemacht hat. Und die Kritik hat noch zugenommen. Auf einem Treffen mit dem Komitee der Tory-Hinterbänkler am Mittwoch habe »Grabesstimmung« geherrscht, sagte ein Abgeordneter gegenüber den Medien. David Davis, ehemaliger Brexit-Minister unter Boris Johnson, nannte das »Minibudget« einen »Maxischlamassel«.

Auch ein Blick in die Meinungsumfragen zeigt, wie groß die Probleme für die Tories sind. Seit dem Antritt von Liz Truss als Regierungschefin hat die Labour-Partei ihren Vorsprung laufend vergrößert. In einer neuen Erhebung vom Donnerstag liegt Labour 28 Prozentpunkte vor der Regierungspartei. Würden jetzt Neuwahlen ausgerufen, könnte Labour die Tories plattmachen. Auch denkt eine deutliche Mehrheit der Briten, dass Labour-Chef Keir Starmer einen besseren Premierminister abgeben würde als Truss. Meinungsforscher John Curtice sagte gegenüber der BBC: »Liz Truss hat zwei Probleme. Das erste ist, dass sie nicht wirklich beliebt ist. Sie hat keine Persönlichkeit, für die sich die Öffentlichkeit erwärmt. Das zweite ist, dass sie als inkompetent erachtet wird.«

So spricht man in Westminster bereits von der Möglichkeit eines Regierungswechsels. Außenminister James Cleverly sagte am Donnerstag, dass es »eine desaströs schlechte Idee wäre«, Liz Truss loszuwerden. Aber allein die Tatsache, dass er diese Warnung ausgab, zeigt, wie prekär die Situation für die Regierung ist. Truss und ihr Kabinett scheinen sich dessen bewusst. Am Donnerstag zirkulierten in den Medien allerhand Gerüchte über eine weitere Kehrtwende der Regierung. Letzte Woche musste Truss bereits die Steuersenkung für die reichsten Briten nach heftiger Kritik fallenlassen. Eine weitere 180-Grad-Drehung würde vielleicht die Märkte beruhigen, aber den Vorwurf, dass die Regierung in heillosem Chaos versinkt, würde sie kaum entkräften.

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