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Campen für die Freiheit

Vor der Grünen-Parteizentrale fordern iranische Gruppen Konsequenzen für das Regime

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor der Bundeszentrale der Grünen in Mitte wehen Haare im Wind. Perückenteile flattern wie Fahnen an den Campingzelten, die im Halbkreis auf der Grünfläche am Platz vor dem Neuen Tor stehen. Eine Woche lang haben iranische Aktivist*innen dort bis Sonntag ein »Sit-In« abgehalten. Mit ihrer Präsenz rund um die Uhr wollten sie das Grünen-geführte Außenministerium unter Annalena Baerbock dazu bewegen, mit Blick auf das iranische Regime endlich diplomatische Konsequenzen zu ziehen.

Organisiert wurde das Camp von der Gruppe Feminista, die die iranische Revolution von Berlin aus unterstützt. Die iranische Aktivistin und Mitgründerin Setayesh erzählt, wie die Idee zustande kam: »Seit das Ganze angefangen hat, haben wir viele Demonstrationen besucht. Aber irgendwann dachten wir uns, wir müssen etwas anderes machen, vielleicht werden wir dann gehört.« Mit Performances, Redebeiträgen und Informationsmaterial soll die Aktion die politischen Dimensionen der Aufstände sichtbar machen. »Die Leute hier in Europa wissen sehr wenig über den Iran und wie dort regiert wird«, sagt Azadeh, die sich in der Gruppe Women, Life, Freedom engagiert.

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Jedes Zelt steht deshalb für eine unterdrückte Gruppe, neben dem »Frauen-Zelt« sind Minderheiten wie die queere Community, Kurd*innen oder Afghan*innen durch entsprechende Symbole vertreten. Azadeh und Setayesh betonen, dass es bei den Protesten nicht nur um Frauenrechte geht. »Aber der Spruch ›Frauen, Leben, Freiheit‹ zeigt, dass es nur mit Frauenrechten Demokratie geben kann«, sagt Azadeh.

Die deutschen Linken scheinen das noch nicht gänzlich verstanden zu haben. Am Freitagnachmittag sind rund 50 Menschen vor Ort, zu hören ist vor allem Persisch und Englisch. Es fällt auf, wie wenige weiße Unterstützer*innen dabei sind. Setayesh vermisst vor allem die Solidarität anderer feministischer Gruppierungen. Die seien verunsichert, weil sie bei dem Thema Kopftuch eine Instrumentalisierung von rechts befürchteten. »Aber das sind einfach andere Ebenen, im Iran werden deshalb Menschen getötet.« Azadeh ergänzt: »Wir sagen, jeder soll selbst entscheiden, wie man aussieht, welche Religion man lebt. Es geht einfach um Freiheit.«

Auch von parteipolitischer Seite erfährt das Camp nicht die gewünschte Unterstützung. In einem offenen Brief an Außenministerin Baerbock forderte Feminista vor über einer Woche als ersten Schritt die Herabstufung des iranischen Botschafters in Berlin zum diplomatischen Vertreter der Islamischen Republik. Setayesh ergänzt, dass es ihnen auch um die wirtschaftlichen Verflechtungen ginge, schließlich sei Deutschland das für den Iran ökonomisch wichtigste EU-Land. »Wenn Deutschland reagiert, reagieren auch die anderen Länder.« Doch bisher sind weder Baerbock noch andere Regierungsmitglieder auf die Forderungen eingegangen.

Die Aktivist*innen hindert das nicht daran weiterzumachen. Am Sonntagnachmittag organisierten sie etwa eine Kundgebung vor der iranischen Botschaft, um anlässlich des Großbrandes im Teheraner Evin-Gefängnis die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen politischen Gefangenen zu richten. Um die Motivation aufrechtzuerhalten, spielt für Azadeh das Feedback aus dem Iran eine wichtige Rolle, die Menschen dort seien »mega glücklich« über Solidaritätsbekundungen. Zugleich eint die Diaspora der Drang, nach einem etwaigen Regimesturz die Zukunft ihres Herkunftslandes mitzugestalten. Setayesh sagt: »Wir haben seit Jahren Demokratie gar nicht geübt, deshalb war es uns wichtig, dass Menschen hier zusammenkommen« – allen Differenzen mit Unterstützer*innen der früheren Schah-Monarchie zum Trotz.

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